Koalitionsverhandlungen:"Merkel und Westerwelle sollten schweigen"

Verhandlungscoach Matthias Schranner trainiert politische Parteien vor schwierigen Gesprächen. Was er Union und FDP jetzt rät.

Maria Holzmüller

Matthias Schranner kennt sich aus mit schwierigen Gesprächen. Der ehemalige Polizist und Verwaltungsjurist verhandelte mit Geiselnehmern und trainierte Führungskräfte im Innenministerium in erfolgreicher Verhandlungsführung. Im Interview spricht er über die Besonderheiten von Koalitionsverhandlungen, die Bedeutung von Harmonie und die größten Fehler, die Angela Merkel und Guido Westerwelle jetzt machen können.

sueddeutsche.de: Sie haben schon viele Verhandlungen miterlebt. Was ist das Besondere an politischen Gesprächen?

Matthias Schranner: Anders als in Wirtschaftsverhandlungen, wo es ein Geheimhaltungsabkommen gibt, dringen in politischen Verhandlungen Informationen sehr schnell nach draußen. Das macht die Gespräche ungleich schwieriger, weil die Politiker an zwei Fronten kämpfen: Einerseits müssen sie gemeinsam zu einem Ergebnis kommen, andererseits wollen sie in der Öffentlichkeit gut dastehen.

sueddeutsche.de: Angela Merkel und Guido Westerwelle betonen immer wieder, wie harmonisch die Koalitionsverhandlungen verlaufen. Ist das sinnvoll?

Schranner: Einerseits schaffen sie dadurch eine gute Arbeitsatmosphäre, andererseits erwecken sie das Misstrauen der Öffentlichkeit: Warum müssen sie ihre Harmonie immer wieder betonen? Der Wahlkampf ist vorbei, sie müssten eigentlich gar nichts sagen.

sueddeutsche.de: Warum äußern sie sich trotzdem ständig in den Medien?

Schranner: Politiker sind es gewohnt zu reden, sobald ihnen einer ein Mikro unter die Nase hält, eine gewisse Eitelkeit spielt da sicherlich eine Rolle. Es könnte auch ein taktisches Mittel sein, doch das hielte ich für falsch. Erst wenn eine Einigung erzielt worden ist, macht es Sinn, sich in der Öffentlichkeit als Gewinner zu präsentieren.

sueddeutsche.de: Was wäre die richtige Taktik für die laufenden Koalitionsgespräche?

Schranner: Angela Merkel, Guido Westerwelle und Horst Seehofer sollten eine gemeinsame Erklärung veröffentlichen, dass sie zusammen an einem Koalitionsvertrag arbeiten, der für alle beteiligten Parteien vertretbar ist. Danach sollten sie eine Nachrichtensperre verhängen.

sueddeutsche.de: Trotzdem gehen sie an die Öffentlichkeit. Die CSU betont, manche Dinge seien einfach nicht verhandelbar. Die FDP kontert: "Alles ist verhandelbar." Wie klug sind solche Festlegungen?

Schranner: Sehr unklug, weil sie den Verlauf der Verhandlungen einschränken. Es kann immer sein, dass es während der Gespräche neue Entwicklungen gibt. Dann ist ein bestimmter Bereich plötzlich doch verhandelbar, und die CSU steht in der Öffentlichkeit blöd da, weil sie scheinbar einknickt. Wer sich vorschnell festlegt, reduziert seinen Handlungsspielraum.

sueddeutsche.de: Die Union hält an bestimmten Themen wie den bestehenden Mindestlöhnen oder dem Gesundheitsfonds fest, weiß aber, dass die FDP diese Punkte verhandeln will. Wie kann man in solchen Situationen seinen Standpunkt durchsetzen?

Schranner: Indem diese Bereiche in einzelne Bausteine zerlegt werden, die dann doch wieder verhandelbar sind. Was zum Beispiel ist eigentlich der Mindestlohn? Ist er im Tarifrecht festgelegt oder nicht, gilt er für ganz Deutschland oder nur für einzelne Bundesländer? Für welche Berufe? So können Union und FDP eine Lösung finden, die beide als Erfolg darstellen können. Ein Festhalten am Mindestlohn in bestimmten Berufen, aber ein klares Nein dazu in anderen, beispielsweise. Trotzdem werden am Ende nicht alle Beteiligten als Gewinner aus diesen Koalitionsverhandlungen gehen. Wichtig ist aber, dass sie sich nach außen so präsentieren können.

sueddeutsche.de: Union und FDP müssen die kommenden vier Jahre zusammenarbeiten. Wie können sie sichergehen, dass die Stimmung auch nach den Verhandlungen gut ist?

Schranner: Die Koalitionsverhandlungen müssen hart und konsequent in der Strategie geführt werden und sehr vorsichtig in der Sprache. Ein respektvoller Umgang miteinander ist essentiell.

sueddeutsche.de: Welche Fehler dürfen Union und FDP jetzt nicht mehr machen?

Schranner: Sie dürfen keine weiteren Informationen nach außen dringen lassen, solange die Verhandlungen noch laufen. Merkel, Westerwelle und Seehofer dürfen sich als Entscheidungsträger nicht in den Verhandlungen aufreiben. Sie müssen die Rahmenbedingungen festlegen und das Verhandeln anderen überlassen. Ansonsten ist die Gefahr zu groß, dass sie am Ende ihr Gesicht verlieren könnten und deshalb keine sinnvolle Einigung finden. Und sie dürfen sich in der Öffentlichkeit nicht mehr auf bestimmte Positionen festlegen.

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