Juristen-Arbeitsmarkt:Die Paragrafen-Roboter

Sie prüfen den Mietvertrag, kontrollieren Bafög-Bescheide, setzen Entschädigungen durch: Legal-Tech-Dienste verbinden Recht und Big Data - und wirbeln damit den Arbeitsmarkt für Anwälte auf.

Von Christine Demmer

In Großbritannien ist die Webseite "DoNotPay" der Renner. "Hello, I am the first robot lawyer" - so begrüßt ein computergestütztes Sprachprogramm alle, die wissen wollen, ob sie für den soeben kassierten Strafzettel tatsächlich zahlen müssen. Das soll den Gang zum Anwalt überflüssig machen: Name und Adresse eintippen, dazu ein Foto vom Knöllchen, und in wenigen Minuten berechnet der Computer die Chancen, um die Strafe herumzukommen. Auf Wunsch ficht "DoNotPay" die Bußgeldbescheide an. Die Erfolgsquote beträgt 64 Prozent. Bisher hat der Service mehr als 150 000 Nutzern insgesamt vier Millionen Euro Strafgelder erspart.

Auch bei Flug- und Bahnverspätungen oder bei Ärger mit dem Hauswirt verspricht der mit Gesetzen und richterlichen Entscheidungen gespickte Anwaltsroboter Entschädigung. "Das sind neue Zugänge zum Recht und zu potenziellen Mandanten", jubelt Johanna Busmann, Kanzlei-Coach aus Hamburg. Vielen Menschen nehme das die Furcht, ihr Fall sei zu klein oder das Anwaltshonorar zu hoch.

"Die Maschine lernt hinzu, vergisst nichts und wird nicht müde."

Juristen, die den digitalen Wandel der Branche nicht wahrhaben wollen, müssen sich warm anziehen. Denn der Paarlauf von Recht und Big Data nimmt jetzt richtig Fahrt auf. Micha-Manuel Bues ist Managing Director bei Leverton, einem Unternehmen, das mit der rechnergestützten Analyse von Miet- und Leasingverträgen Geld verdient. "Für den klassischen Wirtschaftsjuristen und den Associate wird es weniger zu tun geben, weil viele Aufgaben von Tools übernommen werden", sagt der Rechtsanwalt voraus. "Der Konkurrenzkampf wird härter. Es reicht nicht, nur in Jura gut zu sein. Man muss auch mit der Software gut umgehen können."

Zur Ausbildung in Deutschland gehört das nicht. "Hier wird man auf das Richteramt vorbereitet", sagt Bues. Obwohl nur noch ein Teil der etwa 112 000 Jurastudenten auf dieses Ziel zusteuert. Die meisten wollen Rechtsanwalt werden, angestellt oder mit eigener Kanzlei. Und für 20 000 Studenten reicht der Bachelor oder Master in Wirtschaftsrecht, den man auch an Fachhochschulen studieren kann, völlig aus.

Mit einem Programmierkurs setzt die Bucerius Law School in Hamburg Fuß auf das Neuland. Der Dozent ist ein Jurastudent im dritten Semester mit einer Vorgeschichte als Internet-Start-up-Gründer. Außerdem werden die Geschäftsmodelle der neuen Dienstleister in den Vorlesungen besprochen. Markus Hartung, Direktor eines Think Tanks der Hochschule und Co-Autor einer Studie über Legal Tech im Rechtsmarkt, bestätigt, dass Software in der Lage sei, juristische Dokumente zu lesen, zu verstehen und zu kategorisieren. Am Ende komme das, was sonst Dutzende von Berufsanfängern in mühsamer Kleinarbeit markieren und herausschreiben, in einer Datenbank heraus. "Das geht viel, viel schneller", sagt Hartung. "Die Maschine lernt hinzu, vergisst nichts und wird nicht müde." Auch in der Qualität könnte die Software bald die Juristen schlagen.

Ist der Beruf ein Auslaufmodell? "Nein", beruhigt Hartung, "der Bedarf steigt." Aber gebraucht würden eben nicht nur Hochklasse-Juristen, sondern auch Diplom- und Wirtschaftsjuristen und deren Gehilfen, die sogenannten Paralegals. Für Hartung sind Einheitskarrieren in Großkanzleien ebenso vorbei wie sechsstellige Einstiegsgehälter. "Es werden dort mehr Leute für weniger Geld arbeiten."

Darin ist er sich mit den Legal Tech-Start-ups einig. Um die Software zu bedienen und zu trainieren, sagt Bues, brauche man keine Volljuristen. Programmierung, Betriebswirtschaft und Projektmanagement hingegen hält er bei seinen Mitarbeitern für unerlässlich. Aber wie soll man wissen, ob man diese Richtung einschlagen will, wenn die Honoratioren in Kanzlei oder Konzern den Bereich Legal Tech für zeitgeistigen Schnickschnack halten?

Bues nickt mitleidig, er kennt das Problem. "Kaum eine Kanzlei hat ein digitales Geschäftsmodell", sagt er, "selbst die Law Firms nicht. Vision, Voraussicht, Fünf-Jahres-Planung? Vergessen Sie's." Als interessierter Jurist müsse man da eben Vorarbeit leisten. "Selbst mit geringen Programmierkenntnissen oder mit Excel kann man ein kleines Programm für juristische Routinen schreiben", sagt er. "Damit kann man den Chef und die Mandanten überzeugen."

Auch für die Rechtsabteilungen in den Firmen dürfte sich manches ändern. Bald schon werden Autos miteinander kommunizieren. Dabei müssen die datenschutzrechtlichen Anforderungen beachtet werden, in sämtlichen Zulassungsländern, mit häufigen Änderungen. "Damit kann die Rechtsabteilung wegen der schieren Masse nicht umgehen", sagt Bues. Den meisten gehe es ohnehin um mehr Tempo, mehr Qualität und um strukturierte, für Entscheidungen aufbereitete Daten. "Die Maschine zieht die Information aus Dokumenten heraus, selbst wenn sie verschachtelt im Fließtext versteckt ist", sagt Bues. "Das fassen wir in einer Datenbank zusammen und stellen es in Tabellenform zur Verfügung. Das wollen die Kunden haben."

"Alles Sales-Gerede", winkt Holger Strnad ab. Der 47-Jährige leitet die Rechtsabteilung beim Elektronikunternehmen ESG in Fürstenfeldbruck und ist überzeugt: "Legal Tech hat für uns keine Bedeutung, es sei denn, in der Rolle einer zukaufbaren Dienstleistung. Aber ich sehe den Bedarf nicht." Denn anders als in einer Kanzlei, die von ständig wiederkehrenden Abläufen wie Vertragsprüfungen lebe, könne man in der Rechtsabteilung wenig automatisieren. Die meisten Fälle seien Einzelfälle und nichts für den Kollegen Computer.

"Das betrifft uns nicht" - diesen Satz hört Kanzlei-Beraterin Johanna Busmann oft. "Viele Juristen verharmlosen", sagt sie, "andere halten die Technisierung des Rechtshandwerks für Teufelswerk und betrachten sich als Opfer." Nie im Leben, hört sie immer wieder, seien die Mandanten bereit, das persönliche Vertrauensverhältnis zugunsten einer empathiefreien Maschine aufzugeben. Busmann hält das für Wunschdenken. Es wäre wirklich ein Wunder, wenn Manager auf Dauer der Aufforderung "DoNotPay" widerstehen würden.

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