Markus Huppenberger, beim Münchner Gase-Konzern Linde Senior Manager im Cost-Engineering, ist von dem Projekt begeistert. Seine Abteilung habe Mitarbeiter zuweilen schon in der realen Welt zum Spielen bewegt, auf Projekttagen außerhalb des Firmengeländes. "Das war wirklich toll. Man hatte sehr schnell viele gute Ideen von den Beteiligten, die man sonst womöglich nicht erreicht hätte", erzählt Huppenberger. Ähnliches verspricht er sich nun von digitalen Angeboten, nur mit Breitenwirkung. "Die Frage ist doch: Wie komme ich grundsätzlich auch in großen Firmen schnell und unbürokratisch an Ideen ran?"
"Das ist auch ein Manipulationsinstrument"
Johannes Lampert, Leiter der Produktentwicklung beim Filterspezialisten Mann und Hummel, ist ebenso angetan. "Brainstorming war gestern. Die Zeiten sind vorbei, in denen der Chef in einen Raum geht, ein Flipchart aufstellt und sagt: Habt mal ein paar Ideen." Mann und Hummel, Hauptsitz in Ludwigsburg, ist eines dieser Unternehmen, die für Deutschlands Wirtschaftskraft stehen. Familienbetrieb, hoch spezialisiert, 15 000 Mitarbeiter, 50 Standorte weltweit, knappe drei Milliarden Euro Umsatz - und trotzdem kaum bekannt.
"Produktentwicklung bei uns, das müssen Sie sich vorstellen wie einen Lego-Baukasten", sagt Lampert. Da gebe es verschiedene Bauteile, aus denen unterschiedliche Filter gefertigt würden, 1700 Typen habe man derzeit im Programm. Die Aufgabe eines Spiels könnte nun zum Beispiel sein, einen Filter mit speziellen Anforderungen zu entwickeln. "Der besteht vielleicht aus vier, fünf Bauteilen. Aber vielleicht kriegt es auch jemand hin, das mit drei bis vier Teilen zu bauen, wenn man ein Teil davon etwas anders gestaltet."
Vor allem junge Mitarbeiter lassen sich durch Spiele motivieren, ist die Erfahrung der Manager, das gelte für Männer und Frauen zugleich. Schließlich hätten die Jungen ohnehin immer ein Smartphone dabei und bewegten sich mühelos durch die digitale Welt. Ein Arbeitgeber, der das berücksichtige und sogar fördere, mache sich attraktiv.
Das ist auch wichtig für kleine Unternehmen wie zum Beispiel den Lüftungsspezialisten Möhlenhoff aus Salzgitter, ebenfalls an dem von der TU München aufgesetzten Projekt beteiligt. Mit seinen gerade mal 200 Mitarbeitern sei Möhlenhoff gar nicht in der Lage, sich um solche Trends alleine zu kümmern, sagt Geschäftsführer Frank Geburek. Trotzdem möchte man natürlich im Kampf um Talente bestehen. "Das ist der neue Zeitgeist. Dass man den Mitarbeitern Möglichkeiten geben möchte, sich zu entfalten", sagt Geburek. Er wartet gespannt auf einen Prototypen aus dem Forschungsprojekt, der sich für einen kleinen Mittelständler ohne großen Aufwand adaptieren lassen sollte. Ziel ist es, so etwas bis Jahresende zu entwickeln.
Christian von Duisburg ist freier Spieleentwickler und berät Wildemann und sein Team. Gebraucht werde eine Plattform, die die Leute locker genug mache. "Die müssen auf eine Gartenparty-Ebene kommen", sagt von Duisburg. Am Arbeitsplatz sei das natürlich schwer. Auf jeden Fall müsse man die Mitarbeiter-Vorgesetzten-Situation aushebeln. Deshalb funktioniere so etwas in großen Gruppen besser, wo man auch anonym spielen könne. Denn keinesfalls dürften sich die Leute gegängelt fühlen. Zwang? Bloß nicht.
Auch Linde-Manager Huppenberger findet das wichtig. Man müsse auch ein Spielmuffel sein dürfen, ohne dass Chef oder Chefin dies nachverfolgen. "Das wäre der falsche Ansatz zu sagen, wer nicht spielen will, hat in der Industrie 4.0 nichts mehr zu suchen." Sobald Kontrolle ins Spiel komme, könne man alles vergessen. Was vermutlich jeder Betriebsrat unterschreiben würde.
Es kommt also auf das richtige Design an. Und das zu finden, ist gar nicht so leicht. "Es gibt bisher wenige empirische Ergebnisse auf hohem Forschungsniveau", sagt Isabell Welpe, Inhaberin des Lehrstuhls Strategie und Organisation der TU München und Projektpartner. Im Bildungsbereich habe man zum Beispiel festgestellt, dass die Spiele in den Unternehmen einerseits Motivation und Engagement erhöhen, andererseits aber auch die Konkurrenz zwischen den Lernenden fördern. Wildemann, der Vater des Forschungsprojekts an der TU, sieht noch ein anderes Problem. "Das ist auch ein Manipulationsinstrument, das darf man nicht verkennen", sagt er. Zum Beispiel spielten viele Mitarbeiter über die Arbeitszeit hinaus weiter. Das kann für Firmen gut sein, für Familien ist es dies womöglich nicht. Spielen könne sich zum Zeitfresser entwickeln - und letztlich süchtig machen.
Berater von Duisburg glaubt ohnehin, dass Gamification am besten funktioniert, wenn es punktuell und vorübergehend eingesetzt wird. "Wenn es sehr lange läuft, läuft es sich auch ein bisschen tot." Ziel sei es, Euphorie zu entfachen. Und diese dann in das traditionelle Arbeitsumfeld mitzunehmen.