Karriere in der Küche:"Als hätte ich mein Geschlecht an der Tür abgegeben"

Karriere in der Küche: Küchenchefinnen: Adrienne Cheatham, Melissa Rodriguez und Amanda Cohen (v.l.n.r.)

Küchenchefinnen: Adrienne Cheatham, Melissa Rodriguez und Amanda Cohen (v.l.n.r.)

(Foto: Melissa Horn; M.Cooper/laif; Georgina Richardson)

Frau zu sein galt in der New Yorker Gastronomie lange als Makel. Köchinnen mussten sich anpassen und unterordnen. Doch mit #MeToo hat sich einiges geändert.

Von Kathrin Werner

Melissa Rodriguez trinkt abwechselnd Leitungswasser und eisgekühlten Espresso aus großen Plastikgefäßen. Die Küchenchefin will nicht müde werden, schließlich muss alles perfekt sein - wie jeden Abend. Sie liest die Bestellzettel vor. "Noch zweimal Anelloni", gibt sie durch. "Zwei Anelloni", wiederholt einer der Köche hinter ihr und macht sich an die Arbeit. Konzentrierte Blicke, jeder Handgriff sitzt, jede Zutat hat ihren Platz. Rodriguez, in blitzweißer, gestärkter Kochjacke und Schürze, probiert die Bolognese, hobelt exakt fünf Gramm von einem Trüffel ab, verteilt Pasta-Muscheln perfekt auf große, weiße Teller.

Löffel klappern in Töpfen, die Arbeitsflächen schimmern silbern, das Nudelwasser dampft. Amuse-Bouches, warme und kalte Vorspeisen, Pasta, Fisch, Fleisch, Nachtisch - mehr als 50 Leute rotieren zwischen Herd, Ofen und Schneidebrettern. Die Küche ist riesig, sie hat mehr als 1000 Quadratmeter auf zwei Stockwerken. Kellner tragen vorsichtig Tabletts mit den angerichteten Speisen hinaus und stapelweise schmutziges Geschirr wieder hinein. Trotzdem ist es ruhig. Rodriguez will es so. Sie will nicht schreien. "Ich möchte eine positive Arbeitskultur schaffen", sagt die 39-Jährige. "Wir verbringen hier schließlich mehr Zeit als mit unseren Partnern."

Rodriguez, Küchenchefin des Restaurants "Del Posto" im New Yorker Stadtteil Chelsea, ist eine Seltenheit wegen ihres Führungsstils. Spitzenköche sind eigentlich berühmt für Wutausbrüche, nicht für freundliche Selbstbeherrschung. Und auch, weil sie eine Frau ist. Sie ist eine von nur zwei Michelin-Sterne-Köchinnen in New York, männliche Köche dagegen führen 74 Sterne-Restaurants. Haute Cuisine ist noch immer eine Männerbastion, die alte Branche der Gastronomie ein Spiegelbild der Old Economy: Männer an der Spitze, Frauen im Service oder als Zuarbeiterinnen. Noch.

Vom Makel zum Marketinginstrument

Immer mehr Küchenchefinnen und Restaurantbesitzerinnen setzen sich durch und bekommen zunehmend Aufmerksamkeit. Bei den James Beard Awards, den Oscars der Restaurantszene, gewann diesmal sowohl eine Frau den Gesamtpreis für "Outstanding Chef" als auch für "Bester Koch / Beste Köchin in New York". Der Druck auf den Guide Michelin wächst, die Kriterien zu überarbeiten. Die Gastronomieszene in New York hat eine ganze Reihe von #MeToo-Skandalen erlebt - einer ekelhafter als der andere. Die Wut nach den Veröffentlichungen hat den Frauen der Branche neuen Zusammenhalt und neuen Schwung gegeben, jetzt wirklich etwas ändern zu wollen. Und auch den Gästen: In Restaurants mit Küchenchefinnen zu gehen, ist ein Trend. Das Geschlecht hat sich vom vermeintlichen Makel zum Marketinginstrument gewandelt.

Rodriguez hat schon als Teenager angefangen zu kochen, weil ihr das Essen ihrer Mutter nicht schmeckte. Als sie Profiköchin werden wollte, war ihre Mutter dagegen: zu viel Druck, zu viel Arbeit, zu viel Schinderei. Rodriguez kam mit Brandnarben an den Armen und dunklen Augenringen nach Hause, aber sie liebte die Präzision des Kochens und die Herausforderung, sie wollte sich beweisen. Sie liebt es noch immer, wenn ihr Küchenteam arbeitet wie eine gut geölte Maschine.

Melissa Rodriguez

Melissa Rodriguez ist die Küchenchefin des "Del Posto" in New York. Ihr ist ist eine positive Arbeitskultur in der Küche wichtig. Die Regel ist das nicht.

(Foto: M. Cooper/Redux/laif)

Rodriguez weiß aber, dass Köche leicht ausbrennen. Sie treibt mehrfach pro Woche Sport, liest viel, spielt Klavier, geht regelmäßig zur Gesprächstherapie und versucht, ihre Mitarbeiter dazu zu bringen, sich noch für andere Dinge außerhalb der Küche zu interessieren. Sie nimmt freie Tage, um sich zu erholen. Und wenn sie krank ist, kommt sie nicht zur Arbeit. Sie will schließlich auch nicht, dass ihre Mitarbeiter krank in die Küche kommen. Das ist keine Selbstverständlichkeit in der Gastronomie. "Wir sprechen viel darüber, wie man auf sich selbst aufpasst", sagt sie. "Es ist mir sehr wichtig, eine gute Mentorin zu sein."

Dass sie einmal einen Michelin-Stern verdienen würde, konnte sie sich anfangs nicht vorstellen. In den Restaurants, in denen sie tätig war und sich hocharbeitete, war sie oft die einzige Frau. Sie sei ein stiller, zurückhaltender Typ, sagt sie. "Aber wenn mir jemand etwas nicht zutraut, arbeite ich umso härter." Geschlechter-Klischees nerven sie. "Ich habe immer so gearbeitet, als hätte ich mein Geschlecht an der Tür abgegeben", sagt sie.

Trotzdem hat sie Führungsqualitäten, die als weiblich gelten: Sie hört zu, statt nur zu befehlen, Teamarbeit ist ihr wichtig. Alle Mitarbeiter dürfen Vorschläge machen, was auf die Karte kommen soll. Rodriguez ist nicht die Alleinherrscherin. "Ich verlange von mir selbst viel und genauso viel von meinen Leuten", sagt sie. "Aber ich will eine Arbeitsatmosphäre, in der wir uns alle wohlfühlen." Und sie fördert gezielt Frauen in der Branche: In ihrer Küche mit den silbern schimmernden Arbeitsplatten arbeiten überall Frauen. Von ihren wichtigsten zehn Führungskräften sind drei weiblich, mehr als in den meisten Spitzenrestaurants.

Männer hängen oft immer noch finanziell mit drin

Worüber Rodriguez nicht so gern spricht: Mario Batali war bis vor Kurzem finanziell an ihrem Restaurant "Del Posto" beteiligt. Batali ist der prominenteste Koch, der sich als #MeTooTäter entpuppte: Er betatschte etliche Mitarbeiterinnen, öffnete Büstenhalter, anzügliche Kommentare waren an der Tagesordnung, die Liste ist lang. Dabei hatte Batali sich in der Öffentlichkeit über Jahre hinweg als Frauenförderer präsentiert. "Mel demonstriert und unterstreicht, warum mehr Frauen unsere Küchen leiten sollten", sagte er zum Beispiel über Melissa Rodriguez. Rodriguez will zu Batali nicht viel sagen, nur das: "Er hat hier im Tagesgeschäft keinen Einfluss." Im März 2019 gab er nun offiziell seine Anteile ab.

Auch im "Spotted Pig" ging Batali ein und aus. Das Restaurant im West Village war seit 2004 der hippste Treffpunkt für Models, Musiker und alle, die gern die Köpfe nach ihnen umdrehen. Es gehörte Ken Friedman und seiner Geschäftspartnerin April Bloomfield. Das Restaurant machte erst die Köchin berühmt und sie danach mehr und mehr auch das Restaurant. Bloomfield gewann einen Michelin-Stern, und ihr Name fällt New Yorkern als Erstes ein, wenn sie an Spitzenköchinnen denken. Sie war das, was vielen jungen Köchinnen vorher fehlte: ein Vorbild. Inzwischen aber denkt jeder nur noch an eins: Den "Rape Room", das Vergewaltigungszimmer im dritten Stock, in das der Grapscher und Choleriker Friedman seine Mitarbeiterinnen lockte.

Sie habe Friedman nicht aufhalten können und auch nicht alles gewusst, sagte Bloomfield, nachdem alles aufgeflogen war. Sie hat die Partnerschaft gekündigt, das "Spotted Pig" gehört nun allein Friedman. Das ist einer der Hauptkritikpunkte, nachdem die Skandale ans Licht gekommen sind: Männer wie Friedman oder Batali verdienen weiter Geld mit ihren Restaurants. "Die Frauen, die sich im Laufe der #MeToo-Bewegung an die Öffentlichkeit getraut haben, haben das Rampenlicht auf diese Branche gerichtet - und alle Kakerlaken haben sich verdrückt", schrieb die ehemalige "Spotted Pig"-Kellnerin Trish Nelson in einem Essay. Sie verstecken sich, weg sind sie aber nicht. "Wir haben gemerkt, dass wir noch eine Menge Arbeit vor uns haben."

"Du kannst nur schmutzige Witze machen, wenn alle Frauen Untergebene sind"

Amanda Cohen scheut diese Arbeit nicht. Sie ist eine der lautesten Kämpferinnen für Frauenrechte in der Branche. Die Besitzerin und Chefköchin von "Dirt Candy" in der Lower East Side von Manhattan ist im Vorstand der Interessensvertretung Women Chefs & Restaurateurs und berät auch die seit der #MeToo-Bewegung neu gegründete Gruppe Women in Hospitality United. Sie hat viel zu tun, natürlich vor allem in ihrem Restaurant. Gerade ist es voll mit Brunch-Gästen. Cohen muss Saucen abschmecken und begutachten, ob ihre Köche die Speisen ordentlich angerichtet haben. Sie hat schon wieder Dutzende ungelesene E-Mails. Und morgen reist sie nach Südafrika, um bei einer Restauranteröffnung zu beraten. "Dirt Candy" ist das beste vegetarische Restaurant New Yorks; Cohen ist die Erste, die Haute Cuisine mit Gemüse macht. Die New York Times gab "Dirt Candy" zwei Sterne, der Guide Michelin empfiehlt es, fast immer ist es brechend voll.

Die Gastronomiebranche müsse sich besser organisieren und sich selbst Regeln geben, fordert Cohen: für bessere, gerechtere Löhne, für Krankenversicherungen für die Mitarbeiter und für Mutterschutz. "Wir brauchen eine Art Verwaltungsrat", sagt die 44-Jährige. Fehlende Kinderbetreuung sei der Hauptgrund, dass Frauen die Branche verlassen. "Sie gehen nicht, weil es hart ist", sagt sie. "Frauen sind doch viel härter als Männer." Aber die Arbeitszeiten lassen sich schlecht mit einer Familie vereinbaren. "Wir als gesamte Branche haben die Frauen hängen lassen", sagt sie. Wie die meisten Spitzenköchinnen hat auch Cohen keine Kinder. "Es ist unglaublich schwierig, etwas zu ändern, allein schon weil wir alle so wenig Zeit haben neben unseren Jobs", sagt sie. "Aber so wie es ist, kann es nicht weitergehen." Schon jetzt sind Mitarbeiter knapp in der Branche. "Wir können uns nicht erlauben, die Frauen zu verlieren."

Amanda Cohen
(Foto: Georgina Richardson)

"Dirt Candy" hat eine offene Küche. Die Gäste können zuschauen, wie Cohens Köche Möhren schneiden und geräucherte Rote Bete auf Sandwiches stapeln. Und sie können sehen, wie Cohen ihr Team führt. Sie schreit nie, genau wie Melissa Rodriguez bei "Del Posto". "Leute arbeiten besser, wenn sie sich wohlfühlen", sagt sie. "Wir Frauen sind in unserer Karriere mehr belästigt und herumgeschubst worden und wollen aus diesem Kreislauf ausbrechen."

Adrienne Cheatham ist schon ausgebrochen. Die 37-Jährige ist einer der neuen weiblichen Kochstars, sie war im Finale von Top Chef, einer Fernsehshow, in der Spitzenköche gegeneinander antreten. Cheatham hat in mehreren TopRestaurants gearbeitet, unter anderem war sie Executive Sous Chef im New Yorker Drei-Michelin-Sterne-Restaurant "Le Bernardin", eine der höchsten Positionen in der Küche. Die Restaurants ihrer Anfangsjahre waren, sagt sie, "eine Welt der Arschlöcher und Cowboys". Ein Kollege fasste ihr an den Hintern, zotige Witze gehörten zum Alltag. Und einmal war ihr Chef so wütend, dass er mit einem Metallcontainer nach ihrem Kopf warf und sie nur knapp verfehlte.

Andererseits liebte sie die geschlechtsunabhängige Anerkennung. "Ich war einfach 'one of the guys', als sie gemerkt haben, dass ich gut in meinem Job bin", sagt sie. Sie ist optimistisch. In den letzten paar Jahren sei vieles besser geworden, vor allem weil es mehr und mehr Frauen in Führungspositionen gibt. "Das ändert die Kultur", sagt sie. "Du kannst nur schmutzige Witze machen, wenn alle Frauen Untergebene sind und du den Ton diktierst."

Frauen müssen sich mehr unterstützen

Auch der seit #MeToo stärkere Druck von außen helfe, sagt Cheatham. Gegen die alten machogeführten Restaurants gibt es Boykottaufrufe. Und der besagte Trend, in frauengeführte Restaurants zu gehen, wächst stetig weiter. Der Lieferdienst Grubhub hat deswegen sogar eine Website gestartet, RestaurantHER, die alle von Frauen geführten Restaurants in einer Karte vermerkt. Das Interesse ist da, aber oft fehlen den Gästen Informationen über die Küchenchefi nnen und -chefs in ihrer Stadt, glaubt das Grubhub-Team. Es gibt seit Kurzem sogar ein IndieMagazin, Cherry Bombe, über coole und erfolgreiche Frauen in der Gastronomie (siehe Seite 5). Redaktionssitz: Brooklyn. Die Hefte sind fast immer ausverkauft, der dazugehörige Podcast hat mehr als eine Million Downloads im Jahr.

Adrienne Cheatham
(Foto: Melissa Hom)

Doch es gibt noch Hürden. Als sie nach Jahren des Hocharbeitens unter männlichen Chefs ihr eigenes Restaurant eröff nen wollte, stieß Adrienne Cheatham auf ein Hindernis, an dem viele Frauen scheitern: Geld. Wer Startkapital für ein Restaurant braucht, triff t fast ausschließlich auf männliche Investoren. Und die investieren deutlich häufi ger in Männer. Es ist ein Teufelskreis: Berühmte Köche bekommen eher Geld und können deshalb große, erfolgreiche Restaurants eröff nen. Frauen sind nicht berühmt genug für großes Geld und eröff nen deshalb kleine oder gar keine Restaurants - und werden so auch nicht berühmt. "Ich hatte keine Ahnung, wie hart es werden würde", erzählt Cheatham. "Die Investoren haben alle gesagt, sie hätten ja von mir noch nie gehört." Es war einer der Gründe, warum sie zugesagt hat, als die Produzenten der Fernsehshow Top Chef sie einluden.

Gerade ist sie Gastgeberin einer Dinnerserie in wechselnden Restaurants in Harlem. Solche Pop-up-Restaurants liegen im Trend, insbesondere, wenn sie sich auf weibliche Köche konzentrieren. "Vinatería" in Harlem zum Beispiel lädt immer wieder Köchinnen und Weinkennerinnen zum Gastkochen ein - die Abende sind stets ausverkauft. "Ich habe schon seit Langem die Vision einer Gemeinschaft unter weiblichen Köchen, eine Art Schwesternschaft", schrieb "Vinatería"-Küchenchefi n Mimi Weissenborn bei Instagram. "Wir müssen uns gegenseitig anfeuern." Cheatham war auch schon zu Gast. Die Köchinnen der Stadt unterstützen einander immer mehr, sagt sie. "Die Männer fördern einander schließlich auch." Sie erwähnt zum Beispiel immer wieder gute Kolleginnen in sozialen Medien, das ist wichtig, sagt sie. "Ich glaube, dass die Leute gern das Gefühl haben, dass sie etwas Gutes tun. Wir müssen nur dafür sorgen, dass tolle Köchinnen mehr Aufmerksamkeit bekommen."

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