Kind und Karriere:Es gibt ein Leben außerhalb des Jobs

Am Ende haben alle was davon: Die Firma Bosch hilft seinen Mitarbeitern, Familie und Beruf zu vereinbaren - und bindet so exzellente Fachkräfte.

Stefan Siegfried

"Wir wollen eine Familie sein", sagt Michèle Hirsch, "und die Erziehung unseres Kindes gemeinsam anpacken." Für sie und ihren Mann Wolfgang Müller-Hirsch - beide arbeiten als promovierte Physiker für das Technikunternehmen Bosch - bedeutete das: Arbeitszeit reduzieren und mehr Spielraum für die Familie schaffen.

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Mit den richtigen Teilzeitmodellen können Paare eine Balance zwischen Familie und Job erreichen.

(Foto: Foto: iStock)

Nach der Geburt der Tochter Leoni im Jahr 2002 teilten sich beide daher zunächst eine Stelle, um in den folgenden Jahren die Wochenarbeitszeit gemeinsam "langsam wieder hochzufahren" - von 24 über 30 auf heute 35 Stunden. Drei Tage arbeitet Müller-Hirsch jetzt am Unternehmensstandort in Schwieberdingen bei Stuttgart, zwei Tage seine Frau im benachbarten Tamm, die restliche Arbeit erledigen sie abwechselnd zu Hause im Heimbüro.

Seit 2002 ist das hochqualifizierte Akademikerpaar nun in unterschiedlichen Eltern- und Teilzeit-Modellen für Bosch tätig. "Flexibilität, Organisationstalent, Disziplin, eine zuverlässige Kinderbetreuung am Wohnort und die Rückendeckung von Vorgesetzten und Kollegen" sind für die beiden über das Familieneinkommen hinaus die wichtigsten Voraussetzungen, um Familie und Beruf unter einen Hut zu bekommen.

Kein Verzicht auf Freiraum

"Mit unseren Teil- und Elternzeitmodellen wollen wir vor allem hochqualifizierte Mitarbeiter und deren Wissen langfristig an unser Unternehmen binden", sagt Heidi Stock, Leiterin Chancengleichheit in der Bosch-Gruppe. Mehr als hundert Arbeitszeit-Modelle bietet der Konzern deshalb an den verschiedenen Standorten den Mitarbeitern an, die nach Region und individuellen Bedürfnissen variieren. So gibt es beispielsweise Regelungen im badischen Bühl nahe der französischen Grenze, die sich nach den Öffnungszeiten der Kinderbetreuungsstätten in Frankreich richten, oder solche, die individuell mit einzelnen Arbeitnehmern abgestimmt sind, wie das Beispiel der Familie Hirsch zeigt.

"Uns beiden macht die Arbeit Spaß, aber auf den zusätzlichen Freiraum für das Kind wollen wir nicht mehr verzichten", sagt Hirsch. Mit der heutigen Regelung sei für sie die Endstufe einer Entwicklung erreicht, eine Rückkehr zu hundert Prozent planen beide vorerst nicht.

Im Unternehmen angekommen

Ob Arbeitszeitkonten, Teilzeitmodelle, Familienzeiten oder Vater-Kind-Programme: "In den vergangenen vier bis fünf Jahren ist das Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie beziehungsweise von Beruf und Pflege in den Unternehmen endgültig angekommen", sagt Stefan Becker, Geschäftsführer der berufundfamilie Service GmbH der gemeinnützigen Hertie-Stiftung in Frankfurt am Main. Insgesamt 780 Unternehmen, Institutionen und Hochschulen haben mittlerweile deren Zertifikat erworben, das seit Gründung der Initiative im Jahr 1998 zu einem Qualitätssiegel für familienbewusste Personalpolitik geworden ist. 2008 wurden mehr als 340 Unternehmen und Institutionen auditiert, 50 Prozent mehr als im Vorjahr. Was für die einen vor allem dem Personalmarketing und der Darstellung nach außen dient, ist für andere ein Instrument der Personalentwicklung im Unternehmen.

Kein Frauenthema mehr

"Haben die Firmen das Thema früher vor allem in einzelnen Pilotprojekten verfolgt, so ist es heute in der Regel Teil der Unternehmensstrategie", sagt Becker. Angetrieben hat die Entwicklung zumindest in einzelnen Branchen der Fachkräftemangel der vergangenen Jahre, etwa bei Ingenieuren.

Familienfreundlichkeit - das heißt für Unternehmen vor allem, flexible Modelle hinsichtlich Arbeitszeit und -ort anzubieten - ist ein Kriterium im Wettbewerb um Hochqualifizierte und bei der Mitarbeiterbindung auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten geworden. Mit Maßnahmen wie familienbedingter Teilzeit, Arbeitszeitkonten, Job-Sharing oder ähnlichen Modellen lassen sich schließlich auch Auftragsschwankungen abfedern oder Entlassungen vermeiden. "Viele Unternehmen nutzen das Audit, um ihre Strategien zu überprüfen und der neuen Situation anzupassen", sagt Becker.

Bedürfnis nach Sicherheit

Auch die gesetzliche Regelung beim Elterngeld hat dem Thema neuen Antrieb verliehen. "Die Zahl der Männer, die Elternzeit nehmen - häufig in Teilzeitmodellen - hat sich bei Bosch in den vergangenen zwei Jahren verdreifacht", sagt Heidi Stock. Etwa 40 Prozent der Väter nehmen sogar mehr als die zwei gesetzlich reservierten Partnermonate in Anspruch. Das sind deutlich mehr als der Durchschnitt.

Bundesweit haben im vergangenen Jahr laut Statistischem Bundesamt 18,6 Prozent der Männer eine Auszeit im Rahmen der Elterngeldregelung genommen. Die meisten Väter, drei von vier, beziehen aber nur zwei Monate Elterngeld, und lediglich elf Prozent derer, die Elterngeld beziehen, gönnen sich eine längere Auszeit von zehn bis zwölf Monaten. Studien zeigen, dass Männer oft sogar länger arbeiten, wenn sie Familienväter werden, weil der Wunsch nach finanzieller und beruflicher Sicherheit steigt.

Männer tun sich schwer

"Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist heute kein Frauenthema mehr", sagt Becker, "auch wenn Männer sich nach wie vor schwer tun, dem Arbeitgeber gegenüber nachdrücklich Forderungen nach mehr Spielraum für die Familie zu stellen." So würden immer mehr Männer nach den zwei Partnermonaten die folgenden Wochen und Monate 30 Stunden Teilzeit bei finanziellem Ausgleich arbeiten.

Trotzdem befürchten viele Arbeitnehmer nach wie vor Nachteile beim Einkommen und bei der Karriere. Nicht jeder Vorgesetzte springt schließlich freudig auf, wenn er Stellen in Teilzeit ausschreiben muss. Als Wolfgang Müller- Hirsch sieben Monate nach der Geburt seiner Tochter die Arbeitszeit reduzieren wollte, war sein Vorgesetzter überrascht: "Ich war ja schon Teamleiter. Da hatte man wohl die Erwartung, dass ich jetzt noch mehr Gas gebe." Dennoch haben der Vorgesetzte und die Personalabteilung ihn unterstützt. "Erst am Ende der Elternzeit hat mir mein Chef erzählt, dass er anfangs schon Bedenken hatte."

Rückendeckung vom Chef

Dass Müller-Hirsch wegen der Entscheidung für mehr Freiraum für die Familie auf eine schnelle Führungslaufbahn verzichtet hat, bereut er bis heute nicht. Seit Januar 2008 ist er nun Fachreferent und genießt weiter die volle Rückendeckung des Chefs. "Ich habe ja auch den Anspruch, für mehr als nur den Beruf zu leben."

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