Karriere:Dialekt im Job? Reinschter Bogmischt

60 Prozent der Deutschen sprechen Dialekt - doch im Beruf kann das hinderlich sein. In Kursen lernen Berufstätige, wie sie auf Hochdeutsch umschalten. Viele werden vom Chef geschickt.

Von Miriam Hoffmeyer

Ernst blickt Michael Gaedt in die Runde. "Die Beschäftigung mit diesa Sprachö durchdringt mein ganzös Lebön!" Das klingt so hölzern und bemüht, dass die Gruppe in Gelächter ausbricht. Gaedt bleibt Entertainer - auch als emsiger Hochdeutsch-Schüler. Seit drei Jahrzehnten tourt der Schauspieler mit der Comedygruppe "Die kleine Tierschau" durch Deutschland, und selbstverständlich spricht er auf der Bühne Schwäbisch. Doch jetzt hat ihn auf seine alten Tage der Ehrgeiz gepackt, doch noch perfektes Hochdeutsch zu lernen.

Es geht dem Schauspieler um "bessere Kontrolle über sein Sprechen". Sieben Unterrichtsstunden hat er schon bei Ariane Willikonsky absolviert. "Sehr schön", lobt die Diplom-Sprecherzieherin, "achten Sie aber auf den Ei-Laut. Und die Endsilben wirken noch etwas zu angespannt, zu betont."

Als nächste Schülerin tritt Katja Schenk vor das Flipchart. "Ich habe schon lange nicht mehr Hochdeutsch geredet, weil ich zu Hause nicht so die Gelegenheit habe", sagt sie langsam und deutlich. "Und bei der Arbeit fällt es mir schwer, das umzusetzen. Wenn ich mich selbst höre, denke ich, da spricht jemand anderes." Katja Schenk arbeitet in einem Kindergarten auf der Schwäbischen Alb. Ihr Traum: "Bei Elternabenden Hochdeutsch sprechen, ohne gestelzt zu wirken!"

An der Käsetheke üben

Heute ist sie mit ihrem Mann zu einer Auffrischungsstunde ins Fon-Institut von Ariane Willikonsky nach Stuttgart gekommen. Schon vor Jahren hat das Ehepaar hier an einem Gruppenseminar teilgenommen und danach mal mehr, mal weniger fleißig mit Handbuch und CD weitergeübt. "Man merkt noch, wie Sie beim Sprechen nachdenken", sagt die Sprecherzieherin zu Frau Schenk und rät, immer mal wieder in Alltagssituationen Hochdeutsch zu sprechen, beispielsweise an der Käsetheke. "Die Routine bringt es ins Kleinhirn, das ist wie beim Schwimmen."

60 Prozent ...

... der Deutschen können einen Dialekt sprechen. Nach einer Untersuchung der Universität Mannheim gibt es die meisten Mundartler im Saarland, den dortigen Dialekt beherrschen 94 Prozent der Einwohner. In Bayern und Baden-Württemberg sind es 86 Prozent.

Studien zur Beliebtheit deutscher Dialekte kommen zu widersprüchlichen Ergebnissen: Nach der Mannheimer Studie erhält das norddeutsche Platt die meisten Sympathiepunkte, gefolgt von Bairisch und Alemannisch, einer Spielart des Schwäbischen. Wird hingegen nach den unbeliebtesten Dialekten gefragt, wie in einer Allensbach-Umfrage, ist Sächsisch der Spitzenreiter, gefolgt von Bairisch, Berlinerisch und Schwäbisch.

Dieter Schenk gehen die hochdeutschen Sätze inzwischen flüssig über die Lippen. Der 48-Jährige ist Geschäftsführer der Nürtinger Dachbegrünungsfirma Zinco, häufig reist er zu Vorträgen oder Messen außerhalb von Schwaben. "Neulich habe ich eine Präsentation gehalten, da kam hinterher ein Kollege aus der Firma zu mir und war ganz erstaunt, dass ich auch Hochdeutsch kann", erzählt Schenk. Er habe kein Problem damit, in Berlin oder Hamburg als Schwabe erkannt zu werden. "Aber wenn ich bei einem Vortrag Zuhörer aus ganz Deutschland habe, gehe ich mit Hochdeutsch besser auf sie ein. Das ist nun mal die Arbeitssprache."

Die drei Schüler geben gemeinsam ein gutes Bild dafür ab, dass Hochdeutsch in sehr unterschiedlichen Berufen benötigt wird. Der Entertainer Gaedt fällt auf mit seinen langen Koteletten, der gelb getönten Brille und den Tattoos auf dem rechten Arm. Geschäftsführer Dieter Schenk erscheint in Anzug und Businesshemd, seine Frau ist mit Jeans und Sneakern für die Arbeit mit Kleinkindern gerüstet.

Die große Mehrheit der Hochdeutsch-Schüler komme aber aus der Wirtschaft, erzählt Ariane Willikonsky. Allerdings melde sich nur jeder zweite aus eigenem Antrieb an. "Die Übrigen werden vom Chef geschickt. Die muss ich erst mal überzeugen, dass Hochdeutsch sie wirklich weiterbringt." Auf keinen Fall wolle sie den Leuten ihren Dialekt austreiben: "Es geht überhaupt nicht darum, dass Hochdeutsch etwas Besseres wäre, sondern um eine Erweiterung der Kompetenz."

Schwäbisch wirkt abweisend

Gerade Schwäbisch wirke auf Auswärtige eher abweisend als kommunikativ. Das liegt an den verschluckten R-Lauten und daran, dass viele "Bruddler" beim Sprechen den Mund kaum aufkriegen. "Die Stimme wird eng und fällt schon vor der ersten Zuschauerreihe nach unten", sagt Schauspieler Michael Gaedt. Bei ihren Sprechübungen sollen die Schüler ab und zu den Daumen in den Mund stecken, um sich an die Artikulation mit weiter geöffnetem Kiefer zu gewöhnen. Die hochdeutsche Aussprache verändert auf Anhieb auch den Klang der Stimme, die voller und runder wird.

Besonders vertrackt für Schwaben sind die S- und die E-Laute. Gaedt und das Ehepaar Schenk lassen sich am Flipchart erklären, dass ein gedrucktes "e" hochdeutsch auf vier verschiedene Arten ausgesprochen werden kann. "Es streben der Seele Gebete den helfenden Engeln entgegen", lautet ein beliebter Übungssatz aus dem Standardwerk der Sprecherziehung "Der kleine Hey". Streben - nicht sträben!

Eigentlich seien die Hochdeutsch-Regeln sehr einfach, meint Ariane Willikonsky. Nur deshalb könne man sie auch problemlos in einem eintägigen Seminar vermitteln. Ein Dialekt sei unvergleichlich viel schwerer zu lernen. Mal ganz abgesehen davon, dass es schon für die beiden Wörter "ein Ei" in den diversen Spielarten des Schwäbischen vier bis fünf verschiedene Aussprachevarianten gibt. Kein Wunder, dass viele Dialoge im Stuttgarter "Tatort" für echte Dialektsprecher "reinschter Bogmischt" sind.

"Das ungeheure Interesse daran hat mich völlig überrollt"

Übrigens wollen nicht nur Schwaben Hochdeutsch lernen. Ariane Willikonsky unterrichtet auch Sachsen, Bayern, Franken oder Hessen, oft per Skype. "Als ich mich vor mehr als zehn Jahren selbständig machte, bot ich alles an, was ich konnte", sagt die Schwäbin aus Hechingen - Logopädie, Stimmtraining, Sprechkunst. Und eben Hochdeutsch.

"Das ungeheure Interesse daran hat mich völlig überrollt." Willikonskys Gründungsidee fand einige Nachahmer, auch in Köln, Königswinter oder Hamburg gibt es heute Seminare für Dialektsprecher. Das Fon-Institut hat inzwischen vier Filialen und etwa 50 Mitarbeiter, von denen zwei ausschließlich Hochdeutsch unterrichten.

Alle paar Monate werden Gruppenseminare für Schwaben oder Sachsen angeboten, die aber nicht immer zustande kommen. Die meisten Kunden bevorzugen Einzelunterricht, sie wollen ihre Sprechweise nicht vor anderen Teilnehmern analysieren lassen. "Dabei kann man gerade aus den Fehlern der anderen sehr viel lernen. Aber das ist eben ein heikles Thema", sagt Willikonsky.

Die große Wanduhr zeigt "dreiviertel viere", wie es auf Schwäbisch heißt, die Stunde ist aus. Höggschte Zeit z'ganga, ade!

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