Karriere-Frauen:Wie geschmiert - das war einmal in Norwegen

Kathrine Molvik Norwegen Ölindustrie

Kathrine Molvik war das erste Mädchen in ihrem Ausbildungsbetrieb. Wegen ihr mussten die Jungs ihre Pin-up-Bilder wegräumen - haben sie aber bald wieder aufgehängt. Kathrine Molvik hat es nicht gestört. Heute leitet sie ihr eigenes Unternehmen, das Schweißfachingenieure an Firmen vermittelt.

(Foto: Ben Speck; Ben Speck)

Erdöl hat das Land reich gemacht, doch nun bricht das Geschäft ein. Den wirtschaftlichen Wandel gestalten maßgeblich Frauen.

Von Silke Bigalke

Die ersten sechs Monate liefen sehr gut. Kathrine Molvik, Schweißfachingenieurin, Mutter von vier Kindern, hatte im Sommer 2014 ihr eigenes Unternehmen gegründet. Sie hatte das kurzfristig entschieden, war einem Bauchgefühl gefolgt. Ein wenig riskant war das schon. Die Familie hatte gerade ein Haus gekauft, einen Kredit aufgenommen. Kathrine Molvik gab einen aussichtsreichen Job in der Erdölindustrie auf.

Ihre Idee, eine Art Expertenteam für Schweißarbeiten, kam gut an. Ihre Kunden, vor allem norwegische Industrieunternehmen, brauchen keinen eigenen Schweißfachingenieur einzustellen, wenn sie Molviks Service buchen. Sie haben stattdessen ein ganzes Team, das alle Schweißprojekte im Unternehmen betreut. So möchte Molvik die Verfahren verbessern. Geschweißt wird in Norwegens Industrie schließlich immer. Und als Molvik anfing, lag der Ölpreis noch bei mehr als 100 Dollar pro Barrel.

Kathrine Molvik hatte also gerade ihr Leben auf den Kopf gestellt, da begann der Ölpreis zu fallen. Er sank so schnell und tief, dass nicht nur die Gründerin umdenken musste. Innerhalb von sechs Monaten fiel der Ölpreis um mehr als die Hälfte. Konzerne legten Projekte auf Eis, strichen Jobs. Vergangenes Jahr arbeiteten 25 000 Menschen weniger für die norwegische Erdölindustrie als 2014.

Aufgeben? "Ich habe mir nicht einmal erlaubt, daran zu denken"

Ein ganzes Land versucht seither, sich neu zu erfinden. In Norwegen nennt man das "Omstilling", das Wort steht für Wandel, Umstellung, neue Strukturen. Kathrine Molvik ist das beste Beispiel dafür - eben auch, weil sie eine Frau ist.

"Natürlich gibt es Zeiten, da denkst du: Oh Gott, was habe ich getan!", sagt sie. In Sommerkleid und Turnschuhen sitzt die 36-Jährige am Computer, klickt durch ihre Firmenpräsentation. Ihr Büro hat sie in einem Start-up-Zentrum in Knarvik, einem kleinen Ort an der Westküste, 30 Kilometer nördlich von Bergen, etwa 5500 Einwohner. Das Start-up-Zentrum liegt am Ortsrand, ein moderner, hellgrauer Neubau mit bunten Sitzmöbeln in der Lobby. Von der Kantinenterrasse aus sieht man das Wasser, die Fjorde, dort fahren die Touristenboote vorbei.

Aufgeben? "Ich habe mir nicht einmal erlaubt, daran zu denken", sagt Kathrine Molvik. Schweißer braucht man schließlich nicht nur auf Ölplattformen, sondern auch, wenn man Häuser, Schiffe, Straßen, Eisenbahnen, Kaffeemaschinen baut. Selbst das Rednerpult, an dem Kronprinzessin Mette-Marit stand, als Molvik im März den Preis für die Gründerin des Jahres gewann, war geschweißt. Die Bilder von der Preisverleihung hängen über Molviks Schreibtisch.

Neun Ministerinnen für den Wandel

Die Regierung spricht seit Jahren über den "Wandel von einer Wirtschaft, die zu sehr auf Öl und Gas gestützt war, zu einer Wirtschaft, die breiter aufgestellt ist", wie es Ministerpräsidentin Erna Solberg formuliert. Ein Wandel, der nun größtenteils von Frauen gesteuert wird: In Solbergs Regierung sitzen neun Ministerinnen, sie besetzen auch die für die "Omstilling" wichtigen Ressorts Finanzen, Wirtschaft, Soziales. Den Unternehmensverband und den Gewerkschaftsbund leiten ebenfalls Frauen.

Sie möchten nicht nur die Abhängigkeit vom Öl, sondern ein weiteres norwegisches Dilemma beseitigen: Denn obwohl Frauen in der Politik stark sind, ist die Wirtschaft ebenso stark von Männern dominiert wie vom Öl. Nur etwa jede fünfte Führungskraft ist eine Frau, nur drei von zehn Gründern sind weiblich.

Norwegen hat keine Start-ups wie Spotify und Skype

Norwegen habe größere Chancen auf Veränderung "wenn Frauen mehr Entscheidungen in der Geschäftswelt treffen als heute", sagt Dilek Ayhan, Staatssekretärin im Wirtschaftsministerium. Bevor sie ins Ministerium kam, war sie selbst Unternehmerin, hat eine Personalberatungsfirma für international tätige Unternehmen aufgebaut. Dilek Ayhan findet es mutig von der Regierung, eine Gründerin zur Staatssekretärin zu machen. Sie sitzt in einem großen Konferenzraum, vor der Tür herrscht Chaos. Das Fischereiministerium zieht ins Gebäude ein, es wurde mit dem Industrieministerium zusammengelegt. Fisch ist einer der wichtigsten Wirtschaftszweige, die Norwegen außer dem Erdöl hat.

Die norwegische Gründerszene ist im skandinavischen Vergleich eher unauffällig. Norwegen hat keine Start-ups wie Spotify und Skype in Schweden, Rovio und Supercell in Finnland. Dilek Ayhan sitzt an dem großen Konferenztisch und versucht zu erklären, warum Norwegen anders ist als andere Länder. Immer noch hängen 15 Prozent des Bruttoinlandsprodukts vom Erdöl ab, und 40 Prozent der Exporte. "Es ist überhaupt nicht seltsam, dass innovative Menschen, die gute Geschäfte machen wollen, den ­Erdölsektor wählen", sagt Dilek Ayhan. Man könnte auch sagen, den Norwegern ­fehlten für Experimente außerhalb des Erdölgeschäfts die Leute, die Zeit, und irgendwie auch die Notwendigkeit.

Die Krise macht die Menschen risikofreudiger

Nun bemüht sich die Regierung, das Gründertum im Land populär zu machen. Ihre Frau dafür ist Anita Krohn Traaseth. Sie leitet das staatliche Unternehmen Innovation Norway, das Gründer und innovative Firmen berät und fördert. Die 44-Jährige war früher Chefin von Hewlett-Packard in Norwegen, ist dreifache Mutter und Sachbuchautorin. Das Büro ihrer Innovationsagentur liegt nur drei Straßen vom Ministerium entfernt, Osloer Innenstadt. Den Weg dazwischen muss man sich durch Baugerüste bahnen. An vielen Orten wird in Norwegen nun mehr gebaut - auch eine Beschäftigungsmaßnahme in der Ölpreiskrise.

Wieder ein Besprechungsraum, dieser ist kleiner, hell und freundlich. In schwarz-weißem Kostüm, die blonden Haare zum lockeren Knoten gebunden, sitzt Anita Krohn Traaseth vor einer modernen Tapete mit Baummotiv. "Wenn man vor drei Jahren in norwegische Zeitungen geschaut hat, konnte man dort nicht viel über Start-ups, Wachstumsfirmen oder Gründer lesen", sagt sie. Nun lese man davon jeden Tag. "So eine Krise verändert die gesamte Mentalität." Die Menschen seien mehr dazu bereit, Risiken einzugehen.

"Weil wir so wenige sind, müssen wir jedes Talent nutzen, das wir haben"

Das war nicht immer so. Anita Krohn Traaseth nennt ihre Generation die "krisenlose Generation". Dotcom- und Eurokrise haben Norwegen wenig betroffen, auch dank des Öls. "Die vergangenen 45 Jahre war die Nordsee unser wichtigster Inkubator", sagt sie. Dort habe man erstaunliche technische Konstruktionen gebaut. "Doch jetzt ist das, was wir tun, nicht genug."

Um es besser zu machen, braucht Norwegen ihrer Meinung nach die Frauen. "Omstilling" ist für sie keine Geschlechterfrage, "es ist eine Frage des norwegischen Humankapitals. Dort müssen wir, weil wir so wenige sind, jedes Talent nutzen, das wir haben". Doch wie überredet man die Frauen dazu, mitzumachen?

Bei Innovation Norway gibt es ein "Gründertelefon", bei dem Menschen mit einer Geschäftsidee um Rat fragen können. Anita Krohn Traaseth hat dort einen Tag lang selbst Anrufe entgegengenommen. 80 Prozent, schätzt sie, kamen von Männern aus der Öl- und Gasindustrie. Männer, die ihre Ideen seit vielen Jahren mit sich herumtragen und sie nun endlich verwirklichen wollen, "weil es für sie in ihren Jobs nicht mehr sicher ist".

Als erstes Mädchen im Ausbildungsbetrieb

Kathrine Molvik kommt aus dieser Männerwelt. Sie war das erste Mädchen in ihrem Ausbildungsbetrieb, damals lernte sie Industrieklempnerin. Sie zog sich auf der Behindertentoilette um, weil es keine Frauenumkleiden gab. Das ist zwanzig Jahre her. Doch in ihrer Karriere habe sie stets das Gefühl gehabt, besser sein zu müssen als die männlichen Kollegen. "Weil ich immer zeigen musste, dass ich das kann."

Kathrine Molvik erklärt ihre Geschäftsidee: Ein Schweißfachingenieur plant und überwacht die Schweißarbeiten in einem Unternehmen. Eine verantwortungsvolle Aufgabe, wenn es etwa darum geht, Rohre für die Ölindustrie zu verschweißen. Und ein einsamer Job, denn die Unternehmen leisten sich meist nur je einen dieser Fachleute. In Norwegen gebe es etwa 250 zertifizierte Schweißfachingenieure, schätzt Kathrine Molvik. Sie möchte sie am liebsten alle anstellen und einen großen Expertenpool aufbauen, in dem sie sich austauschen und spezialisieren können. Molviks Angebot: Die Kunden können sich ihren eigenen Experten sparen und bekommen von ihr stattdessen bei Bedarf ein ganzes Team gestellt, ein hoch qualifiziertes.

Nach dem Ölpreissturz hat sich Kathrine Molvik breiter aufgestellt, möchte ihre eigenen Schweißverfahren zertifizieren lassen, eine Werkstatt aufbauen und Schweißer ausbilden. Der Gründerinnenpreis und das Preisgeld von einer halben Million Kronen (etwa 54 000 Euro) helfen dabei. Die Auszeichnung soll Frauen zur Gründung motivieren. Als der Preis 2009 ins Leben gerufen wurde, gab es etwa 30 Bewerberinnen. 2016 waren es schon mehr als 130.

Innovation in Frauendomänen fördern, Frauen in Männerdomänen holen

Im Moment arbeiten die meisten norwegischen Frauen im öffentlichen Sektor, in Verwaltung, Gesundheitswesen, Pflege. In diesen Bereichen gebe es nur wenig Firmengründer, sagt Staatssekretärin Dilek Ayhan. Sie möchte Innovationen in diesen Frauendomänen stärker fördern und denkt dabei an Erfolgsgeschichten wie die einer früheren Krankenschwester, die 2007 ein besonders saugfähiges Laken erfunden hat. Die Arbeit in der Geburtshilfe brachte sie auf die Idee. Ihr Tuch wird heute nicht nur in Krankenhäusern, sondern auch von Installateuren benutzt.

Die Ölpreiskrise als Chance für die weibliche Seite der Wirtschaft, für die Dienstleisterinnen und Krankenschwestern? Dilek Ayhan hofft auch, dass sich mehr Frauen in die Männerdomänen wagen. Die "Ocean Industries" werden weiterwachsen, sagt sie, Erdöl, Schifffahrt, Fisch. "Wir werden dort immer noch Ingenieure brauchen, und ich hoffe, dass wir mehr weibliche Ingenieure haben werden."

Der Anteil der Geschäftsführerinnen in Norwegen sei in sieben Jahren gerade einmal von 15 auf 19 Prozent gestiegen (Stand 2013), sagt die Chefin von Innovation Norway, Anita Krohn Traaseth. Ein Unternehmen zu leiten oder zu gründen, bedeutet großes Risiko, Zeitmangel, Druck, Wettbewerb. "Es sieht so aus, als würden norwegische Frauen das nicht wollen, auch wenn wir die Gesetze und Rechte haben, dass sie es tun könnten", so Krohn Traaseth. Im "Glass-ceiling-Index" des Economist landet Norwegen auf Platz zwei der besten Länder für berufstätige Frauen. Frauenquote, Vätermonate, Kindergartenplatzgarantie - all das gab es hier früher als anderswo.

Das Chaos genießen

Aber auch hier findet sich die dreifache Belastung: Karriere, Kind, Perfektionismus. "Du musst perfekt sein im Job, eine perfekte Mutter, Sport machen, die perfekte Ehefrau sein, die perfekte Freundin. Das ist nicht gesund", sagt ­Anita Krohn Traaseth. Sie rät angehenden Gründerinnen, das Chaos zu genießen und sich von einer Work-Life-­Balance erst mal zu verabschieden. ­"Akzeptiert, dass eure Kinder seltsam aussehen, wenn sie in den Kindergarten gehen, weil sie sich ihre Klamotten selbst rausgesucht haben." Sie habe das schon früh gelernt: loszulassen.

Anita Krohn Traaseth hat drei Töchter, auch deswegen möchte sie Frauen fördern. Sieben von elf Stellen in ihrem Top-Führungsteam sind mit Frauen besetzt. "Es war nicht sehr schwer, sie zu finden", sagt sie. Talentierte Norwegerinnen gebe es reichlich.

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