Süddeutsche Zeitung

Kolumne "Was ich am Job hasse":Ruft! Nicht! An!

Im Büro privat telefonieren? Das machen doch alle. Genau das ist das Problem.

Von Katja Schnitzler

Heute Morgen ging ich ins Büro und landete im Callcenter. Dauernd trillert, pfeift, tüdelüüt und posaunt ein Handy. Manchmal klingelt auch ein Telefon, aber nur wenn der Angerufene gerade mobil nicht erreichbar ist.

Die Privatgespräche sind in zweierlei Hinsicht problematisch: Zum einen, weil die mühsam aufgebrachte Konzentration auf mäßig spannende Excel-Tabellen dahin ist. Alle anderen im Raum können einfach nicht weghören, selbst wenn sie es krampfhaft versuchen. Vielleicht würden hastig in die Ohren gestopfte Taschentücher helfen, aber das wäre optisch nicht vertretbar.

Zum anderen erfahren Kollegen so mehr über ihre Sitznachbarn, als ihnen lieb ist. Ich wollte nie von Kollegin T. wissen, welcher Schatzi-Mausi-Hasi-Putzi-Kosenamen gerade aktuell ist. Und wenn der biedere Kollege Z. in den Hörer gurrt, hmmmmjaaa, er freue sich auch schon auf heute Abend - da entstehen Bilder im Kopf, die man nie sehen wollte.

Wer nicht einen halben Tag freinehmen will, muss während der Arbeitszeit Arzttermine ausmachen

Oder Arzttermine vereinbaren: Leider bietet kaum eine Praxis die wundervoll entspannte Online-Anmeldung. Damit der Patient nicht allein schon für das Telefonat einen halben Tag Urlaub nehmen muss, ruft er kurz von der Arbeit aus in der Praxis an. Höfliche Kollegen entschuldigen sich vorher dafür und senken die Stimme zum kaum hörbaren Wispern. Andere werden erst leise, wenn von der Praxis Nachfragen kommen: "Nein, nicht zur Hautkrebs-Vorsorge. Ein Termin wie im vergangenen Monat ... Ja, das ist mir schon klar, dass sie nicht alle Termine von allen Patienten ... Hören Sie, ich kann jetzt nicht ... (seufzt) Zur Behandlung von Hautpilz ... Das wissen Sie doch, welches Körperteil betroffen ist, ich kann jetzt wirklich nicht reden."

Die Kollegen neben ihm tun so, als hätten sie nichts gehört, aber ihre Körperspannung und die Sagrotanfläschchen verraten sie.

Bei der Flucht in die Kaffeeküche kommt Kollegin B. entgegen, bekennende Tierfreundin. Sie hat Sorgenfalten auf der Stirn und ihr Handy am Ohr: "... wenn sie so bissig bleibt, ist doch kein Zusammenleben mehr möglich. Dann müssen wir uns ernsthaft überlegen, sie ins Heim zu geben." Probleme mit dem Hund?, frage ich später. "Nein", Kollegin B. ist leicht irritiert, "mit der Oma."

Alle halbe Stunde müssen die Liebsten offenbar die Stimme des anderen hören

Natürlich sind private Telefonate am Arbeitsplatz erlaubt, selbst wenn sie offiziell verboten sind. Wir sind ja keine Maschinen, die ihr Sozialleben um acht Uhr auf Standby stellen und erst um 17 Uhr erfahren, dass der Kater gestorben ist oder der Ehemann sich den Arm gebrochen hat. Oder dass das Kind tatsächlich eine Eins in der Matheprobe geschafft hat statt der üblichen Vier bis Fünf - sonst platzt das Kind, wenn es nicht mal kurz anrufen darf, solche Neuigkeiten sind ja nicht auszuhalten (ganz anders, wenn es sich mit den Noten genau umgekehrt verhält).

Zwar hat sich dank diverser Messenger-Dienste die Zahl der Privattelefonate deutlich reduziert. Aber manche können es einfach nicht lassen, geschrieben ist ihnen nicht genug. Sie müssen offenbar die Stimme des anderen hören, um sich darauf verlassen zu können, dass es am Abend fettarmes Hähnchen auf Salat und nicht doch Pizza vom Lieferdienst gibt.

Also rufen sie Partnerin oder Lebensgefährten, Tochter oder Sohn, beste Freundin oder Mitbewohner mal eben schnell im Büro an. Zu jeder vollen Stunde, in Stresszeiten auch gerne halbstündlich. Nur um mitzuteilen, dass die Wandfarbe Ockergelb vielleicht doch schöner ist als Zimtorange. Dass der Nachwuchs sich nun auch den zweiten Schuh allein anziehen kann. Dass sie an das Geburtstagsessen am Wochenende erinnern wollten, das ist ja schon in fünf Tagen. Oder dass sie Kopfschmerzen haben.

"Bitte hinterlassen Sie keine Nachricht"

Auch die Kollegen reiben sich die schmerzende Stirn, während der Angerufene genervt ins Telefon zischt: "Ich habe dir doch gesagt, das hat Zeit bis später, ich sitze hier nicht allein, und ... Natürlich will ich wissen, was bei euch los ist, aber doch nicht jetzt ... Nein, ich habe nicht schon wieder schlechte Laune, bis gerade eben war ich sogar ganz gut ... Ich leg jetzt auf."

Der Kollege verlässt das Zimmer, um auf dem Flur um Fassung zu ringen und sich mental auf den wortkargen Feierabend einzustellen ("Du willst ja offenbar nicht mit mir reden!"). Da klingelt sein Telefon, schon wieder. Ich gehe ran.

"Sie rufen außerhalb der Gesprächszeiten an. Diese sind montags bis freitags von 17 bis sieben Uhr. Bitte hinterlassen Sie keine Nachricht."

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