Konstantin Wecker zu Studentenprotesten:Zärtliche Rebellen

Bundesweiter Bildungsstreik - was ist heute anders als 1968? Der Liedermacher Konstantin Wecker über die neue Studentenbewegung und seine Vorstellung von einer idealen Uni.

Johannes Kuhn

Europaweit protestieren Studenten heute für ein besseres Bildungssystem. In den vergangenen Wochen hatten Studenten bereits Räume von Hochschulen in rund 20 Städten in Deutschland besetzt. Im Interview erklärt Liedermacher Konstantin Wecker, warum er in die neue Studentenbewegung seine Hoffnungen setzt.

Konstantin Wecker zu Studentenprotesten: Der Liedermacher Konstantin Wecker

Der Liedermacher Konstantin Wecker

(Foto: Foto: Richard Föhr, oh)

sueddeutsche.de: Herr Wecker, Sie haben vergangene Woche die protestierenden Studenten in München besucht. Weshalb interessiert sich ein 62-Jähriger dafür, was der Bildungsnachwuchs möchte?

Konstantin Wecker: Ich bin einfach hingegangen, um zu sehen, was los ist, um mich zu solidarisieren, denn das Positionspapier der Münchner Uni-Besetzer finde ich gut. Und ich wollte sehen, was der Unterschied zu den Uni-Besetzungen 1968 ist.

sueddeutsche.de: Was ist anders als Achtundsechzig?

Wecker: Der Umgangston zum Beispiel, es wird viel sachlicher argumentiert. Ich war anwesend, als der Direktor der Akademie für Bildende Künste zu den Besetzern gesprochen hat - wie da reagiert wurde, das war toll. Es gab eindeutigen Widerspruch, doch es ging nicht darum, um jeden Preis in der Debatte zu siegen, sondern die Studenten haben auch zugehört. Das war Achtundsechzig anders, denn damals waren im Gegensatz zu heute kaum Frauen an diesen Prozessen beteiligt. Das war eine ziemliche Macho-Veranstaltung seinerzeit, unter dem Umgangston habe ich sehr gelitten. Sie mögen lachen, aber ich glaube, wir brauchen einen zärtlichen Umgang miteinander, wenn es um eine gerechte Welt geht.

sueddeutsche.de: 1968 war allerdings nicht das Ende der Proteste, an den Unis wurde immer wieder rebelliert

Wecker: Ja, allerdings hatte es in den Achtzigern, Neunzigern eher den Charakter von "Das Essen in der Mensa ist nicht gut genug". Die Bewegung, die gerade entsteht, ist sich wieder des umfassenden gesellschaftlichen Charakters des Problems bewusst. Es geht um studentische Belange, doch die Ökonomisierung der Gesellschaft ist ein Problem, das alle Menschen betrifft. Die Studenten wollen die neoliberale Meinungsmache nicht mehr hinnehmen. Und wenn Neoliberale ihnen dann vorwerfen, sie wären Ideologen, kann ich nur sagen: Die Idee des Neoliberalismus, des völlig befreiten Marktes hat doch bereits selbst ideologische Züge angenommen, ist inzwischen Religionsersatz.

sueddeutsche.de: Und was ist mit der Kritik, Protest ist etwas, was man sich nur als Student leisten kann?

Wecker: Das ist ein richtiges Argument, aber kein wirklicher Kritikpunkt. Wenn die Situation für Arbeitnehmer so ist, dass sie ständig Panik haben, ihren Arbeitsplatz zu verlieren, gibt es natürlich keinen Platz für Protestkultur. Ich denke, wir alle sehen, dass diese Welt ungerecht ist. Der Zyniker sagt: Das ist so. Utopisten sagen: Eine gerechtere Welt ist möglich. Deshalb setze ich so große Hoffnungen in die Studenten, denn die Ökonomisierung der Wissenschaft, die Beeinflussung der Universitäten durch die Wirtschaft sind ein Teil des Gesamtproblems.

sueddeutsche.de: Die Präsidentin der Hochschulrektorenkonferenz und die Bildungsministerin haben Entgegenkommen signalisiert. Was ist, wenn die Studenten sich mit verbesserten Studienordnungen bei Bachelor- und Masterstudiengängen zufriedengeben?

Wecker: Ich persönlich hoffe, dass das den Studenten nicht reicht, dass es weitergeht. Und wenn jetzt die Hochschuldirektoren fordern, dass die Debatte nicht ideologisch werden soll, sage ich: Sie muss ideologisch werden. Ich traue der Bildungsministerin keine Sekunde über den Weg, sie ist nicht in der Lage, die Forderungen der Studenten zu erfüllen.

sueddeutsche.de: Wie würde Ihre ideale Universität aussehen?

Wecker: Ein Studium sollte unter weniger Leistungsdruck stattfinden. Meine Söhne werden in ein paar Jahren vielleicht studieren, ich würde mir sehr wünschen, dass sie nicht das Gefühl haben, sie kriegen keinen guten Beruf mehr, wenn sie nicht in ein paar Semestern sofort etwas erreichen. Ich würde mir wünschen, dass sie wie wir damals die Möglichkeit haben, sich in allen möglichen Studienfächern umzuschauen, ein Studium generale zu machen. Das war schon toll.

Im Video: Zehntausende Schüler und Studenten sind auf die Straße gegangen, um gegen Bildungsmissstände zu protestieren.

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