Karriereplanung:Treppauf, treppab

Führungsjob oder Fachlaufbahn: Karrieren müssen nicht immer steil nach oben verlaufen. Gute Fachleute verdienen dieselbe Wertschätzung wie Top-Manager - auch finanziell.

Von Nadja Brize

Wenn Anne Wasem morgens ihr Büro in Remscheid betritt, erwartet sie ein ausgefüllter Tag. Sie berät Menschen bei beruflichen Fragen, konferiert mit Arbeitgebern und telefoniert mit Krankenhäusern. Der Job in der Beratungsstelle für seelisch behinderte Menschen gefällt ihr. "Das ist genau der Job, der zu mir passt", sagt die 52-Jährige, die seit 2001 in der Beratungsstelle arbeitet.

Karriereplanung: Eine horizontale Laufbahn kann durchaus eine gute Alternative zum Senkrechtstart auf der Karrieretreppe sein.

Eine horizontale Laufbahn kann durchaus eine gute Alternative zum Senkrechtstart auf der Karrieretreppe sein.

(Foto: Foto: iStock)

Das war nicht immer so. Nach ihrem Studium war die Sozialpädagogin zunächst in der Psychiatrie tätig und begann dann, für ein Weiterbildungsinstitut zu arbeiten.

"Diesen Druck habe ich tagtäglich gespürt"

Sie baute eine Außenstelle der Einrichtung auf und arbeitete sich zur Führungskraft eines kleinen Teams hoch. Ihr Alltag bestand hauptsächlich aus Verkaufen, Verhandeln und Koordinieren. Der Erfolgsdruck war groß. "Mehr, mehr, mehr", habe die Devise gelautet, sagt Wasem. "Diesen Druck habe ich tagtäglich gespürt."

Als das Angebot eines anderen Weiterbildungsinstituts kam, eine noch attraktivere Leitungsstelle zu übernehmen, begann sie, über ihren Job nachzudenken. "Das Angebot war verlockend und auch ein bisschen schmeichelhaft. Aber ich habe gemerkt, dass es nicht passte", sagt Wasem, "denn ich bin wesentlich besser darin, andere Menschen zu beraten."

Als sie dann in der Zeitung die Stellenanzeige des Beratungsdienstes sah, bei dem sie heute arbeitet, fühlte sie sich sofort angesprochen. "Ich wollte raus aus der Personalverantwortung", sagt sie, "und ich wollte mich nicht immer wieder verkaufen müssen."

Ihren Job im Weiterbildungsinstitut hat sie gekündigt, das Angebot des Wettbewerbers abgelehnt. Und die Stelle beim Integrationsfachdienst bekommen.

Es muss nicht immer der Chefsessel sein

Erfahrungen wie diese machen viele Menschen. Oft führen sie zu echten Identitätskrisen. Ulrike Rösner vom Hattinger Büro für Arbeits- und Organisationsentwicklung kennt diese Probleme: "Chef werden ist nicht die einzige Option im Leben. Sich fachlich weiterzuentwickeln entspricht bei vielen Menschen mehr ihren Talenten."

Denn fachliche Ambitionen müsse man auf dem Chefposten oft zurückstellen. Dabei seien Menschen, die eine Fachkarriere einschlügen, nicht weniger leistungsfähig, sondern legten nur einen anderen Akzent auf Leistung.

"Ich liebe mein Fach zu sehr, da will ich bleiben, da will ich etwas leisten" - diese Einstellung sei durchaus vertretbar, sagt Rösner. Erfolg könne man schließlich nicht nur daran festmachen, wie viele Stufen jemand auf der Karriereleiter nach oben klettere.

Treppauf, treppab

Doch genau an diesem Punkt stolpern viele. "Früher war es ganz einfach mein Ziel, die Leitung zu übernehmen", sagt Anne Wasem. Sie habe ein falsches Bild von sich im Kopf herumgetragen: "Ich auf einer Leitungsstelle, da bin ich wer."

Stattdessen musste sie sich klarmachen, dass ihr Weg der horizontalen Weiterentwicklung nicht minderwertig ist. "Wo ich bin, bin ich sehr glücklich. Und ich fühle mich fachlich immer kompetenter."

Zudem sind auch bei einer Fachkarriere soziale Kompetenzen wie Kommunikations- und Teamfähigkeit enorm wichtig. "Aber eben mehr auf die Arbeitszusammenhänge fokussiert, nicht in Bezug auf die Führung mehrerer Mitarbeiter", sagt Rösner.

Experten-Laufbahn statt Manager-Karriere

Diese Orientierung an den fachlichen Kompetenzen ist mittlerweile auch für die Industrie zu einem wichtigen Thema geworden. Der Automobilzulieferer Continental AG bietet als Alternative zur Management-Karriere eine Experten-Laufbahn an.

"Gute Fachleute verdienen ebenso viel Wertschätzung wie gute Manager, auch bei der Entlohnung", sagt Erik Bauss, Leiter der Personalentwicklung, Continental Division Chassis & Safety. Mit der Experten-Karriere möchte der Konzern "wettbewerbsrelevantes Know-how an Bord halten und gute Fachleute ans Unternehmen binden".

Die Experten-Karriere bei Continental ist klar strukturiert. Die einzelnen Stufen sind mit denen des Managements vergleichbar. Systematische Auswahl und gezielte Entwicklung seien die Bausteine, sagt Bauss.

Bei den Mitarbeitern kommt diese Strategie gut an. Und auch das Unternehmen profitiere. "Wir werden als Arbeitgeber somit auch im Bereich der internen Personalentwicklung attraktiver, denn wir bieten mit dieser Laufbahn Karrieremöglichkeiten, die es so vorher nicht gab."

Auch die Brenntag GmbH in Mülheim wirbt mit fachorientierten Entwicklungsmöglichkeiten. "Wir schauen genau, ob eine Führungskarriere für einen Mitarbeiter passend ist - oder ob es sinnvoller ist, gewisse fachliche Kompetenzen zu fördern", sagt Personalreferentin Simone Seifer. Alternativen zur Führungskarriere werden bewusst unterstützt.

Das eigens zu diesem Zweck geschaffene "Move-Programm" soll die Mitarbeiter ganzheitlich sehen und ihre Kompetenzen weiterentwickeln. Im Mittelpunkt stehen Ausbau und Vertiefung der fachlichen und persönlichen Fähigkeiten. Ziel ist auch hier, exzellente Leute zu binden und zu Experten zu machen. "Gute Spezialisten zu finden wird immer schwieriger", sagt Seifer. "Mit dieser Strategie sorgen wir selbst für welche."

"Chefsein kann auch eine Belastung sein"

Führungskarriere oder Fachlaufbahn - woher weiß man, was für einen das Richtige ist? "Zurücklehnen, durchschnaufen und in Ruhe überlegen, wo die eigenen Ambitionen liegen", rät Rösner Berufstätigen am Scheideweg ihrer Karriere. "Chefsein wäre für viele auch eine Belastung." Es gilt also gut zu bedenken, ob man unbedingt Leiter der Entwicklungsabteilung werden will. Oder ob es nicht reizvoller sein kann, als ambitionierter Ingenieur seinen Weg zu gehen.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: