Krawatten:Wenn Männer plötzlich oben ohne arbeiten

Ein Mann justiert seine Krawatte Berlin 07 08 2014 Model Released Model Release vorhanden Berli

Der morgendliche Griff an den Hals war vor wenigen Jahren in vielen Branchen noch selbstverständlich.

(Foto: Thomas Trutschel/imago)

Ob Top-Manager oder Sparkassenberater: Immer öfter lassen die Deutschen im Job die Krawatte weg. Nicht alle finden das gut.

Von Harald Freiberger

Wie hätten Sie Ihren Bankberater denn gern? Kunden der Stadtsparkasse München können seit einigen Tagen auf der Internet-Seite an einer Umfrage teilnehmen. Es ist wie bei den Bilderrätseln, die es früher auf der bunten Seite der Zeitung gab: Zwei identische Zeichnungen, nur an einer Stelle ist etwas anders. Finden Sie den Fehler!

Der Fehler bei der Umfrage der Stadtsparkasse München ist offensichtlich: Das Männchen ist ein Mal mit Anzug und roter Krawatte gezeichnet, das andere Mal mit Anzug und offenem Hemdknopf. Wer an der Umfrage teilnimmt, klickt auf eines der beiden Männchen. "Wir werden das nach einigen Wochen auswerten", sagt Sprecher Joachim Fröhler. Wenn die Ergebnisse entsprechend ausfallen, wird passieren, was einer Revolution gleichkommt: Erstmals werden hinter den Schaltern der Bank Männer ohne Krawatte stehen.

Woanders hat die Revolution schon stattgefunden. Die Hamburger Sparkasse lockerte den Dresscode vor einem Jahr. Dort sind sogar dunkle Jeans und T-Shirt erlaubt. Auch die Sparkasse Fürstenfeldbruck schaffte die Krawattenpflicht ab. In einer Umfrage hatten vier von fünf Kunden angegeben, dass das für sie okay ist.

Sparkassen gelten von jeher als Hort der Seriosität. Die Krawatte, meist im hellen Rot der Bankengruppe, gehört genauso zu ihnen wie das Logo. Wenn sich selbst bei ihnen die Sitten lockern, zeigt dies, dass der Trend in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist.

Aldi-Nord schaffte vor wenigen Monaten die Krawattenpflicht für seine Manager ab. Selbst Top-Leute lassen den Schlips immer öfter weg. Das Foto von Daimler-Chef Dieter Zetsche in weißen Sneakers, hellen Jeans, Hemd mit offenem Kragen und hellblauem Sakko hat sich vielen eingeprägt. Bei Metro-Chef Olaf Koch wird es schon betont, wenn er ausnahmsweise mal wieder Krawatte trägt. Allianz-Chef Oliver Bäte zeigt sich immer öfter oben ohne. Auf einem Investorentag des Versicherers trug vor Kurzem nur noch ein Vorstand Krawatte: Finanzchef Dieter Wemmer. Aber der geht bald in Ruhestand.

Noch vor wenigen Jahren wäre so etwas undenkbar gewesen. Versucht man den Ursprung des Trends zu ergründen, landet man wohl bei Steve Jobs, dem legendären Gründer von Apple, der seine revolutionären Neuerungen stets im schwarzen Rollkragenpullover ankündigte. Er grenzte sich damit bewusst gegen die Old Economy ab. Und er prägte das Bild: Digitale Erneuerer tragen keine Krawatte.

"Die Krawatte ist nicht tot"

Der Schema ist in jeder Branche zu beobachten: Banker der alten Schule binden sich den Schlips noch um, bei einem Fintech-Start-up wäre ein Krawattenträger ein Außenseiter. In Pharma und Chemie verzichten die Chefs selten auf die Krawatte, Biotech-Leute dagegen kommen im offenen Hemd. Wenn die Chefs der Traditionsbranchen die Krawatte ablegen, wollen sie damit auch ein Signal senden: Wir sind offen für das Neue, für Technologien der Zukunft, für jüngere Kunden.

Herrenmode-Geschäfte sehen den Trend mit Sorge. "Wir verkaufen deutlich weniger Krawatten als vor 25 Jahren", heißt es bei Hirmer in München. Tobias Marquart, Geschäftsführer von Breuninger in Stuttgart, registriert dagegen keine sinkenden Umsätze bei Schlipsen, dafür anziehende Verkäufe bei Einstecktüchern, mit denen besonders jüngere Männer modische Akzente setzen.

Ein Mann, den der Trend mit besonderer Sorge erfüllen müsste, ist Gerd Müller-Thomkins vom Deutschen Modeinstitut in Köln. Das ist die Organisation, die jedes Jahr den Titel "Krawattenmann des Jahres" vergibt. Letzter Preisträger war FC-Bayern-Torwart Manuel Neuer. Doch Müller-Thomkins sieht das alles gelassen. "Mode lebt von Brüchen", sagt er. Was heute Trend sei, könne man morgen vielleicht nicht mehr tragen. "Die Krawatte ist nicht tot und wird auch nicht verschwinden."

Ursache des Trends ist für ihn auch die gesellschaftliche Entwicklung: Die Zahl älterer Männer nehme zu, viele von ihnen wollten jünger erscheinen, indem sie die Krawatte ablegen. Müller-Thomkins beobachtet aber auch schon die Gegenbewegung: Junge Hipster, tätowiert, Dutt im Haar, Vollbart, tragen gern Krawatte, um die Konvention zu brechen.

Für Bernhard Roetzel, Autor des Millionen-Bestsellers "Der Gentleman", gehört die Krawatte zu einem kompletten Bild des stilvollen Mannes. Er findet es müßig, deshalb einen Kulturverfall zu beklagen. "Die Gewohnheiten und Sitten ändern sich", sagt er. Wenn sich Topmanager aber in Freizeitkleidung zeigten, findet er das unpassend, schließlich repräsentierten sie Tausende Mitarbeiter. Was ihn an Deutschland stört: "Hier wird die Krawatte fast ausschließlich der Wirtschaftswelt zugeordnet." In England oder Italien werde sie als Teil der Kultiviertheit gesehen. "Die Deutschen aber geben sich schnell leger, weil sie meinen, dass sie sonst ihre Persönlichkeit verbiegen."

Ohne Krawatte wird nicht alles einfacher

Auch Roetzel glaubt, dass die Krawatte immer ihre Berechtigung haben wird. Die zwei wesentlichen Gründe für ihren Erfolg seit mehr als 100 Jahren verschwänden nämlich nicht: "Auch Männer haben ein großes Schmuckbedürfnis, und die Krawatte ist das einzige Kleidungsstück, mit dem sie ihm nachkommen können." Der andere Grund ist der Faktor der Zugehörigkeit, der mit der Krawatte ausgedrückt wird. Nicht von ungefähr ist sie von englischen Herrenklubs erfunden worden, deren Mitglieder mit bestimmten Mustern signalisierten, dazu zu gehören. Mancher hofft, dass es ohne Krawatte generell lockerer wird in der Arbeit. Doch das ist nicht gesagt. Auch Unternehmen ohne Krawattenzwang haben manchmal exakte Vorschriften, was noch geht und was nicht. "Es wird ja nie passieren, dass die Leute mit Unterhose in der Arbeit sitzen", sagt Gentleman-Autor Roetzel. "Stellen Sie sich mal einen Bankberater mit Bermudashorts und Hawaii-Hemd vor", sagt Krawatten-Mann Müller-Thomkins.

Sparkassen-Sprecher Fröhler lässt, wie auch seine Vorstände, die Krawatte schon ab und zu weg. Leichter ist es für ihn damit nicht geworden. "Früher hab ich mich morgens in den dunklen Anzug geworfen, den Schlips umgebunden, und gut war's." Jetzt müsse er immer überlegen, welche Termine er hat. Die Krawatte hat er meist in der Jacketttasche stecken. Für alle Fälle, man weiß ja nie.

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