Süddeutsche Zeitung

Kanada: Verschuldete Akademiker:Generation Pleite

Einen Studienabschluss, ein mickriges Berufseinsteiger-Gehalt und 40.000 Euro Schulden: Immer mehr Akademiker in Kanada sind hoffnungslos überschuldet - weil sie der Regierung ihre Studienkredite nicht mehr zurückzahlen können.

Bernadette Calonego

Der Kanadier Will Fundal arbeitet seit fünf Jahren als Journalist, aber sein Studentendarlehen stottert er immer noch ab. "Ich schulde der Regierung jetzt noch 6000 Dollar", sagt er, "aber als Berufsanfänger verdiene ich wenig." Fundal würde gern ein Haus kaufen. Doch die Bank beschied ihm, um eine Hypothek zu erhalten, müsse er erst das Darlehen zurückzahlen. Das muss der 25-Jährige aus Prince George aber verschieben, denn er hat auch Kreditkartenschulden. "Hätte ich jetzt eine Familie zu unterhalten, wüsste ich nicht, was tun", sagt er.

Will Fundal ist einer von Scharen junger Kanadier, die noch Jahre nach dem Abschluss verschuldet sind. Etwa zwei Millionen kanadische Studenten beziehen ein Darlehen vom Staat. Die Gesamtschuld beziffert sich auf umgerechnet 14 Milliarden Euro, das schließt Kreditkartenschulden, Darlehen von Verwandten und Kredite der Banken mit ein, die für die Ausbildung gebraucht werden.

Allein die Summe, die Studenten der kanadischen Bundesregierung schulden, nimmt täglich um 0,8 Millionen Euro zu. Auch die Zahl der jungen Leute, deren Schuldenlast 18.000 Euro oder mehr beträgt, wenn sie die Uni verlassen, steigt: Im Jahr 1995 hatten noch 17 Prozent so hohe Schulden. Heute sind es 27 Prozent.

Einer der Hauptgründe ist der drastische Anstieg der Studiengebühren. Sie sind von durchschnittlich 1850 Euro im Jahr 1999 auf 3370 Euro im Jahr 2009 gestiegen. Die Gebühren können, je nach Provinz, 1700 bis 5700 Euro im Jahr betragen. Dazu kommen Unterkunft und Verpflegung. "Viele beginnen ihr Arbeitsleben mit riesigen Schulden", sagt Roxanne Dubois, Vorsitzende des Studentenbundes in Ottawa. "Wenn wir in diesem Tempo weitermachen, treiben wir eine gesamte Generation in den Bankrott." Immer mehr Studenten sind auf Darlehen angewiesen: Im Jahr 1995 waren es 49 Prozent, zehn Jahre später 57 Prozent.

"Die kanadische Regierung hat keine landesweite Vision, wie Studenten eine Ausbildung bekommen, die sie sich auch leisten können", sagt Dubois.

Manche können das Darlehen in der gebotenen Frist nicht zurückzahlen. Die Höhe der Schulden, die nicht mehr eingetrieben werden können, betragen derzeit insgesamt etwa 100 Millionen Euro. Die Kanadierin Nereid Lake stand kurz vor dem Abschluss ihres Studiums, als sie von den Behörden erfuhr, dass sie die Höchstgrenze ihres Darlehens erreicht habe. Die alleinerziehende Mutter hatte etwa 40.000 Euro Schulden angehäuft und musste das Studium abbrechen. Sie ist jetzt fast vierzig Jahre alt und schuldet der Regierung immer noch mehr als 30.000 Euro. "Ich hatte die Vorstellung, Studentendarlehen machten alle gleich", sagte sie der kanadischen Zeitung National Post. "Stattdessen landete ich in einem Schulden-Albtraum."

Als Präsidentin einer Schuldenberatungsfirma in Vancouver berät Margaret Johnson viele verzweifelte Akademiker. "Die durchschnittliche Schuld beträgt 30.000 bis 60.000 Dollar", sagt sie. Das sind etwa 20.000 bis 40.000 Euro. Die Bedingungen der Behörden sind unerbittlich: Absolventen müssen sechs Monate nach Verlassen der Hochschule mit der Rückzahlung anfangen. Der Zinssatz liegt bei acht Prozent. Darauf sind viele der jungen Leute nicht vorbereitet. Dann kommen die Schuldeneintreiber.

Margaret Johnson sagt, die Politiker sollten die Zinsen streichen, aber sie sieht keine Bereitschaft dazu: "Für die Regierungen ist es eine Geldmaschine." Zehn bis zwölf Prozent der Darlehen würden allerdings nie zurückbezahlt. Insolvente Ex-Studenten dürfen erst sieben Jahre nach ihrem Abschluss den Bankrott erklären. Das beeinträchtigt ihre Kreditwürdigkeit und die Chancen, ein Haus oder ein Auto zu kaufen oder auch eine Familie zu gründen. Oft bekommen sie außerdem Probleme auf dem Arbeitsmarkt.

Wenn so vielen Kanadiern das Geld für Konsumgüter fehle, werde die gesamte Wirtschaft leiden, sagt Johnson. Aber sie glaubt nicht, dass sich so schnell etwas daran ändern wird.

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SZ vom 04.07.2011/holz
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