Kita-Streiks:Satt und sauber - das reicht nicht

Einzelne Kindergärten leisten hervorragende Arbeit, doch oft fehlen Geld, Personal und Unterstützung durch die Politik. In vielen Kitas streiken heute die Erzieher.

F. Berth

Die Absonderlichkeiten des deutschen Kindergarten-Systems zeigen sich vielleicht am besten bei den Gebühren. Eltern, die im Umland von Bonn leben und ein kleines Kind betreuen lassen, müssen absurd hohe Summen dafür einkalkulieren.

Kita-Streiks: In vielen Kindergärten in Deutschland bleiben die Türen heute geschlossen.

In vielen Kindergärten in Deutschland bleiben die Türen heute geschlossen.

(Foto: Foto: dpa)

600 Euro für einen Krippenplatz sind im Rhein-Sieg-Kreis ohne weiteres möglich; die höchste Tabellenstufe für Gutverdiener liegt bei 1085,26 Euro - nicht pro Jahr, sondern pro Monat. Das andere Extrem findet sich in der Region München.

Hier bieten manche Gemeinden kostenlose Kindergartenplätze an; in Pullach legt der Gemeinderat noch etwas drauf: Wer ein Kind unter drei Jahren zu einer Tagesmutter bringt, bekommt die Kosten erstattet. Bis zu 250 Euro monatlich erhalten Pullacher Eltern dafür.

Die öffentlichen Kindergärten, die in diesen Tagen bestreikt werden, sind ein typisches Produkt des deutschen Föderalismus: Die Gebühren sind so unterschiedlich wie die Angebote; die Qualität der pädagogischen Arbeit ist so verschieden wie die Ausbildung des Personals.

Der Berliner Frühpädagogik-Professor Wolfgang Tietze von der Freien Universität Berlin, der ein "Gütesiegel" für Kitas entwickelt hat, stellt fest: Ein Drittel leistet hervorragende Arbeit, ein Drittel ist nur Mittelmaß, und ein Drittel hat in den vergangenen Jahren nichts dazugelernt.

Die vielen tausend Erzieherinnen, die jetzt für bessere Arbeitsbedingungen und höhere Gehälter streiken, arbeiten in Wirklichkeit in verschiedenen Welten. Manche erbringen längst die pädagogisch anspruchsvolle Arbeit, für die nun die ganze Branche besser bezahlt werden möchte.

Fast eine Gefährdung des Kindeswohls

Und manche leiden tatsächlich darunter, dass sich ihr Träger seit Jahrzehnten kaum für seine Kindertagesstätten interessiert. Doch auch das ist nicht die Regel. Viele Träger, seien es Kommunen, Vereine oder Wohlfahrtsverbände, bemühen sich längst, die Arbeitsbedingungen der Erzieherinnen erträglich zu gestalten.

Sehr unterschiedlich fallen auch die Personalstandards aus. Die Bertelsmann-Stiftung hat im Juni 2008 sämtliche Bundesländer verglichen und dabei mitunter finstere Verhältnisse entdeckt. Vor allem in ostdeutschen Krippen dominiert auch zwanzig Jahre nach der Wende das Prinzip "satt und sauber".

Eine Erzieherin muss sich in Brandenburg um fast acht Krippenkinder kümmern; in Sachsen und Sachsen-Anhalt sind es im Schnitt sieben. Fabienne Becker-Stoll, die Leiterin des Bayerischen Staatsinstituts für Frühpädagogik, beklagt, dass solche Personalschlüssel "an Kindeswohlgefährdung grenzen".

International empfohlen sind drei bis vier Kleinkinder pro Erzieherin in einer Krippe. Denn die Kleinsten brauchen nicht nur saubere Windeln, sondern auch die Nähe der Erzieherin. Die aber entsteht beim Vorlesen, beim Spiel, bei der direkten Zuwendung - und daran fehlt es, wenn Mitarbeiterinnen schon damit ausgelastet sind, die Kinder zu wickeln und für Mahlzeiten zu sorgen.

Immerhin zeigt der Ländervergleich, dass es besser geht. So hat Rheinland-Pfalz in den letzten Jahren zwei schwer zu vereinbarende Ziele parallel verfolgt: Die Zahl der Kita-Plätze wurde stark gesteigert, noch bevor Familienministerin Ursula von der Leyen sich dafür starkmachte. Von August 2010 an haben Eltern von Zweijährigen dort sogar einen Rechtsanspruch auf Betreuung.

Weniger Geld als Müllwagenfahrer

Gleichzeitig aber gelingt es dem Land, für ausreichend Personal zu sorgen: In den Krippen kommen vier Kinder auf eine Erzieherin, in den Kindergärten sind es knapp neun - das ist für Deutschland exzellent. Das hat freilich seinen Preis: Rheinland-Pfalz gibt pro Kind jährlich mehr als 1500 Euro aus; in Bayern und Baden-Württemberg sind es nur etwa 1200 Euro, in Schleswig-Holstein 1000 Euro.

Die Streiks, die an diesem Montag vor allem in Bayern, Baden-Württemberg, Niedersachsen und dem Saarland weitergehen, werden in allen Ländern die Kosten nach oben schrauben. Denn die Arbeitgeber geben zu - sofern sie nicht zitiert werden -, dass sie schlechte Argumente gegen eine Aufwertung des Erzieherinnenberufs haben.

In den letzten Jahren hat sich in der Bundesrepublik die Überzeugung durchgesetzt, dass frühe Bildung für die Kinder wichtiger ist, als lange angenommen worden war. In diesem Klima ist es schwer, Erzieherinnen schlechter zu bezahlen als Müllwagenfahrer oder Krankenschwestern.

Die Gewerkschaften sind also in einer guten Startposition für die Verhandlungen am 27. Mai. Das bedeutet aber nicht, dass sich für die Kinder etwas ändert: Gute Kitas werden weiterhin gute Kitas bleiben - und schlechte bleiben schlecht.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: