Kampf eines Ex-Beamten:Schriftsätze sind seine Waffen

Lesezeit: 5 min

Psychologen bescheinigen Querulaten vor allem einen unstillbaren Drang zur Schriftlichkeit. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Franz Ellenburger will Gerechtigkeit. Er will sein Leben als Beamter zurück. Doch für die anderen ist Ellenburger ein Querulant, ein Mensch mit einem krankhaft übersteigerten Rechtsgefühl. Die Geschichte eines Mannes, der die Verheißung des Rechtsstaates zu ernst nahm.

Von Wolfgang Janisch, Ulm

Man mag gewisse Zweifel hegen, ob Franz Ellenburger wirklich gut beraten war, bei Gerichten und Behörden um die Wiederherstellung seines Lebensglücks nachzusuchen. Andererseits muss man sagen: Er hat sich auf das große Versprechen des Rechtsstaats verlassen, Unrecht könne repariert werden wie ein defekter Motor. Vielleicht hat er da etwas missverstanden, aber er hat die Verheißung eben ernst genommen. Zu ernst.

"Bis 1998 war ich wunschlos glücklich." Franz Ellenburger, der in Wahrheit anders heißt, ist 56 Jahre alt. Vielleicht ist sein Pulli eine Spur zu gelb, aber sonst: Umgänglich und aufmerksam ist er, kein Anzeichen dieser Penetranz, die aus seinen Schriftsätzen spricht. Zwei Stunden lang erzählt er im Café sein Leben. Den glücklichen und den unglücklichen Part.

Es beginnt mit der bescheidenen, aber erfreulichen Geschichte eines sozialen Aufstiegs. Der Sohn eines Gastwirtehepaars, geboren am Rande der Schwäbischen Alb, schafft es in den gehobenen Verwaltungsdienst und bringt es bis zum Leiter der Liegenschaftsverwaltung in Günzburg. Als Höhepunkt seiner Karriere sieht er die Ansiedlung des Legoland-Parks bei Günzburg. Legoland: bis heute ein Synonym dafür, dass die Karriere sich fortsetzen würde. "Ich war immer Optimist."

Die Hände zittern, das Lächeln verrutscht zur Grimasse

Doch fortan sollte es abwärts gehen. Ellenburger übernimmt den elterlichen Hotelbetrieb, doch darauf lasten Schulden, die nicht kleiner werden, sondern größer. Die Spannungen mit dem Vater wachsen, die Schwester wird krank, Ellenburger und seine Frau nehmen deren Kinder in Pflege. Doch bald wird bei dem Jungen ein Hirntumor festgestellt, zwei Jahre später stirbt er. Da ist Ellenburgers Ehe bereits in die Brüche gegangen. Man könnte sagen: Es war einfach zu viel. Aber so formuliert er es nicht, im Gegenteil. Überaus sachlich schildert Ellenburger die Kette der Verhängnisse. Und er kann seine Ruhe sogar erklären. Sein Leben lang hätten sich die Eltern gestritten. Er stand in der Küche, vorne warteten die Gäste, hinten schrien die Eltern. Da hat er die Kraft eines Stehaufmännchens entwickelt. Oder, wie er sagt: die Resilienz.

Der eigentliche Bruch in der Biografie sollte erst noch kommen. Das Ende seiner Beamtenkarriere. Versetzung in den Ruhestand wegen psychisch bedingter Dienstunfähigkeit. Das ist der Teil der Erzählung, an dem es mit der Ruhe des Franz Ellenburger vorbei ist. Die Hände zittern, das Lächeln, hinter dem er seinen Gemütszustand verbergen will, verrutscht zur Grimasse. Der jahrelange Kampf gegen den Rauswurf ist eine Papierschlacht, Schriftsätze sind seine Waffen, Anwälte seine Helfer. Er will sein altes Leben zurück. Für ihn heißt das: Er will Gerechtigkeit.

Richter haben es oft mit Menschen wie Franz Ellenburger zu tun, sie verdrehen die Augen dann. Der lässt häufiger hier arbeiten, heißt es intern, oder einfach: ein Querulant. Solche Menschen verfassen endlose Schriftsätze und ziehen alle Register, die das verzweigte System der Rechtsmittel bereithält: Berufung und Beschwerde, Befangenheitsantrag und Gegenvorstellung, Strafanzeige und Klageerzwingung. Der Psychiater Henning Saß hat eine Formel dafür gefunden: Querulanz sei die krankhafte Steigerung des Rechtsgefühls - "der Exzess einer Tugend". Das Bundesverfassungsgericht wollte wegen dieser Leute mal seine Zugangshürden erhöhen.

Besondere Kennzeichen: unglaubliche Hartnäckigkeit und unstillbarer Drang zur Schriftlichkeit - Grafomanie. Ihre Sprache ist bürokratisch und zugleich aggressiv, manche reagieren ihren Dauerzorn durch veritable Beleidigungen ab. Ein Rentner aus Südhessen griff nach anderthalb Jahrzehnten Dauerstreit seinen Nachbarn mit einer Motorsense an. Er wurde wegen Körperverletzung verurteilt. Was er von einer solchen Justiz hält, vertraute er in vierzehn Nachrichten einem Anrufbeantworter der Süddeutschen Zeitung an: Der Bundesgerichtshof sei "Hitlers Nachzucht", der Oberstaatsanwalt eine "deutsche Staatsdrecksau".

Aber Franz Ellenburger, ist der wirklich ein Querulant? Sein letzter Gutachter bleibt unbestimmt, er spricht von "querulatorisch anmutenden Aktivitäten". Gemessen an dem hessischen Rentner ist Ellenburgers Sprache geradezu moderat, wenngleich er schriftlich schärfer formuliert, als es der ein wenig unsichere Mensch vermuten lässt: "Realitätsferne bis strafverdächtige Behauptungen", solche Dinge wirft er seinem Gutachter vor. Aber letztlich sind all seine Klagen getragen von dem Ziel, das Unrecht, das er in seiner Entlassung sieht, aufzudecken und aus der Welt zu schaffen.

Der Keim dieses Unrechts, so sieht es Ellenburger, liegt im Streit mit dem Vater. Der soll, obwohl nicht mehr Inhaber des Hotels, mithilfe fingierter Rechnungen, die ein Kompagnon ausgestellt habe, beträchtliche Summen abgezweigt und so den Betrieb in die Pleite manövriert haben.

Die Zeit, in der er endgültig zum Kohlhaas wird

Im Zuge der Auseinandersetzung gelingt es dem Vater, den Sohn eine Zeitlang unter Betreuung stellen zu lassen; was zwar nicht lange Bestand hat - doch als die Sache zum Arbeitgeber durchdringt, nimmt das Unheil seinen Lauf. Im Oktober 2003 wird der Beamte Ellenburger, seinerzeit Leiter der Stadtkasse Günzburg, in den Ruhestand versetzt.

Das ist die Zeit, in der er endgültig zum Kohlhaas wird. Er stellt Strafanzeigen gegen den Vater und den angeblichen Mittäter, auch gegen die Beamten, die ihn unter Betreuung gestellt haben. Er erhebt Klage gegen die Entlassung beim Verwaltungs-gericht Augsburg. Er verliert, will Berufung, verliert wieder. Stellt - da ist es bereits 2006 - einen neuen Antrag auf Berufung ins Beamtenverhältnis.

Neue Gutachten werden eingeholt, es sieht gut aus, ein Psychiater kann keine Krankheit erkennen, eine Amtsärztin bescheinigt ihm Dienstfähigkeit. 2008 folgt ein Zusatzgutachten: "Kleine Tendenz zur Expressivität", aber ein Einsatz sei "uneingeschränkt" möglich. Also wieder ein Antrag - doch die Stadtverwaltung lehnt ab.

Die Begründung: Der Inhalt des "jahrelangen und anhaltenden umfangreichen Schriftverkehrs" spreche gegen seine Eignung. Wie auch der Umstand, dass er rechtskräftige Urteile nicht akzeptiere und "keine Einsicht gegenüber rechtlichen Rahmenbedingungen zeige". Anders ausgedrückt: Weil er sich so vehement gegen das Verdikt der Dienstunfähigkeit gewehrt hat, bleibt er dienstunfähig. Sturheit kann man auf beiden Seiten entdecken. Die Hartnäckigkeit des Querulanten habe ihr Pendant in der Hartnäckigkeit der Behörden, die den Schreiber für seine Eingaben zur Rechenschaft ziehe, schrieb vor Jahrzehnten der Psychiater Walter von Baeyer. Der Querulant schafft es nicht, fünfe grade sein zu lassen - die Bürokratie auch nicht.

Es folgt ein letztes psychiatrisches Gutachten, umfangreicher als alle Gutachten zuvor. Alles kommt auf den Tisch, die früheren Untersuchungen, der Schriftverkehr, die Mails, die Urteile. Stundenlang wird Ellenburger examiniert, am 8. September 2009. Das Datum hat er so exakt in Erinnerung wie die Nummer des Kontos, auf das sein Vater das Geld des Hotels verschoben haben soll. Das Ergebnis, auf Seite 112: Ellenburger sei wegen einer "wahnhaften Störung" nicht dienstfähig. Das Verwaltungsgericht weist seine Klage ab.

Je mehr er rennt, desto höher die Mauer

Wer die 158 Seiten liest, der kann einen Menschen auf seiner Reise ins Unglück begleiten. Im ersten Gutachten von 2001 - acht Jahre zuvor also - hatte die Ärztin bloß einen "Verdacht" auf eine paranoide Persönlichkeitsstörung diagnostiziert. Er reagiere auf insistierende Fragen gereizt und teilweise aggressiv, hieß es dort. Wer würde das nicht tun, wenn gerade die Existenz zerbricht. Acht Jahre und zahllose Prozesse später ist daraus laut Gutachten eine "wahnhafte Störung" geworden.

Gewiss, Ellenburger hat sich oft in absurde Verschwörungstheorien verstiegen. Und hat nie eingesehen, dass auch er Fehler gemacht hat. Aber er hat gegen ein System gekämpft, das ihn ausgeschlossen hat. Und je mehr er dagegen angerannt ist, desto höher wurde die Mauer. "Wir leben in einem Rechtsstaat. Man kann einem doch nicht vorwerfen, dass man klagt bis zum Geht-nicht-mehr", sagt er.

Franz Ellenburger lebt heute in zweiter Ehe und hat eine zehnjährige Tochter. Die Verhältnisse sind bescheiden, aber er hat wieder Pläne - ein Fischhandel vielleicht. Und er hat vier blaue Ordner. Mit den Belegen für 59 strafrechtlich relevante Einzelfälle. Die Heimtücke der Amtsärztin, die Verleumdung durch den Vater. Man würde ihm wünschen, er ließe die Vergangenheit ruhen, irgendwann. Wenn nur die Vergangenheit ihn in Ruhe ließe.

© SZ vom 28.12.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: