Jugendlicher Schwermut:Burnout bei Kindern

Wenn Angst auf der Kinderseele lastet: Depressionen bei Schülern nehmen deutlich zu.

Christa Eder

Nach Einschätzungen der Weltgesundheitsorganisation WHO wird die Depression im Jahre 2020 die zweithäufigste Krankheit weltweit sein, und die häufigste in der sogenannten entwickelten Welt, den OECD-Staaten. Doch trotz ihrer weiten Verbreitung gehört sie immer noch zu den am meisten unterschätzten Erkrankungen. Besonders besorgniserregend an der Statistik ist, dass die Patienten immer jünger werden. Das gilt auch für Münchner Kinder und Jugendliche.

Burnout bei Kindern: Depressionen bei Schülern nehmen deutlich zu.

Allein mit der Trauer: Wenn Kinder depressiv werden, sind Eltern und Lehrer oft ratlos.

(Foto: Foto: iStockphoto)

"Depressionen bei Schülern nehmen seit etwa acht Jahren stark zu", sagt Hans-Jürgen Tölle vom Zentralen Schulpsychologischen Dienst der Stadt München. "Bei etwa der Hälfte unserer Beratungen geht es um Depressionen." Hauptgruppe seien Zehn- bis Zwanzigjährige, aber es gebe auch schon Siebenjährige, die sich dem schulischen Druck nicht gewachsen fühlten. Tölle sieht die Ursachen dieser frühen Depression aber vor allem im gesellschaftlichen Umbruch. "Die trostlose Zukunftsperspektive, die drohende Arbeitslosigkeit, das Fehlen von Bindungsstrukturen und die allgemeine Sprachlosigkeit in den Familien - da stellt sich bei den Kindern oft das Gefühl ein, nicht gewünscht zu sein."

Hinzu kämen die schulischen Belastungen, die extrem zugenommen hätten. "Unser Schulsystem ist nicht fördernd. Die frühe Selektion und zu hören, dass man nichts kann und nichts taugt, führt zu einem verminderten Selbstwertgefühl. Die Kinder erfahren, dass sie ohnehin keinen Einfluss auf ihr Leben haben. Das sind eigentlich alles strukturelle Probleme, aber die haben Auswirkungen bis ins alltägliche Detail."

Immer wieder hört Tölle von den Kindern, die in die Beratung kommen, dass Eltern über ihre Depression einfach hinweggehen und ihnen sagen, sie sollten sich doch zusammenreißen. Doch dadurch würden sie oft noch hilfloser. Auch die Lehrer merkten oft gar nicht, was mit den Kindern los sei. "Die meisten depressiven Kinder sind überangepasst. Sie wehren sich nicht und werden vom Lehrer eher positiv und nicht als Problemfall wahrgenommen", sagt Tölle.

Eindeutig erkennbar sind die selbstzerstörerischen Auswirkungen der Depression wie die Magersucht oder das Selbstverletzen durch Ritzen der Haut. Auch diese Fälle hätten zugenommen, sagt Tölle, vor allem bei Mädchen. Bei Jungen hingegen seien Suizidfälle häufiger. Nicht so leicht zu erkennen ist die "stille" Depression, doch es gibt Symptome, bei denen Eltern und Lehrer aufmerksam werden sollten. Beispielsweise, wenn Kinder nicht mehr aus dem Bett kommen, nicht mehr zur Schule gehen, sich von Gleichaltrigen zurückziehen, vor jeder Leistung resignieren oder unter Angst- und Panikattacken leiden und eigentlich gar nicht genau wissen warum.

Burnout bei Kindern

Oft stellt sich dann eine rapider Leistungsabfall ein, begleitet von konsternierendem Schweigen. "Die Eltern erreichen dann einfach ihre Kinder nicht mehr. Dann kommen sie zu uns, um mit ihren Kindern wieder in Kontakt zu treten", sagt Tölle. Das Wichtigste sei zunächst, dass Eltern und Lehrer erst einmal aufhören, die Krankheit zu bagatellisieren. "Das ist sehr schwer für Eltern, denn es schwingt immer das Eingeständnis mit, versagt zu haben oder schuldig zu sein." Zum anderen sollte man gelassen und verständnisvoll auf die resignativen Äußerungen der Depressiven reagieren. Damit gebe man den Kindern die so wichtige emotionale Resonanz. Auch die Lehrer müssen einbezogen werden. Es ist wichtig, dass die Kinder nicht überfordert aber auch nicht ignoriert werden. "Das Kind wahrzunehmen und anzusprechen ist oft schon sehr hilfreich."

All die Bemühungen der Schulpsychologen, Lehrer und Eltern können jedoch nur erfolgreich sein, wenn sie auch effektiv zusammenarbeiten und ihre Bemühungen unterstützt werden. Das Schulreferat bietet zwar Fortbildungen für Lehrer an, aber oft können sie ihr Wissen im Schulalltag gar nicht umsetzen. Viele Schulen wissen auch gar nicht, wie sie mit dem Problem umgehen sollen. Wenn ein Schüler wegen Depressionen die Schule verweigert, wird die Sache meist im Disziplinarausschuss geregelt. "Da würden wir uns schon einen humaneren und sensibleren Umgang wünschen", sagt Tölle. "Es gäbe viele Möglichkeiten, und auch die Lehrer wollen Probleme lösen. Aber in diesem Schulsystem stoßen sie schnell an ihre Grenzen."

Eines der größten Probleme sei hier die Lehrerausbildung, die seit 100 Jahren nicht wesentlich geändert worden ist. "Es wird nur fachlich ausgebildet, die Psychologie fällt gänzlich unter den Tisch. In Finnland müssen die Lehrer psychosoziale Kompetenzen vorweisen, damit sie Lehrer werden dürfen und selbstverständlich sind Schulpsychologen bei der Lehrplangestaltung dabei - bei uns ist das nicht einmal ansatzweise ein Thema", kritisiert Tölle.

Etwa die Hälfte aller depressiven Fälle, mit denen er in die Beratung zu tun habe, komme nach kurzer Zeit wieder auf die Beine, sagt Tölle, allerdings sei auch die Rückfallquote ziemlich hoch. "Lehrer, Schüler und Eltern - viele verzweifeln an diesem Schulsystem. Trotzdem hält man daran fest. Das kann niemand verstehen."

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