Konzentration im Büro:Arbeiten Sie endlich konzentriert

Ostrich Pillow, The Best Equipment For Spring Festival Travel Rush

Manchmal will man einfach seine Ruhe haben. Auch im Büro.

(Foto: ChinaFotoPress/laif)

Viele Arbeitnehmer beantworten ständig E-Mails oder sitzen in Konferenzen, zentrale Aufgaben erledigen sie dazwischen. Das macht unproduktiv und unglücklich.

Von Nakissa Salavati

Der ICE war für viele Menschen bis vor Kurzem ein wunderbarer Ort. Kein Internet, die Telefonverbindung schlecht. Man las wieder ein Buch, arbeitete so konzentriert wie selten, dachte nach. Nein, früher war natürlich nicht alles besser und Wlan im Zug ist schon eine feine Sache, aber: Wo entkommt man noch dem Zwang, die Arbeit für Telefonanrufe, redselige Kollegen oder die Aktualisierung des Postfachs zu unterbrechen? Im Büro, dem Ort der Arbeit, jedenfalls nicht.

Was die allermeisten Menschen den ganzen Tag tun, nämlich kurzzeitige Aufgaben zu erledigen und miteinander zu kommunizieren, nennt der amerikanische Informatiker und Denker Cal Newport in seinem neuen Buch "Deep Work" ziemlich abfällig "Geschäftigkeit". Echte Arbeit sei etwas ganz anderes. Sie entstehe erst in einem Zustand tiefer Konzentration. In den USA ist das Buch ein Bestseller, vor Kurzem ist es unter dem Titel "Konzentriert arbeiten" auf Deutsch erschienen. Newport trifft einen Nerv, weil er ein Problem benennt, das jeder kennt: Arbeit ist oberflächlich statt tief gehend, Konzentration spielt in intellektuell anspruchsvollen Jobs immer seltener eine Rolle und kaum jemand erreicht diesen Zustand - auch, weil ihn Unternehmen nicht ermöglichen.

Es geht dabei nicht darum, ob Menschen in Büros ein bisschen Zeit vertrödeln. Es geht um Essenzielles: Darum, wie wir in Zukunft arbeiten und ob unsere Arbeit und damit auch unser Leben Sinn stiftet und uns zufriedenstellt.

Newports erstes Argument ist pragmatisch und ziemlich marktorientiert. Nur konzentrierte Arbeit ist produktiv. Wer sich über einen längeren Zeitraum hinweg einer einzigen Sache widmen könne, sei wirklich lernfähig und komme voran. "Wenn das Gehirn die Maschine der Kreativ-, Dienstleistungs- und Technologiebranche ist, warum unterbricht man es dann ständig, statt es in Schwung zu bringen?", fragt er. Oder konkreter: "Warum müssen Programmierer E-Mails beantworten, sie sollen programmieren!"

Wer unterbrochen wird, macht außerdem nie dort weiter, wo er aufgehört hat. Es dauert, sich in einen konzentriert-produktiven Zustand einzufinden. Das Gehirn ist nicht besonders multitasking-fähig, bestätigt Christian Montag, der die Abteilung für Molekulare Psychologie der Universität Ulm leitet. Er beschäftigt sich in seiner Forschung damit, wie digitale Technologien das Gehirn und damit auch Emotionen und Verhalten beeinflussen. Bis zu einem gewissen Punkt könne die Nutzung eines Smartphones die Produktivität erhöhen: Man kann sich in einer fremden Stadt schneller orientieren, Lösungen für Probleme im Internet finden, schnell jemanden erreichen. Montag sagt: "Wenn wir uns aber beispielsweise während einer Konzentrationsphase permanent von einkommenden Whatsapp-Nachrichten ablenken lassen, wird unser Alltag fragmentiert und wir bekommen am Ende nichts mehr geschafft. Viele Studien zeigen, dass das Gehirn besonders in konzentrierten Phasen viel effektiver arbeitet."

Der am MIT (Massachusetts Institute of Technology) ausgebildete Newport sucht sich deswegen täglich eine Auszeit, in der er nichts anderes macht, als das, was er machen will. Er behauptet von sich, in wenigen, konzentrierten Stunden seine Arbeit erledigen zu können. Er hat erkannt, dass er in kürzerer Zeit mehr erreichen kann.

Ständiges E-Mail-Checken erhöht den Stress

Wie andere erfolgreiche Menschen auch: Christine Walker ist Effizienzexpertin und Unternehmensberaterin in München, beschäftigt 50 Mitarbeiter und arbeitet 30 Stunden pro Woche. Sie schafft das, weil sie muss und weil sie will: Als Selbständige kostet sie jede Arbeitsstunde Geld, "und ich will nicht um 16 Uhr noch in einem Meeting sitzen, da verbringe ich Zeit mit meinen Kindern. Ich bin effektiv, reduziere die eine Besprechung pro Woche aufs Wesentliche, bearbeite E-Mails einmal am Tag - und zwar innerhalb einer Stunde." Einige ihrer Mitarbeiter arbeiten in Teilzeit, es ist egal, von wo. Walker sagt: "Was zählt, ist nicht, wer abends das Licht ausmacht, sondern was man geschafft hat."

Das versucht sie Managern zu vermitteln, die bei ihr Hilfe suchen. Sie alle haben ein Problem: Sie fühlen sich gestresst, überlastet, genauso wie ihre Mitarbeiter. Wenn Walker deren Arbeitstag analysiert, sind die Manager überrascht: Die meiste Zeit verbringen sie damit, E-Mails zu bearbeiten und in Konferenzen zu sitzen. Eine aktuelle Studie belegt, dass ständiges E-Mail-Checken den Stress erhöht, bestätigt Montag. Nur: Warum machen das dann so viele? Merken Menschen, die sich täglich abarbeiten, nicht, wie sie ihre Zeit verschwenden?

Newport liefert Erklärungen. Erstens ist den meisten gar nicht bewusst, dass sie ihre Arbeit für Unwichtiges unterbrechen. Zweitens ist das Prinzip Ablenkung der einfache Weg. Es erfordert viel weniger Planung, wenn alle sofort ansprechbar sind. Drittens ist oberflächliche Arbeit sichtbarer. Wer ständig kommuniziert, wirkt produktiv - unabhängig von der Qualität der Beiträge. Viertens glaubt ein Großteil der Gesellschaft, dass Technologie immer Fortschritt bedeutet. Wer nicht twittert oder sich bei sozialen Medien abmeldet, muss sich rechtfertigen.

Psychologe Montag gibt noch eine weitere Erklärung: Ein Großteil des Verhaltens am Smartphone ist konditioniert. Die meisten Nutzer haben sich daran gewöhnt, in bestimmten Situationen das Handy hervorzuholen - etwa an der Bushaltestelle. Dieses Verhalten zu ändern, ist etwa so schwierig, wie eine Diät zu beginnen. Zumal werbefinanzierte Apps auf Ablenkung programmiert sind, um Nutzer zu erreichen.

Verlernen wir also, uns zu konzentrieren? Kanadische Forscher haben nachgewiesen, dass Menschen ihre Denkleistung an das Smartphone abgeben, das Gehirn also nicht bemühen, um ein Problem zu lösen. Diese Furcht hat der Psychologe Manfred Spitzer beschrieben, er nennt das "digitale Demenz". Das Gehirn baut ab, die Konzentrationsfähigkeit lässt nach. Walker rät, manche Konferenzen zu streichen, Besprechungen effektiv zu moderieren, E-Mails kurz zu halten und nur für wichtige Informationen zu nutzen. Sie sagt: "Es braucht kluge Chefs, aber eigentlich ist man selbst verantwortlich: Push-Funktion aus, Handy auch, wenn es sein muss." Langsam entwickle sich ein Bewusstsein, dass in Büros etwas gewaltig falsch läuft.

Dabei müsste es doch im Interesse von Unternehmen sein, dass es richtig läuft. Oft stimmen schon die Grundbedingungen nicht: Als modern und zukunftsgewandt gilt, wer es so macht wie Google und Facebook, die offene Büros zum Standard erkoren haben. Da wirken zurückgezogene Arbeitszimmer, wie sie Universitätsprofessoren bewohnen, beinahe ulkig. Doch inzwischen haben einige Firmen erkannt, wie schädlich ständige Erreichbarkeit sein kann - und schaffen wieder Rückzugsmöglichkeiten.

Auf der Suche nach dem "Flow"

Der Rückversicherer Munich Re hat zum Beispiel in seinen neuen Münchner Büros Ruheboxen aufstellen lassen, die Mitarbeiter nutzen können, um ohne Unterbrechung zu arbeiten. Ähnlich macht es das Karrierenetzwerk Linkedin. Geschäftsführung und Mitarbeiter sitzen in der Deutschland-Zentrale im offenen Büro zusammen. Wer telefonieren will, kann schalldichte Glaszellen nutzen, wer seine Ruhe braucht, in abgeschlossenen Räumen arbeiten. Mitarbeiter beider Unternehmen nutzen den Rückzug nach eigenen Angaben häufig.

Ein Problem bleibt die Erreichbarkeit, die natürlich weiterhin nötig ist. Nachrichten tauschen die Linkedin-Mitarbeiter über einen Instant-Messaging-Dienst aus. Die Dringlichkeit einer sofortigen Antwort äußert sich da bereits im Wort "instant". Diese Programme sind in vielen Unternehmen verbreitet und fördern, stärker als E-Mails, Konversation statt Information. Sich diesen Digital-Gesprächen zu entziehen, ist trotz der räumlichen Rückzugsmöglichkeiten schwierig, aber möglich: Auch sie lassen sich ausschalten.

Tricks, um Ablenkung zu vermeiden

Eine Armbanduhr tragen. Wer nur das Smartphone als Uhr nutzt, lässt sich schnell dazu verführen, Facebook zu checken und sich im Internet zu verlieren. Ähnlich positive Wirkung wie eine Armbanduhr hat ein normaler Wecker im Schlafzimmer. Smartphones neben dem Bett sind nachweislich schlafstörend - und nur wer sich erholt, kann konzentriert arbeiten. Den Arbeitsort wechseln. Wer während der Arbeit abgelenkt ist, sollte den Platz wechseln - zum Beispiel vom Schreib- an den Küchentisch oder von der Wohnung in ein Hotelzimmer. Damit verleiht man der Arbeit wieder neue Wichtigkeit. Nachrichten aussperren. Um konzentriert zu arbeiten, sollte man das Handy und die Push-Funktion der E-Mails ausschalten. Anschließend lassen sich Telefonate und Nachrichten auf ein Mal, etwa innerhalb einer Stunde, abarbeiten. Wer unerreichbar ist, sollte Kollegen vorher Bescheid geben. Das bewahrt den Frieden. Rituale einführen. Konzentration erfordert viel Willen, und der erschöpft sich wie ein Muskel. Wer klare Arbeits- und Erholungszeiten befolgt, muss ihn nicht ständig aufs Neue herausfordern. Zum Beispiel mithilfe eines Weckers: 25 Minuten Konzentration, fünf Minuten Kaffee.

Konzentration ermöglicht Newport zufolge aber nicht nur Erfolg. Er sagt: Nur konzentrierte Arbeit stiftet Sinn. Versunkenes Lernen sei zwar mühsam, mache aber zufrieden. Er zitiert etwa die Psychologin Winifred Gallagher. Sie beschreibt den Zusammenhang so: Unsere mentale Welt werde davon bestimmt, auf was wir uns konzentrieren. Wer also den ganzen Tag Konferenzen besucht, E-Mails beantwortet und abgelenkt arbeitet, fokussiert sich auf Stress, Konflikt mit Kollegen und oberflächliche Fragen. Am Ende des Arbeitstages ist man erschöpft, aber nicht klüger, geschweige denn zufriedener. Gallagher schreibt: "Wer Sie sind, was Sie denken, fühlen und tun, was Sie lieben - das alles ist die Summe dessen, auf was Sie sich konzentrieren." Wer Zeit und Raum vergisst, weil er so fokussiert arbeitet, kennt das wohlige Gefühl, das sich danach einstellt.

Den Zustand des Sich-Vergessens hat der Psychologe Mihály Csíkszentmihályi untersucht und damit den berühmten Begriff "Flow" geprägt: Die Voraussetzung für diesen Zustand ist, dass die eigenen Fähigkeiten genau zur Aufgabe passen - und dass man völlig ungestört ist. Newport verweist auf empirische Untersuchungen, die gezeigt haben, dass Menschen zufriedener sind, je häufiger sie in einer Woche Flow-Momente erleben.

Wer ständig Teilaufgaben erledigt, hat es außerdem viel schwerer, in seiner Arbeit einen Sinn zu erkennen. Bildhaft gesprochen: Wer in einer Fabrik nur eine Schraube in einem Stück Holz befestigt, erschafft noch keinen Stuhl. Wer ein komplettes Möbelstück herstellt, sieht eher einen Sinn. Und das ist befriedigend.

Gemütlich ist konzentrierte Arbeit allerdings nicht: Sie erfordert Disziplin, ist manchmal langweilig und konfrontiert einen mit dem tatsächlichen Lernrückstand. Vor allem stellt sie bloß, wie stark man ist, zu was man fähig ist und zu was nicht. Und das ist ziemlich beängstigend.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: