Juristen-Ausbildung:"Herr Anwalt, Ihr Auftritt!"

Angehende Juristen kennen den Berufsalltag oft nur aus dem Fernsehen. Als Lernhilfe für Plädoyers taugen Serien jedoch nur bedingt. Deshalb dürfen sie nun vor echten Gerichten üben.

Nervös rutscht der Zeuge auf seinem Stuhl hin und her, die Angeklagte ruft immer wieder dazwischen und auf den Zuschauerbänken herrscht allgemeine Unruhe - Richter Florian Kirsch hat alle Hände voll zu tun und versucht, Ruhe und Ordnung in seine Verhandlung zu bringen. Doch nicht er beendet die Sitzung, sondern sein Professor Carsten Momsen: "Vielen Dank, das soll erst einmal reichen."

Alexander Hold

Fernsehrichter Alexander Hold als Vorbild: Im Saarbrücker Seminar werden Verhandlungen nachgestellt.

(Foto: Foto: dpa)

Kirsch ist sichtlich erleichtert, auch wenn er seine Sache aus Sicht des Dozenten gut gemacht hat. "Das war schon ganz ausgezeichnet", bescheinigt Momsen seinen Schützlingen. Die sitzen in Wahrheit keineswegs in einem Gerichtssaal, sondern in einem Seminarraum der Universität Saarbrücken und sie sind weder Richter, noch Zeugen, noch Angeklagte oder Staatsanwälte. Es geht auch nicht um den tragischen Tod eines kleinen Kindes, sondern um die wirklichkeitsnahe Ausbildung angehender Juristen.

Einblick in die Praxis

Die Studenten nutzen dafür ein Angebot ihres Fachbereichs. Der Kurs mit dem Titel "Schlüsselkompetenzen für Juristen" dauert fünf Semester und umfasst verschiedene Fortbildungsveranstaltungen. Hinter dem eher unspektakulären Namen verbirgt sich ein Projekt, dass nach Angaben der Uni Saarbrücken in dieser Form bundesweit einmalig ist. "Die Studenten erhalten einen frühen Einblick in die Praxis, und sie gewinnen dadurch an Erfahrung und Selbstsicherheit", erklärt Momsen.

Dabei werden nicht nur Verhandlungen nachgestellt, auch Vernehmungen, der Umgang mit Opfern, Zeugen oder Tatverdächtigen stehen auf dem Programm. Dazu kommt viel Theorie über Rhetorik, Körpersprache und Psychologie. Auch das Gespräch zwischen Anwalt und Mandant wird trainiert, selbst die Staatsexamensprüfung können die Jungjuristen schon einmal üben.

In dem gespielten Fall geht es um ein kleines Kind, das aus ungeklärter Ursache in einem Grabsteingeschäft verunglückte und starb. "Angeklagt" ist die 23 Jahre alte Studentin Lydia Moor, die in ihre Rolle die Besitzerin des Geschäfts spielt. Sie findet die Selbsterfahrung gut, die ihr das Spiel bietet. "Es ist so, dass man Praktika macht, bei denen man einen Einblick bekommt", sagt Moor. In dem Seminar könne man sich darüber hinaus auch noch selbst ausprobieren.

"Herr Anwalt, Ihr Auftritt!"

Kein Sprung ins kalte Wasser

Das findet auch Momsen wichtig: "Wer in einem Rollenspiel schon mal in die Rolle des Angeklagten oder des Zeugen geschlüpft ist, bekommt eher ein Gefühl dafür, wie sich solche Menschen fühlen." Auf diese Weise sei es leichter, die theoretischen Fragen rund ums Verhör, das Mandantengespräch oder die Leitung einer Sitzung zu besprechen.

"Früher war das Studium viel theoretischer", sagt der 22-jährige Kirsch. Die praktischen Übungen seien eine gute Ergänzung zum Lernalltag: "Das hilft auch der eigenen Persönlichkeit und wenn man ins Referendariat kommt, wird man nicht ins ganz kalte Wasser geworfen." Florian Kirsch will später tatsächlich Richter werden.

"Das sind elementare Fragen des menschlichen Zusammenlebens, die da eine Rolle spielen", sagt Kirsch. Bei allem Spaß am Rollenspiel nehmen die Juristen die Veranstaltung ernst und je länger es dauert, desto mehr gehen sie in ihren Rollen auf. Doch in einem sind sich alle sicher: Mit den Gerichtsserien im Fernsehen hat weder ihr Spiel noch die Wirklichkeit in deutschen Gerichten etwas zu tun. "Das ist doch wirklich realitätsfern", sagt Kirsch.

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