Süddeutsche Zeitung

Jobsuche:Weißt du was?

Nur jede fünfte Stelle wird über Ausschreibungen vergeben. Bewerber müssen Beziehungen spielen lassen - und auch auf dem verdeckten Stellenmarkt suchen.

Von Sigrid Rautenberg

Als Stefan Neumann (Name geändert) einen neuen Job suchte, zog er alle Register: Er schrieb Bewerbungen, stellte sich bei Personalvermittlern vor und ging zu Fachveranstaltungen. Vor allem aber erzählte er in seinem Freundes- und Bekanntenkreis von seiner Suche. Ein persönlicher Kontakt war es dann auch, der erst zu einer freien Mitarbeit und schließlich zu der neuen festen Stelle führte.

Den traditionellen Weg, sich auf Ausschreibungen zu bewerben, gibt es natürlich noch. Aber vielen ist nicht bewusst, dass die deutliche Mehrheit der Stellen - Arbeitsmarktforscher gehen von bis zu 70 Prozent aus - über andere Wege vergeben werden. Wer kennt nicht Freunde oder Kollegen, die ihren Job über ein Praktikum, die Abschlussarbeit, eine Initiativbewerbung, freie Mitarbeit oder Tipps von Bekannten bekommen haben? Und die sich damit, ob bewusst oder unbewusst, den sogenannten verdeckten Arbeitsmarkt erschlossen haben.

Keineswegs jede offene Stelle findet ihren Weg in die einschlägigen Jobbörsen. Gerade kleinere Unternehmen inserieren erst dann, wenn es gar nicht mehr anders geht. Oft scheuen sie die hohen Kosten oder den Aufwand, eine vermeintliche Flut von Bewerbungen zu managen. Lieber stellen sie das Stellenangebot auf ihre Webseite und fragen erst einmal herum, ob nicht jemand irgendjemanden kennt. Kleine Betriebe besetzen fast jede zweite Stelle über persönliche Kontakte. Über alle Betriebsgrößen hinweg ist immerhin bei jeder dritten Neueinstellung "Vitamin B" im Spiel.

"Umhören" tun sich sogar Unternehmen wie BMW oder Adidas, die zu den beliebtesten Arbeitgebern Deutschlands gehören und von Bewerbungen regelrecht überschwemmt werden: Weltweit gehen bei Adidas mehr als eine Million Bewerbungen pro Jahr ein, bei BMW sind es allein für Deutschland 200 000. Beide Unternehmen fordern auch ihre eigenen Leute auf, neue Mitarbeiter zu empfehlen. "Der Vorteil ist, dass die Mitarbeiter wissen, wen wir suchen und wer zu uns passt", sagt Adidas-Sprecherin Simone Lendzian. "Und wenn ein Mitarbeiter jemanden empfiehlt, nehmen wir ihn natürlich in die Pflicht, dass er auch jemand Gutes reinbringt."

Initiativbewerbungen sind nicht überall möglich

Wenn keine passende Stelle vakant ist, hat man bei BMW auch mit einer Initiativbewerbung eine Chance. "Klassische Initiativbewerbungen haben wir zwar abgeschafft", sagt Martina Malec, die bei BMW als Wirtschaftspsychologin Personalauswahlverfahren entwickelt. "Wir schreiben stattdessen Expertenprofile aus für besonders gesuchte Bereiche wie IT oder elektrische Antriebstechnik. Auf die kann man sich bewerben, auch wenn gerade nichts Konkretes ausgeschrieben ist." Bei Bedarf wird dann auf eines der mehr als 20 000 Profile im Talentpool zurückgegriffen, die regelmäßig auf Aktualität geprüft werden.

Bei Adidas gibt es überhaupt keine Initiativbewerbungen mehr. Es braucht immer eine konkrete Stelle, auf die man sich über das Karriereportal der Firma gezielt bewerben kann. "Bei großen Unternehmen muss der Weg einheitlich und objektiv sein", sagt Lendzian. Verdeckte Stellen und damit eine verdeckte Suche gibt es jedoch auch bei den zwei Top-Arbeitgebern: Beide beschäftigen einen internen Headhunter, der Portale wie Linked-In, Xing oder Facebook nach potenziellen Kandidaten durchsucht.

Tatsächlich werden soziale Netzwerke sowohl für rekrutierende Unternehmen als auch für Jobsuchende immer wichtiger. Auch für Kerstin Ewelt. Sie hat mehr als 1000 Kontakte bei Linked-In, dem größten beruflichen Netzwerk. Viele kennt sie gar nicht, akzeptiert aber alle Kontaktanfragen, um ihre Reichweite zu vergrößern. "Das hat nichts mit dem Privatleben zu tun. Mein Profil dort ist rein berufsorientiert", sagt Ewelt.

Vor mehr als zehn Jahren ging sie mit ihrem Mann in die USA, fing berufsmäßig fast bei null an. Nach verschiedenen Stationen bei Technologieunternehmen im Silicon Valley arbeitet sie nun im Management von Quora, einer Frage- und Antwortplattform im Internet. Als sie das Stellenangebot von Quora bei Linked-In sah, saß Ewelt im Café und hatte gar nicht vor zu wechseln. In den USA ist Linked-In längst auch eine der größten Stellenbörsen. Zahlreiche Headhunter tummeln sich dort und schicken ihre Anfragen an die Nutzer. Auch das deutsche Pendant Xing entwickelt sich immer stärker in Richtung Rekrutierungskanal.

Auf die Anzeige von Quora antwortete Ewelt ebenso begeistert wie formlos: "Das bin ich!" Sie schickte ihren Lebenslauf hin und bat um Rückruf. Heute sitzt sie auf der anderen Seite. Sie empfiehlt allen, einen digitalen Lebenslauf bei Xing oder Linked-In zu hinterlegen und die Konversation mit interessanten Kontakten offline weiterzuführen. Auf die Frage, was sie heute in Deutschland unternehmen würde, um an eine neue Stelle zu kommen, antwortet sie ohne zu zögern: "Mein Netzwerk fragen."

Sehr vielen Unternehmen ist bewusst, dass der Arbeitsmarkt sich zu einem Bewerbermarkt entwickelt. Für Menschen auf der Suche nach einem "verdeckten" Job ergibt da besonders die Suche abseits der bekannten Namen Sinn. Etwa drei Viertel aller Neueinstellungen werden in Betrieben mit weniger als 250 Mitarbeitern vorgenommen. Ebenfalls eine gute Idee ist es, sich außerhalb der großen Metropolen umzuschauen. Dort haben selbst Quereinsteiger größere Chancen, und viele Arbeitgeber bemühen sich sehr um ihre Mitarbeiter.

Das zeigt beispielsweise ein Blick nach Vreden, einer Kleinstadt an der holländischen Grenze. Dort sitzt die Firma Laudert, die unter anderem aufwendige Werbekataloge produziert. Der Bedarf vor allem an technischen Fachkräften ist so hoch, dass er nur über die weiteren Niederlassungen in Hamburg, Stuttgart und Ho-Chi-Minh-Stadt in Vietnam gedeckt werden kann. Um neue Mitarbeiter zu finden und vor allem diejenigen in Vreden zu binden, bemüht sich Laudert sehr um Familienfreundlichkeit und wurde dafür auch von der Bertelsmann-Stiftung ausgezeichnet. Außerdem bildet das Medienunternehmen seinen Nachwuchs selbst aus.

"Wir wussten seit vielen Jahren, dass sich der Arbeitsmarkt drehen würde und wir selber ausbilden müssen. Dazu haben wir sogar eine eigene Ausbildungsakademie gegründet", sagt Marketingleiterin Anne Lück. Auch die betriebliche Ausbildung wurde ausgezeichnet. "Dadurch sind wir in der Region bekannt und erzielen ganz gute Bewerberquoten. Aber wir halten auch unsere Mitarbeiter dazu an, offene Stellen bekannt zu machen und zum Beispiel bei Xing oder Facebook zu posten." Kontakte vereinfachen die Suche - für beide Seiten.

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SZ vom 24.03.2018/mkoh
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