Süddeutsche Zeitung

Juristische Assistenten:Ein Faible für Fristen

Ihr Job gilt als monoton und stumpfsinnig. Dabei arbeiten Rechtsanwalts- und Notarfachangestellte oft sehr selbständig, ihre Aufgaben sind abwechslungsreich - und die Chancen exzellent.

Von Christian Noe

Seit Bona Eimertenbrink eine Ausbildung zur Rechtsanwaltsfachangestellten in einer Berliner Kanzlei macht, schaut sie genauer hin. Steht ein neuer Handy-Vertrag an, wandert ihr Blick schnurstracks ins Kleingedruckte. Hemmschwellen beim Kontakt mit Behörden sind verschwunden, denn mit denen hat sie täglich zu tun. "Schritt für Schritt bekomme ich das nötige Rüstzeug an die Hand, immer mit dem Ziel, möglichst selbständig und fachlich korrekt den Rechtsanwälten zuzuarbeiten", sagt die 24-Jährige. "Routineabläufe gibt es natürlich auch. Dazu kommen aber jede Menge Telefonate mit Mandanten und Gerichten."

Es steht nicht gut um den Beruf, den die Berlinerin gewählt hat. Die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge hat sich seit 1998 fast halbiert - von 9962 auf nur noch 5158 pro Jahr. "Wenn die Anwaltschaft nicht mehr ausbildet, fehlen ihr in absehbarer Zeit dringend benötigte Fachkräfte", sagt Angela Leschnig, Arbeitsrechtlerin in Würzburg. "Denn die Qualifikation von Rechtsanwaltsfachangestellten wird auch von Arbeitgebern außerhalb der Anwaltschaft geschätzt." Der Mangel ist bereits spürbar auf dem Arbeitsmarkt.

Mit dem Arbeitsmarkt kennt sich Sylvia Reich gut aus. Die Frankfurter Personalberaterin vermittelt seit 15 Jahren qualifizierte Kanzleikräfte, meist sind es Rechtsanwalts- oder Notarfachangestellte. "In den letzten Jahren hat sich das Bild deutlich gewandelt, Kanzleien und vor allem Notariate suchen händeringend qualifizierte Mitarbeiter", sagt sie. Doch der Beruf hat ein Imageproblem. Der Ruf, langweilig zu sein, haftet ihm hartnäckig an wie einer Notarurkunde das Siegel.

Auch die Klagen vieler Fachkräfte, später oft in Mindestlohngewässern zu schippern, bringen kaum Bonuspunkte bei den Berufswählern. Dabei gilt das längst nicht überall: Die Einstiegsgehälter können stark variieren. Während in Kleinstädten unter 2000 Euro üblich sind, wird in Großstädten oft ab 2500 Euro aufwärts gezahlt. Regionale Unterschiede und die Frage, in welcher Kanzlei man tätig ist, sorgen für große Unterschiede beim Gehalt. Eine Tarifbindung besteht nur selten.

Rechtsanwalt und Notar Ralf Gronau kennt das Problem. Er und sein Kollege Jörn Hainer bilden in ihrer Versmolder Kanzlei seit 2006 aus. Damit der Nachwuchs fachlich versiert ins Erwerbsleben startet, organisiert er Sprachschulaufenthalte in Großbritannien oder Praktika in Notariaten in Spanien oder den Niederlanden. "Die jungen Leute lernen so den Justizbetrieb im EU-Ausland kennen und können ihn mit unserem Recht vergleichen", sagt Gronau. "Das wird wichtiger, weil uns Fälle mit Bezug zu ausländischen Rechtsordnungen, etwa in gemischt-nationalen Ehen, immer häufiger beschäftigen."

Eine falsch notierte Frist oder ein fehlerhaftes Wort kann einen Rechtsstreit ruinieren

Es ärgert den Juristen, dass die Ausbildung als wenig attraktiv gilt. Kaum ein Büroberuf sei so vielseitig, sagt er: "Man lernt, wie man die für ein Mandat einschlägigen Gesetze findet und anwendet, kennt die juristische Denke und weiß, wann ein Gerichtsvollzieher, Richter oder Rechtspfleger für etwas zuständig ist." Gerade in kleinen Kanzleien haben die Azubis mit so unterschiedlichen Rechtsgebieten wie dem Arbeits-, dem Miet- oder Strafrecht zu tun. Gronaus Azubis entwerfen bereits im ersten Lehrjahr notarielle Urkunden und erfahren, dass eine falsch notierte Frist einen Rechtsstreit ruinieren, ein fehlerhaftes Wort in Schriftsätzen verhängnisvoll sein kann. Bevor die vom Anwalt diktierten Sätze auf dem Bildschirm erscheinen, recherchieren sie in Bibliotheken und juristischen Datenbanken oder schlagen in dickleibigen Kommentaren die Auslegung von Gesetzen nach.

Und immer wieder klingelt das Telefon. Die Azubis sprechen mit Mandanten, die Beratung wünschen oder Dokumente einreichen wollen. Diese müssen rasch erfasst werden, damit beispielsweise ein entlassener Mandant rechtzeitig vor Ablauf der Kündigungsschutzfrist einen Termin bekommt. Hinzu kommt die Bearbeitung der Post: Strafbefehle, Ladungen, Gutachten und Briefe der gegnerischen Parteien. Schiebt der Anwalt eine Akte zur Zwangsvollstreckung auf ihren Schreibtisch, bedeutet das mehr als nur den Gerichtsvollzieher in Bewegung zu setzen. Wenn im Ausland vollstreckt wird, muss man sich in fremde nationale Vorschriften einlesen.

Zum 1. August tritt ein modernisiertes Berufsbild in Kraft. "Der technische Wandel hat zu einer komplett anderen Arbeitsweise geführt", sagt Rechtsanwältin Leschnig. "Die Fachanwaltschaften, also die rechtliche Spezialisierung von Anwälten, ist von fünf auf 22 gestiegen. Außerdem sind Anwälte heute auf völlig neuen Tätigkeitsfeldern aktiv, wie etwa der Betreuung von Pflegeeinrichtungen." Die Digitalisierung krempelt viele Berufe um, auch den Kanzleialltag. Der elektronische Rechtsverkehr, der Dokumentenaustausch zwischen Anwälten und Gerichten, wird vorangetrieben, im nächsten Jahr soll die Bundesrechtsanwaltskammer die digitalen Anwaltspostfächer freischalten.

Nach der Abschlussprüfung kehren viele Fachangestellte den Anwaltsbüros den Rücken, 2013 war es gut die Hälfte. Einige wandern zu Großkanzleien oder in Rechtsabteilungen ab, wo ihre Fertigkeiten im Mahn- und Vollstreckungswesen willkommen sind. "In den Großkanzleien und Unternehmen verdienen Rechtsanwaltsfachangestellte gutes Geld, haben aber häufig Routineaufgaben, beschränkt auf Korrespondenz und feste Zuarbeit für die Anwälte", sagt Personalberaterin Reich. "Vielseitig bleibt es in den kleinen Anwaltsbüros, hier wartet die selbständige Aktenbearbeitung, manchmal sogar die eigenverantwortliche Betreuung eines Dezernats."

Exzellente Perspektiven sieht Reich für Notarfachangestellte. "Ich kenne Mitarbeiter, die von der Mandantenbesprechung über den Urkundenentwurf, die Abwicklung und Abrechnung alles selbständig erledigen", sagt sie. "Der Notar prüft, verliest und unterschreibt. Das wird sehr gut bezahlt, und Bewerber haben in allen Großstädten die Qual der Wahl bei der Suche nach einem neuen Arbeitsplatz."

Die Ausbildungsvergütungen hingegen elektrisieren die Schulabgänger weniger. Die Kammern empfehlen im ersten Lehrjahr 472 Euro, manche liegen deutlich darunter, wie eine Umfrage des Anwaltvereins ergeben hat. "Es ist traurig, dass sich ein Auszubildender im dritten Lehrjahr in Berlin finanziell kaum auf eigenen Beinen halten kann", sagt Eimertenbrink. "Klar, dass sich immer weniger Schulabgänger für die Ausbildung beim Anwalt interessieren. Hier sehe ich dringenden Handlungsbedarf. Unser Job verdient es."

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SZ vom 25.07.2015
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