sueddeutsche.de: Personalverantwortliche sprechen immer häufiger vom "verdeckten Stellenmarkt". Was ist das?
Hans Rainer Vogel: Unter den Begriff fallen alle offenen Stellen, die nicht über eine Anzeige vergeben werden, sondern unter der Hand. Dahinter steht also ein Sammelsurium von Alternativen, einen Job zu bekommen: über Networking, Mund-Propaganda, Empfehlung von Kollegen oder durch Headhunter und Personalvermittler.
sueddeutsche.de: Wie viele Stellen werden mittlerweile so vergeben?
Vogel: Alle - zumindest auf der Ebene der Top-Führungskräfte. Oder haben Sie in der Zeitung schon einmal eine Anzeige für einen Dax-Vorstand gesehen? Im mittleren Management sind es immerhin 70 Prozent, und auf der Ebene der Sachbearbeiter oder ähnlichen Jobs sind es noch gut die Hälfte aller Stellen.
sueddeutsche.de: Ist es nicht unfair, wenn Unternehmen ihre Jobs nicht mehr ausschreiben? So wird schließlich ein großer Teil der möglichen Bewerber ausgeschlossen, weil er erst gar nicht von der freien Stelle erfährt.
Vogel: Unfair? Nein. Bei einer normalen Anzeige in einer Zeitung oder einem Online-Jobportal entstehen schließlich enorm hohe Kosten. Die Anzeige kostet Geld und zieht eine Fülle von Arbeit nach: Mitarbeiter müssen sämtliche Bewerbungen bearbeiten und beantworten. Da kommt schnell eine fünfstellige Summe zusammen - und 95 Prozent dieser Ausgaben entstehen durch Kandidaten, die für das Unternehmen uninteressant sind. Denen wird also nur eine Absage erspart. Neben dem finanziellen Gesichtspunkt gibt es aber noch andere Gründe, warum Unternehmen lieber mit dem verdeckten Stellenmarkt arbeiten.
sueddeutsche.de: Welche sind das?
Vogel: Angenommen, ein Unternehmen will sich von einer Führungskraft trennen, doch der betreffende Manager weiß noch gar nichts davon. Dann wäre es sehr ungeschickt, die Stelle offiziell auszuschreiben. Oder ein Mitarbeiter scheidet ganz plötzlich aus der Firma aus, das Budget gibt aber gerade keine Mittel für eine aufwändige Personalsuche her, weil sie nicht eingeplant war. Dann ist es doch clever, zum Beispiel die eigenen Mitarbeiter anzuzapfen, ob sie vielleicht einen geeigneten Kandidaten kennen. Solche Empfehlungen haben außerdem den Vorteil, dass sich so von vorneherein nur Bewerber vorstellen, die von ihren Freunden bereits sehr genau wissen, was sie erwartet.
sueddeutsche.de: Wie erfahren Bewerber von Jobs auf dem verdeckten Stellenmarkt?
Vogel: In der Regel gar nicht. Da sollte sich niemand Illusionen machen. Wer einen Job sucht, kann natürlich trotzdem auf Unternehmen zugehen - ohne vorher schon zu wissen, dass dort tatsächlich eine Stelle frei ist.
sueddeutsche.de: Also mit einer klassischen Blind- oder Initiativbewerbung?
Vogel: Nein. Bei solchen Bewerbungen schicken Jobsuchende mehr oder weniger wahllos ihre Unterlagen weg und erzählen darin den Unternehmen: 'Hier, das kann ich. Kannst du was mit mir anfangen?' Das ist aber ein völlig falsches Vorgehen. Bewerber müssen sich erst einmal darüber klar werden, was sie selbst überhaupt wollen, nicht was sie können. Ein Beispiel: Wenn jemand unbedingt Arzt werden möchte, sollte er sich auf fragen, warum. Geht es ihm wirklich um die Aufgaben eines Arztes? Dann ist er in einer Klinik oder Praxis richtig aufgehoben. Oder geht es ihm um das mit dem Beruf verbundene Sozialprestige? Dann könnte er auch in die Pharmaindustrie. Doch die meisten Bewerber überfordert schon dieser erste Schritt, viele haben sich noch nie damit beschäftigt, was sie eigentlich möchten.
sueddeutsche.de: Und wenn ein Bewerber herausgefunden hat, was er will - wie sollte er weiter vorgehen?
Auf der nächsten Seite: Wie Jobsuchende ihre Mappe gestalten sollten, wie viele Bewerbungen sie verschicken müssen.
Bildstrecke:Die dümmsten Bewerbungsfehler
Voll daneben: Von unmöglichen Anschreiben, zerschnittenen Fotos und seltsamen Ideen.
Vogel: Dann sollte er gezielt Firmen und Organisationen ansprechen, die seinen Bedürfnissen genau entsprechen. Man muss sich das wie bei einem Direct Mailing vorstellen: Ein Bewerber grenzt das Segment relativ genau ein und schickt dann 200 Briefe weg, die prägnant und präzise formuliert sind.
sueddeutsche.de: 200 Bewerbungen? Das wird vielen Jobsuchenden als sehr viel vorkommen.
Vogel: Aber genau da liegt das Problem: Viele stöhnen schon auf, wenn sie 30 Mappen rausgeschickt haben, aber das reicht einfach nicht aus. Wer als Naturwissenschaftler in die Industrie will, hat natürlich bessere Karten als etwa eine Frau im Marketing, aber jeder einzelne muss investieren.
sueddeutsche.de: Was ist mit einer Bewerbung per Mail? Bei so vielen Briefen kommt schnell eine Menge Geld zusammen.
Vogel: Natürlich. Schickt man schriftliche Bewerbungen, muss man schon mit 3000 bis 4000 Euro rechnen. Aber wer das nicht ausgibt, wird auf dem Markt das Nachsehen haben. Aber E-Mails werden viel zu schnell gelöscht oder gar nicht erst angesehen. Außerdem muss man ja nicht gleich eine dicke Bewerbungsmappe einschicken. Ein Anschreiben und ein aussagekräftiger Lebenslauf reichen beim Erstkontakt völlig.
sueddeutsche.de: Kein Deckblatt, keine Zeugnisse?
Vogel: Nein. Wenn ein Malermeister einem Kunden ein Angebot macht, legt er ja auch keine Zeugnisse dazu. Auf dem verdeckten Stellenmarkt funktioniert es ähnlich, der Bewerber macht einem Unternehmen ein Angebot: 'Das kann ich, und für diesen Preis bin ich zu haben.' Signalisiert die Personalabteilung Interesse, kann er die Zeugnisse immer noch nachsenden.
Hans Rainer Vogel ist Karriere-Coach und Autor des Ratgebers "Jobsearch: Werden Sie Ihr eigener Headhunter".