Kreativitätsforscher im Gespräch:Kreativ dank Mittagsschlaf im Büro

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Menschen sind kreativ, sie können gar nicht anders. Beim Joggen, in der Küche - überall kommen ihnen Ideen. Nur im Büro herrscht Flaute. Warum eigentlich? Ein Kreativitätsforscher antwortet.

Jutta Göricke

Gebildete und disziplinierte Mitarbeiter, von ehrgeizigen Tigermüttern mit harter Hand aufs Arbeitsleben vorbereitet: Die Debatte über chinesische Überflieger hat den Westen verunsichert. Dabei sind die Nachteile eines rabiaten Leistungsdrills offensichtlich. Chinesen seien zwar fleißig, aber auch unkritisch und unkreativ, sagen Experten. Der westliche Kulturkreis dagegen sei deshalb wirtschaftlich so erfolgreich, weil er Inspiration und Eigensinn fördere. Aber stimmt das auch - und was ist das eigentlich, Kreativität? Rainer Holm-Hadulla, Professor für Psychotherapeutische Medizin und Kreativitätsforscher an der Universität Heidelberg, gibt Antworten.

Kreativ auf Knopfdruck - geht das? (Foto: iStock)

SZ: Was ist Kreativität?

Rainer Holm-Hadu lla: Die Minimaldefinition lautet: Kreativität ist die Neukombination von Informationen.

SZ: Will sagen?

Holm-Hadulla: Um kreativ zu sein, braucht man Wissen, das fest im Kopf verankert ist und auf das man jederzeit zugreifen kann. Je mehr Wissen, desto mehr Spielmaterial. Allerdings hilft stumpfsinnig angehäuftes Wissen, wie wir es oft auch im chinesischen Bildungssystem erleben, allein nicht weiter. Es muss zugleich Freiräume geben, in denen bestehende Wissensordnungen weiterentwickelt werden können. Kreative Entwicklungen sind nur möglich, wenn man alte Ordnungen kennt, in Frage stellt und neu formiert. Kreative Prozesse bewegen sich notwendigerweise zwischen Schöpfung und Zerstörung. Das erklärt auch, warum sie oft von einem Gefühl der Unlust begleitet werden.

SZ: Es kommt also nicht von ungefähr, dass eine Werbeagentur bei ihrem Nachwuchs in einem Vorauswahlverfahren erst mal das Basiswissen prüft, bevor es ans Kreative geht?

Holm-Hadulla: Genau. Wer zielgerichtet brainstormen will, muss Wissen und handwerkliches Können mitbringen.

SZ: Kann jeder Geistesblitze haben?

Holm-Hadulla: Ja. Kreativität ist ein alltägliches Lebenselixier. Eine kreative Auseinandersetzung mit der Umwelt lässt sich seit der frühesten Kindheit nachweisen, sie beschränkt sich nicht auf Schöngeister. Doch gibt es Überflieger - geniale Künstler, Wissenschaftler und politisch Aktive -, die aus der Masse herausragen, und zwar durch die Ergebnisse, die sie hervorbringen. Außergewöhnliche Kreative zeichnen sich dadurch aus, dass ihre Ergebnisse für andere außergewöhnlich relevant sind.

SZ: Kann man Kreativität lernen?

Holm-Hadulla: Zumindest kann man sie fördern: durch eine bestätigende Umwelt etwa, durch kompetentes Lob und Anerkennung. Wirklich große Kreative bringen aber neben einer besonderen Begabung in ihrem Arbeitsfeld von Haus aus eine starke innere Motivation mit. Sie sind in der Regel leidenschaftliche Arbeiter. Dazu kommt eine hohe Frustrationstoleranz, das heißt, sie bleiben auch bei Widerständen produktiv.

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SZ: Gibt es verschiedene Anforderungen an Kreativität im Beruf?

Holm-Hadulla: Ein Wissenschaftler etwa muss eher eine stabile Persönlichkeit haben und in der Lage sein, seine glänzende Idee womöglich jahrzehntelang diszipliniert auszuarbeiten. Ganz im Gegensatz zu einem Schauspieler, der durch häufige Rollenwechsel immer wieder an seine Grenzen geht. Es ist kein Zufall, dass die Anfälligkeit für Depressionen und Drogenmissbrauch in den künstlerischen Berufen besonders groß ist.

SZ: Was passiert, wenn Werbetexter brainstormen?

Holm-Hadulla: Mit den notwendigen Fakten versorgt, tauchen sie in eine Inkubationsphase ein. Es gärt, es entwickeln sich Ideen, die sich zunächst noch nicht greifen lassen und die - als Folge der Aufweichung der alten Wissensstruktur - mit dem erwähnten Unlustgefühl einhergehen. Schließlich die Illumination: Man sieht ein Licht am Ende des Tunnels. Es folgt der Heureka-Effekt, ganz von selbst. Jetzt geht es darum, aus vielen verschiedenen Einfällen die Idee herauszulösen, die wirklich brauchbar ist.

SZ: Das hört sich so an, als sei jedes Brainstorming zum Erfolg verdammt.

Holm-Hadulla: Das kommt auf die Gruppe und vor allem auf die Gruppenlenker an. Sie müssen entscheiden, welche Ideen aufgegriffen und welche verworfen werden.

SZ: Studien besagen, dass es um die Kreativität am Arbeitsplatz im allgemeinen schlecht bestellt ist. Menschen sind beim Joggen viel einfallsreicher als am Schreibtisch. Wie lässt sich das ändern?

Holm-Hadulla: Indem man die Kreativitätskultur im Unternehmen verbessert, das heißt eine Achtsamkeit für individuelle Rhythmen und Ausdrucksformen von Arbeit entwickelt. Dazu gehört zum Beispiel auch, je nach Bedürfnis, ein kurzer Mittagsschlaf. Außerdem sollten Führungskräfte eingreifen, wenn etwa aus Neid gute Ideen abgebügelt werden. Am besten gehen sie mit gutem Beispiel voran, indem sie individuelle Stärken achtsam bestätigen und jeden Mitarbeiter an seinem Platz wertschätzen.

© SZ vom 26.02.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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