Kassiererinnen berichten:"Manche glauben, wir seien blöd"

30 Posten in der Minute übers Fließband schieben, unfreundliche Kunden und quengelnde Kinder: Sechs Kassiererinnen berichten über ihre Arbeit.

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Kassierein Andrea Schulte

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Andrea Schulte, 43, Edeka-Center in Minden:

"Als Kassiererin wird man schnell berühmt. Ich arbeite jetzt seit vier Jahren an der Kasse und werde im Viertel inzwischen oft auf der Straße oder beim Bäcker erkannt. 'Ach, Sie kaufen auch hier ein? Das ist ja nett', sagen die Leute dann. Leider gibt es auch Kunden, die einen von oben herab behandeln. Neulich wollte ich einem Herrn den Gebrauch eines Wasserkochers erklären, aber der schnauzte mich nur an: 'Das brauchen Sie mir nicht erklären, ich bin Ingenieur!' Ich versuche dann, so etwas nicht persönlich zu nehmen und mich aufs Kassieren zu konzentrieren. Wir haben intern nämlich einen kleinen Wettbewerb laufen. Wer ist die Schnellste? Die ganz Guten schaffen 30 Posten pro Minute. Das will ich auch mal können."

Kassierein Balbina Plaschka

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Balbina Plaschka, 77, Tengelmann in München:

"Ich liebe die Kasse! Es ist der beste Ort im Markt, da ist das Meiste los. Manche Kunden stellen sich extra bei mir an, ich bin eine feste Bezugsperson in ihrem Leben. Kein Wunder, ich mache das auch schon seit mehr als 30 Jahren, jetzt bessere ich damit meine Rente auf. Manche Kunden maulen mich an, einfach so. Denen sage ich: 'Jetzt benehmen Sie sich mal!' Für meinen Chef ist das in Ordnung, er weiß, dass mich viele Kunden gerade für mein loses Mundwerk mögen.

Über einen aber habe ich mich mal wahnsinnig geärgert. Irgendetwas gefiel ihm nicht an mir, und er hat sofort ein Fax an die Filialleitung geschickt. Ich bin zu dem hin, seine Adresse stand ja auf dem Fax und habe geklingelt. Als er die Tür öffnete, habe ich gefragt: 'Was passt Ihnen an mir nicht?' Er war total verdutzt, mit so etwas hat er nicht gerechnet. Wir haben Kaffee getrunken, und es kam raus, dass er viele Schicksalsschläge einstecken musste und einsam war. Heute fällt er mir immer fast um den Hals, wenn er mich sieht. Ein bisschen ist man schon Psychologin an der Kasse."

Kassierein Barbara E.

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Barbara E., 50, bis vor einem Jahr Kassiererin bei Kaiser's in Berlin:

"Ich bin 13 Jahre lang mit vollem Herzblut Kassiererin gewesen. Zwischen 250 und 450 Kunden kamen am Tag an meine Kasse, und ich glaube behaupten zu können, dass ich alle mit Namen kannte. Die meisten bezahlen ja mit Karte, da habe ich mir die Namen eingeprägt. Das ist ein super Gedächtnistraining! Wenn ich die Kunden dann mit Namen angesprochen oder so was wie 'Na, heute gar keine Milch?' gesagt habe, sind sie manchmal richtig erschrocken.

Leider habe ich nach 31 Jahren Betriebszugehörigkeit meinen Job verloren, weil ich einen Pfandbon für 1,30 Euro unterschlagen haben soll. Ich glaube aber, man wollte mich loswerden, weil ich bei uns in der Filiale Streiks mitorganisiert habe. Gegen meine Entlassung habe ich geklagt. Ich will meinen Traumberuf unbedingt zurück!"

Kassierer Werner Hammermeister

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Werner Hammermeister, 56, LPG Biomarkt in Berlin, Prenzlauer Berg:

"Hier sind wir alle per du, auch mit den Kunden. Ich habe 17 Jahre lang in einem normalen Supermarkt gearbeitet - das war Stress ohne Ende, und die Leute haben dauernd gemeckert. Man kam kaum zum Luftholen und musste die Kunden einfach so abfertigen. Hier meckert nie einer, auch wenn mal was nicht da ist oder zwei Leute vor ihnen an der Kasse stehen. Ein Bioeinkauf dauert einfach länger, die Leute nehmen sich mehr Zeit.

Mit den vielen Kindern sind wir hier fast wie eine Familie, die Mütter können sogar im Laden stillen. Davor hab' ich in Charlottenburg gearbeitet. Aber inzwischen sind da alle alt, und genauso sind es die Kunden. Hier dagegen sind mindestens 50 Prozent der Frauen schwanger. Ich mag Kinder total gern. Nur wenn wieder eins verrückt spielt, die Mutter nichts sagt und das Kind dann eine Ladung Eier runterschmeißt, bin ich etwas genervt - das dauert aber nie lange."

Kassiererin Elena Tilkeridou

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Elena Tilkeridou, 48, Rossmann in München:

"Ich sitze seit 16 Jahren an der Kasse und habe so meine Taktik entwickelt: Sind Kunden frech, bin ich noch netter als sonst. Meistens zieht das, denen wird dann bewusst, wie blöd das ist, eine Kassiererin anzumeckern. Aber es gibt auch Grenzen, und da steht meine Filialleiterin hinter mir und regelt die Sache. Einmal hat ein Mann eine Kollegin bespuckt, dem ging es nicht schnell genug, aber das ist die krasse Ausnahme, zumal Männer in der Regel freundlicher sind als Frauen.

Unsere Arbeit wird oft nicht anerkannt, manche glauben, dass wir zu blöd sind, etwas anderes zu machen. Dabei ist das sehr anspruchsvoll, die Technik zu beherrschen, viele Dinge gleichzeitig zu machen und immer nett zu sein. Jeder Tag an der Kasse ist eine Herausforderung, aber genau das ist, was ich so toll an dem Job finde."

Kassiererin Ines Albrecht

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Ines Albrecht, 44, Lidl in Aschheim:

"Bei uns ist es wie beim Friseur: Viele Leute kommen, um zu reden. Das ist zwar nett, führt aber auch zu Problemen, etwa wenn mittags die Angestellten aus den Büros kommen. Die wollen ihre Pause natürlich nicht im Supermarkt verbringen. Manchen Stammkunden ist das jedoch egal: Sie lassen sich nicht vom Schwätzchen abbringen.

Einer meiner treusten Kunden ist ein Mann, mit dem ich mal aneinander geraten bin. Schon als er den Laden betrat, stritt er mit seiner Frau und ging dann getrennt von ihr einkaufen. An meiner Kasse trafen sie sich wieder. Er fing er an, die Waren aus ihren Wagen auf die Süßigkeitenablage zu schmeißen. Als ich ihn freundlich gebeten habe, das zu lassen, schimpfte er: 'Jetzt werden die Sachsen schon im Westen aufmüpfig!' Ich habe ihm erklärt, dass ich aus Thüringen bin. Zehn Minuten später wollte er sich mit einem riesigen Blumenstrauß bei mir entschuldigen. Ich habe ihm gesagt, er soll ihn lieber seiner Frau schenken."

(Protokolle: Claudia Fromme, Ann-Kathrin Eckardt, Laura Weißmüller Bilder: ddp, Claudia Fromme, oh)

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