Kinderbetreuung:Die Kleinen? Bei der Online-Bekanntschaft

Zwei junge Hamburgerinnen bauen im Internet eine Netzwerk-Plattform für gestresste Eltern auf. Die sollen künftig ihre Kinder von Online-Bekanntschaften betreuen lassen.

C. Langrock-Kögel

Auch sie kennen das, die durchwachten Nächte und die müden Tage danach. Den ersten und zweiten und dritten Kaffee, der einen nicht wacher macht. Aber wenn Karo Junker und Natalie Richter eine Nacht nicht geschlafen haben, liegt das nicht an einem Kleinkind mit Mittelohr-Entzündung oder einem Baby, das jede Stunde an die Brust will, sondern eher daran, dass sie in einem der Clubs auf St. Pauli durchgemacht haben. Oder eine Nachtschicht für ihr Projekt geschoben haben. Junker und Richter, beide Mitte Zwanzig, haben keine Kinder. Und trotzdem beschäftigen sie sich seit Monaten mit einer Idee, die überlasteten Eltern helfen will.

e-kids

Natalie Richter (links) und  Karo Junker wollen im Herbst 2011 mit ihrer Plattform online gehen.

(Foto: Georg Fischböck)

Die beiden jungen Frauen aus Hamburg haben gemeinsam mit ihrer Kommilitonin Astrid Meyer den interdisziplinären studentischen Ideenwettbewerb Generation-D in der Kategorie "Soziale Gesellschaft" gewonnen. Für ein Seminar ihres Masterstudiengangs Innovationsmanagement an der Leuphana Universität in Lüneburg haben sie ein Projekt entworfen, das das Leben junger Eltern ein bisschen besser machen soll. Die drei Aufbaustudentinnen kamen durch die öffentliche Diskussion über mangelnde Kinder-Betreuungsangebote auf die Idee: Wir brauchen eine Internet-Plattform, eine neue social community, in der sich Väter und Mütter mit Gleichgesinnten ein privates, kostenloses Betreuungsnetzwerk aufbauen.

Professionelle Anbieter wie Tagesmütter oder Kitas schlossen sie von vorneherein von der Teilnahme aus. "Es geht um einen Freundschaftsdienst", sagen die Gründerinnen. Um unbürokratische Vernetzung. Um flexible gegenseitige Unterstützung. Um einen Ersatz für die fehlende Großfamilie.

Wie soll das gehen? Kinderbetreuung ist Vertrauenssache. Wer sucht via Internet nach einer Unterbringung für seine Sprösslinge? Menschen wie sie selbst, glauben Karo Junker und Natalie Richter, die immer online sind und die meisten Verabredungen über Netzwerke wie Facebook oder StudiVZ ausmachen. Für die Generation Online scheint ein Internet-Freundeskreis zur gegenseitigen Kinderbetreuung logisch. Das Portal soll im Herbst 2011 online gehen, aber das genaue Konzept ist ein Betriebsgeheimnis.

So viel ist klar: Die teilnehmenden Eltern müssen ein detailliertes Nutzerprofil anlegen. Darin wird nicht nur nach persönlichen Daten gefragt, sondern auch nach Ansichten zur Kindererziehung. Das Beantworten aller Fragen ist Pflicht und die überprüfbaren Angaben werden von den Betreiberinnen nachrecherchiert. "Das ist eine unserer Sicherheitsmaßnahmen, um die Community vor Unbefugten zu schützen", sagt Karo Junker. Vor Erwachsenen, die aus den falschen Gründen Kontakt zu Kindern suchen. Zum anderen sind die Profile Grundlage der geplanten "Matchmaking"-Funktion, die Eltern möglichst entsprechend ihrer geografischen und weltanschaulichen Nähe miteinander bekannt machen soll.

Terminplanung im gemeinsamen Internet-Kalender

Die Plattform, deren Arbeitstitel noch e-kids lautet, vermittelt die Kontakte zwischen den Eltern online. Dann müssen sie sich offline kennenlernen. Und sollen Vertrauen zueinander aufbauen, im idealen Fall eine Freundschaft. Über die Community, so der Plan, lernen sich Menschen kennen, die sich sonst nie getroffen hätten. Aber was unterscheidet e-kids von dem ganz normalen Freundeskreis, den die meisten jungen Eltern ohnedies haben und in dem sie ihre Kinder auch gegenseitig betreuen? "Online geht das Organisieren wesentlich schneller und professioneller", sagt Natalie Richter. Die befreundeten Eltern pflegen einen gemeinsamen Internet-Kalender, in dem sie - ohne langwierige Telefonate - verabreden können, wann welches Kind bei wem untergebracht wird.

Koalitionsspitze einigt sich auf Ausbau der Kinderbetreuung

Gestresse Eltern sollen künftig die Möglichkeit haben, eine Kinderbetreuung im sozialen Netzwerk zu finden.

(Foto: dpa)

Noch klingt all das sehr theoretisch. Vor ein paar Wochen haben sich die drei Wettbewerbs-Gewinnerinnen ernsthaft die Zukunftsfrage gestellt. Astrid Meyer ist ausgestiegen, aber für Karo Junker und Natalie Richter soll e-kids der Einstieg in die Selbstständigkeit werden. Die erste Voraussetzung, dass ihr Plan von der Freundschaftsbörse mit Kindertausch funktioniert, ist das Erreichen der "kritischen Masse", sagen sie. Es müssen so viele Eltern mitmachen, dass diese ihr Kind in ihrem jeweiligen Stadtteil abgeben können und nicht am anderen Ende der Stadt.

In Hamburg, ihrem Wohnort, wollen Junker und Richter jetzt eine Befragung unter jungen Eltern starten, um deren Bedürfnisse möglichst genau abzubilden. Dann soll, finanziert vom Generation-D-Preisgeld, eine Testversion programmiert werden. Die Plattform ist für die Eltern kostenlos, das Geld soll die Online-Werbung verdienen. Noch studieren Junker und Richter und verdienen sich nebenbei ihren Lebensunterhalt. Ihr Kinder-Projekt bestimmt den Rest der Zeit. Sie kennen das ja auch, die Nächte ohne Schlaf.

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