Süddeutsche Zeitung

Quereinstieg in die IT:Den Rest lernen Sie noch

Wer programmieren kann, braucht keine Bewerbung mehr zu schreiben. Die Arbeitgeber kommen von selbst. Quereinsteiger finden auch mit Grundwissen eine Stelle. Denn Lernen im Job ist in der IT ganz normal.

Von Larissa Holzki

Expertin für IT müsste sie sein! Der Gedanke kam Veronica Hannibal, als es mit dem Berufseinstieg nicht so klappte wie gedacht. Sie hatte Geografie studiert und sich journalistisch weitergebildet. Aber ein passender Job ließ sich nicht finden. Selbständig zu schreiben und mit Bloggen ihr Geld zu verdienen, gestaltete sich schwierig. Welcher Job hat Zukunft, wo gibt es freie Stellen, fragte sich Hannibal.

Der Digitalverband Bitkom hat jüngst 82 000 freie Stellen für IT-Spezialisten gezählt. Wer programmieren kann, findet nach dem Studium einen Job, er braucht sich nicht sorgen, dass ein Roboter ihn ersetzen könnte. Wer coden kann, braucht nicht mal mehr Bewerbungen zu schreiben, weil die Firmen nach ihm suchen. Das Glück einiger weniger Technikfreaks? Oder eine Entwicklung, von der viel mehr Menschen profitieren könnten?

Das Beispiel von Veronica Hannibal zeigt, dass IT und digitale Berufe längst keine Nerdszene mehr sind. Ihre ersten Programmierbefehle tippte sie in einem kostenlosen Onlinekurs, und sie fand Spaß an den Aufgaben. Allerdings musste sie endlich Geld verdienen, mit einem zweiten Vollzeit-Bachelor in Informatik war das nicht vereinbar.

Das Besondere am Arbeitsmarkt für IT-Spezialisten: Abschlüsse und Zeugnisse sind für viele Jobs keine Voraussetzung. Das liegt nicht nur am Fachkräftemangel. "Der technologische Fortschritt geht so schnell voran, dass Studiengänge gar nicht schnell genug konzipiert werden können", sagt Martina Weiner, Expertin für Personalsuche in der Digitalwirtschaft. Seit acht Jahren besetzt sie Führungsteams schnell wachsender Tech-Unternehmen. Täglich bekommt sie Anrufe von Firmen, die einen "Senior Data Scientist" suchen, also einen erfahrenen Datenwissenschaftler. Paradox: "Der Begriff ist nicht geschützt, es gibt kein standardisiertes Berufsbild dazu und in Deutschland nur 4000 Menschen, die seit maximal drei Jahren in dem Beruf arbeiten, denn vorher gab es den gar nicht", sagt Weiner. Wirtschaftsinformatiker, Physiker und Menschen, die sich mit höherer Mathematik auskennen, kämen für Einsteiger-Positionen in dem Feld infrage.

Darf's noch etwas mehr sein?

Bei der Beurteilung von Erfahrung müssen Firmen oft weichere Kriterien anlegen als in anderen Berufsfeldern. Jegliche Praxiserfahrung ist wertvoll, auch wenn es sich um ein Studentenprojekt oder ein Hobby handelt. Entscheidend ist, ob Kandidaten dazulernen wollen.

Veronica Hannibal hat deshalb viel richtig gemacht. Sie hat einen weiteren Onlinekurs belegt und sich dabei auf Frontend-Development spezialisiert, "dabei setzt man das, was die Webdesigner planen, in einen Code um und sorgt dafür, dass es funktioniert", sagt sie. In acht Monaten lernte sie die Programmiersprache Javascript. Für ihren Job führte sie schließlich nur ein Interview. Beim Wunschstandort in München war ihr wichtig, dass sie auf dem Weg zur Arbeit mit der Bahn nicht so oft umsteigen müsste - Erwartungen, die außer IT-Fachkräften wohl kaum andere Berufseinsteiger anstellen können.

Dass Entwickler, Systemadministratoren und Datenwissenschaftler überall gebraucht werden, verändert den Arbeitsmarkt für diese Fachkräfte. Drei von vier Betrieben klagen bereits über zu hohe Gehaltsvorstellungen, berichtet der Branchenverband Bitkom. Die Personalerin Julia Hohmann von Engel & Völkers beobachtet diese vor allem bei Kandidaten für Jobs, in denen Computer-Basiskenntnisse ausreichten. Noch größere Probleme bereitet aber die Suche nach Kandidaten, die etwa html programmieren können. Sie werden in Karrierenetzwerken direkt angesprochen: "Leider antworten Kandidaten selten oder gar nicht, selbst wenn unsere Geschäftsführer sie persönlich anschreiben", sagt Hohmann. Andere wollten bloß Angebote einholen, um bei ihrem Arbeitgeber mehr Geld herauszuhandeln.

Ein Schlaraffenland für Techies ist die Situation dennoch nicht, zum Beispiel wenn der Ort nicht passt oder sie sich gar nicht angesprochen fühlen: "Ich bekomme ein, zwei Anfragen pro Woche und die meisten passen nicht zu meinem Profil", sagt Hannibal.

Die Situation auf dem IT-Arbeitsmarkt zeigt aber auch, dass Bewerber manchmal die Anforderungen überschätzen. Auf ihren aktuellen Job hätte sich die Entwicklerin nie beworben, sagt Hannibal. Die Tätigkeit als Web-Scraping-Developer baut auf ihrer Ausbildung auf: "Ich habe den Titel der Stellenausschreibung zuerst gar nicht richtig verstanden." Das junge Fintech-Unternehmen und sie haben mithilfe von Honeypot zueinandergefunden, einer Jobplattform für Entwickler, die Erwartungen managt und Firmen wie Kandidaten hilft, sich vorzustellen.

Weiterbildung wird gefördert und gefordert

Gründer Kaya Taner hat eine Geschäftsidee im Recruiting-Frust der Branche entdeckt, als er selbst Fachkräfte suchte. Auf der Plattform werden beide Seiten über Gehaltsentwicklungen, über Angebot und Nachfrage für bestimmte Positionen informiert. Ein großer Vorteil für Personalerin Hohmann, die diese Plattform ebenfalls nutzt: Alle Kandidaten sind auf Jobsuche, Profile sind nur für drei Wochen sichtbar.

Entwickler müssen zunächst einen Coding-Test absolvieren, dann klopfen Betreuer ab, ob sie alle relevanten Kenntnisse im Lebenslauf verständlich beschrieben haben. "Meine Betreuerin wollte, dass ich Beispiele für Projekte nenne, an denen ich besonders viel gelernt habe, viel detaillierter, als ich es gemacht hätte", sagt Hannibal. Sechs Unternehmen nahmen daraufhin zu ihr Kontakt auf. Ihr heutiger Chef erklärte ihr im Interview, was sie sich unter der Stelle vorstellen kann und was sie dort noch lernen würde. Anhand von verschiedenen Aufgaben bewies sie ihr technisches Verständnis. Zertifikate waren kein Thema, die Firma wollte nur wissen, was sie kann.

Über rasante Entwicklungen und Fachkräftemangel wird oft mahnend berichtet. Aber sie tun dem Markt gut: Nicht der Abschluss anno dazumal ist entscheidend, sondern Kenntnisse, woher sie auch kommen mögen. Weiterbildung im Job wird gefördert und gefordert - eine Einstellung, die bei anderen Betrieben und ihren Beschäftigen noch nicht vorherrscht. Und die Einstellungspraxis wandelt sich zugunsten von Frauen, obwohl sie nur 15 Prozent der Bewerber auf IT-Spezialistenjobs ausmachen. Ökonomen haben festgestellt, dass Frauen sich tendenziell unterschätzen. Die IT steht offen für jeden, der sich anstrengt. Frauen, die sich selbst aussortieren, kann sich die Branche nicht leisten.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4367719
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 15.03.2019/lho
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.