Jobsuche:Nach dem Studium das Nichts

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Sie haben ihren Abschluss in der Tasche und jetzt müsste es eigentlich beruflich los gehen. Doch viele Hochschulabsolventen finden einfach keinen Job. Es bleiben: Praktika, Zeitarbeit und die Hoffnung, endlich eine Chance zu bekommen.

Von Nicola Holzapfel

Vielleicht ist Matthias Belz* einfach zur falschen Zeit auf den Arbeitsmarkt gekommen. Seit mehr als einem Jahr ist er auf Jobsuche. "Frühere Kollegen, die vor mir fertig wurden, arbeiten heute bei den Vereinten Nationen, bei führenden Forschungsinstituten und internationalen Entwicklungsorganisationen. Die haben höchstens fünf Bewerbungen geschrieben", sagt der promovierte Geograf mit Prädikatsexamen.

Auch er zielt auf einen Job in der Entwicklungszusammenarbeit, doch bislang hat er nur Absagen erhalten. "Bei meiner Qualifikation ist die Spannbreite der beruflichen Möglichkeiten sehr groß", sagt er entmutigt. "Sie liegt zwischen einer internationalen Karriere und dem Sozialamt".

Lisa Kerkl* sucht einen Job im Bereich Medien und Kommunikation. "Ich bewerbe mich für Volontariate, PR-Jobs und sogar für Teamassistenz-Stellen. Überall dort, wo ich denke, dass mein Lebenslauf reinpassen könnte." Kerkl hat nach dem ersten juristischen Staatsexamen Ende 2003 in England ihren Master of European Studies gemacht. Seit sie in Deutschland zurück ist, hat sie 80 Bewerbungen auf den Weg gebracht - bislang erfolglos. "So schwierig hatte ich mir die Jobsuche nicht vorgestellt", sagt die Juristin. "Schließlich habe ich zwei Studienabschlüsse, war im Ausland und habe Berufserfahrung. So wenig ist das auch wieder nicht."

Es gibt keine Zahlen darüber, wie viele Hochschulabsolventen zurzeit nach dem Studium ohne Job dastehen und wie lange. Die Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg erhebt nur die Arbeitslosen-Meldungen aller Akademiker - und die steigen. In der Altersgruppe der 25 bis 29-Jährigen innerhalb eines Jahres um fast 5000. Dabei melden sich viele Hochschulabsolventen gar nicht arbeitslos. Sie haben ja auch keinen Anspruch auf Geld.

Dafür ist die Statistik der Stellenmeldungen bei den Arbeitsämtern komplett und die liefert ernüchternde Zahlen: Die Akademiker-Jobs, die Arbeitgeber den Ämtern melden, werden immer weniger. Inzwischen schon im vierten Jahr. Da gilt es schon als Lichtblick, dass sich der Stellenrückgang inzwischen verlangsamt hat. Die Arbeitslosigkeit von Akademikern liegt zwar verglichen mit der Gesamtbevölkerung immer noch unter dem Durchschnitt, aber die Zeiten für Berufseinsteiger waren schon mal besser. Im Jahr 2003 sind die Akademiker-Arbeitslosenzahlen sogar stärker gestiegen als die aller Deutschen. "Die Suchzeiten nach einem Job haben sich auf jeden Fall relevant erhöht", sagt Werner Brendli vom Hochschulteam des Münchner Arbeitsamts.

Das ist auch bei den Arbeitgebern angekommen: Eine Jobsuche von sechs Monaten und zwischenzeitliche Arbeitslosigkeit von Bewerbern bewerten Unternehmen nicht mehr negativ. Das ist zumindest das Ergebnis einer Umfrage der Personalberatung Kienbaum. Wichtiger wären Engagement und Motivation sowie eine "zielgerichtete Planung der eigenen Entwicklung".

Doch wie verkauft man eine erzwungen Auszeit, die heute durchaus länger als ein halbes Jahr dauern kann, noch als "zielgerichtet"? Heiko Lüdemann kennt die Bewerbungsprobleme junger Akademiker. Er leitet in Stuttgart die CoachAcademy, die Hochschulabsolventen Karriereberatung und Seminare zum Berufseinstieg anbietet. "Problematisch wird es, wenn man das Gefühl bekommt, man sei Opfer des Arbeitsmarktes", sagt Lüdemann. Absolventen müssten sich klar werden, wo sie beruflich hin wollen, und dann eine Strategie entwickeln. "Allein ist das sehr, sehr schwer", gibt Lüdemann zu. "Es gibt kommerzielle Karriereberater. Sicher schadet es nicht, da Geld reinzustecken. Nur das fehlt ja den jungen Leuten gerade." Die CoachAcademy kann ihr Angebot teilweise kostenlos anbieten, weil sie von Arbeitgeberverbänden und Unternehmen unterstützt wird.

Ansonsten gibt's nur vom Arbeitsamt für Hochschulabsolventen was umsonst. Die Ämter haben Hochschulteams, die beraten und informieren. Bei Jobsuchenden übernehmen sie Bewerbungskosten und unter Umständen bezahlen sie auch ein Bewerberseminar. Im Münchner Arbeitsamt finden pro Woche etwa 40 Hochschulabsolventen den Weg zum Hochschulteam.

"Es gibt Leute, die ihren Berufseinstieg ideal vorbereitet haben, bei denen alle Parameter stimmen und die dann auch erfolgreich sind", sagt Werner Brendli. "Aber es liegt nicht nur an einem selbst. Man kann auch Pech haben. Es gibt Bereiche, in denen geht zurzeit wenig, auch wenn man sehr gute Voraussetzungen mitbringt. Die Rahmenbedingungen kann man nicht beeinflussen."

Wenn es keinen Job gibt, versuchen manche Unternehmen sich interessante Kandidaten warm zu halten. "Viele Firmen halten gute Bewerber hin. Das ist vor allem bei Betriebswirtschaftlern auffallend", sagt Heiko Lüdemann von der CoachAcademy. "Sie schieben gute Kandidaten in die Pipeline für bessere Zeiten". "Eisschreiben" nennen sich diese Briefe im Branchenjargon. Sie sind so üblich, dass es sogar einen richtigen Wettbewerb gibt, bei dem die Personalabteilung mit dem besten Absage-Schreiben gewinnt. (siehe Linkliste am Artikelende) .

Für abgelehnte Bewerber ist das ein zynischer Wettkampf. Ihnen hilft so ein Hinhalte-Schreiben schließlich erst einmal nicht weiter. Andererseits ist es besser, als gar nichts zu hören. "Viele Unternehmen drücken sich davor, einem handfeste Gründe für eine Absage zu nennen", sagt Lisa Kerkl. "Dabei fragt man sich natürlich, gerade nach einem Vorstellungsgespräch, warum es nicht geklappt hat". Sie versucht wie viele andere die Zeit bis zum ersten Job mit Praktika zu überbrücken. "Das ist besser als arbeitslos zu sein", sagt Karriereberater Lüdemann. "Wichtig ist, dass Absolventen nach dem Studium Fahrt aufnehmen. Auch mit Praktika kann man zeigen, wo man hin will."

Die Zwischenlösung

Umfragen der Personalberatung Kienbaum zufolge zählen Praktika für Arbeitgeber zu den wichtigsten Rekrutierungsquellen. Und die meisten Unternehmen setzen ihre Praktikanten voll in den Betrieb ein. 40 Prozent der befragten Firmen übertragen ihren Praktikanten sogar eigene Projekte.

"In manchen Branchen ist es gang und gäbe, dass ohne Praktikum keine Einstellung erfolgt", sagt Brendli vom Arbeitsamt München. "Auch wenn man ein bestimmtes Ziel hat, zum Beispiel in den Personalbereich will, und dort noch keine Berufserfahrung hat, ist ein Praktikum ideal." Doch wenn der Sprung ins Unternehmen nicht klappt, kommt bei manchen Praktikanten das ungute Gefühl auf, für wenig Geld die gleiche Arbeit zu leisten wie Festangestellte. "Es gibt sicher Firmen, die Jobs über lange Zeit mit Praktika abdecken. Aber das sind Einzelfälle", sagt Brendli.

Er rät, die eigenen Anforderungen hoch zu setzen. "Gerade als Absolvent sollte man nicht irgendein Praktikum machen. Es sollte zur eigenen Zielrichtung passen, es sollte eine Chance im Unternehmen geben und man sollte etwas dabei lernen". Schließlich sind Praktika keine Dauerlösung. "Irgendwann wird das kurios", sagt Brendli. "Das vierte Praktikum nach dem Studium ist dann schon fragwürdig."

Vor allem ist das Praktikanten-Dasein eine Geldfrage: Laut der Kienbaum-Umfrage bezahlen die Firmen ihren Praktikanten im Schnitt zwischen 400 und 600 Euro monatlich. "Je größer das Unternehmen und je länger das Praktikum, desto höher ist in der Regel die Bezahlung. Am besten zahlt sicherlich die Industrie", sagt Brendli. Doch in den wenigsten Fällen deckt das Praktikantengehalt den Lebensunterhalt ab. "Das ist ein Problem", sagt Brendli. "Gerade in einer Stadt wie München, wo die Mieten so hoch sind."

Lisa Kerkl hat neben ihren letzten Praktika als freie Mitarbeiterin in einer Redaktion gejobbt. Ihre Eltern will sie nicht um Unterstützung bitten. "Man versucht trotzdem auf eigenen Füßen zu stehen". Doch jetzt ist Schluss mit Praktika. Sie hat angefangen, sich über ihr Alter Gedanken zu machen: "In vielen Anzeigen steht, wie alt Bewerber sein dürfen: bis 28, nicht älter als 30. Oder es wird ein "junger" Projektassistent gesucht. Aber was heißt jung?", fragt sich die 29-Jährige. "Das ist ein Problem, wenn man schon beim Berufseinstieg durch Bewerbungsraster fällt."

Auch Matthias Belz hat manche Altersgrenze schon überschritten. Nachwuchsprogramme, die einige Entwicklungsdienste anbieten, kommen für ihn mit seinen 35 Jahren nicht mehr in Frage. Wenn er sich um ein Praktikum bewirbt, trägt er schwer an seiner Qualifikation: "überqualifiziert" heißt es dann. Schließlich hat der Geograf schon eine Promotion in seinem Lebenslauf. In Deutschland hält ihn nur noch seine Familie. "Im englischsprachigen Raum hätte ich mit meiner Ausbildung zurzeit sicher bessere Chancen", sagt Belz. Immerhin habe er das Glück, eine Frau zu haben, die einen Job hat.

Andere müssen jobben. "Viele machen einfach das weiter, womit sie schon während des Studiums Geld verdient haben", sagt Brendli vom Münchner Arbeitsamt. Er empfiehlt Akademikern für den Übergang zwischen Uni und Beruf die Zeitarbeit. "Dort verdient man viel mehr als im Praktikum und die Nachfrage zieht leicht an". Laut dem Tarifvertrag für die Zeitarbeitsbranche verdienen Akademiker in einer Tätigkeit, die ein Hochschulstudium und Berufserfahrung voraussetzt 15,50 Euro pro Stunde. In der Regel werden sie aber eher für Sachbearbeiter-Jobs eingesetzt und daher niedriger vergütet. "Sie übernehmen zum Beispiel Assistenz-Funktionen in Projekten im Personal- oder Rechnungswesen", sagt Brendli.

"Wenn ich nicht weiß, ob ich in den Einkauf, ins Marketing oder in den Vertrieb will, ist Zeitarbeit ideal", sagt Petra Timm vom Zeitarbeits-Unternehmen Randstad. Für manche wird der Einsatz sogar zum Sprung-Brett. "Es gibt in der Zeitarbeit den Klebe-Effekt. 30 Prozent bleiben hängen - über alle Branchen und Tätigkeiten hinweg", sagt Timm.

Auch in der Zeitarbeits-Branche macht sich der große Bewerberüberhang bemerkbar. "Die Anforderungen der Unternehmen an Bewerber sind gestiegen", sagt Petra Timm. "Sogar bei den Studentenjobs. Englisch ist ein Muss. Oft wird noch eine zweite Fremdsprache verlangt." Wer vor dem Studium eine Lehre absolviert oder schon Berufserfahrung hat, wird bevorzugt.

Irgendwo reinkommen

Ralf Krebstakies muss sich zur Zeit keine Sorgen ums Geld machen. Nach ein paar Monaten erfolgloser Jobsuche ist er wieder weg vom Arbeitsmarkt. Der Archäologe hat bei seinem Berater im Arbeitsamt nachgefragt, ob er nicht eine Fortbildung zum wissenschaftlichen Dokumentar an der Fachhochschule Potsdam machen könnte. Er hatte Glück, dass dies gerade noch rechtzeitig genehmigt wurde, inzwischen wird der Kurs nicht mehr gefördert. "Dazu müssten 70 Prozent der Absolventen im Anschluss eine feste Stelle haben", erklärt Krebstakies. "Bis vor drei, vier Jahren waren das sogar noch mehr. Aber seit es der Wirtschaft nicht mehr so gut geht, wird eben auch in den Bereichen Archiv und Dokumentation gespart."

Und die Arbeitsämter müssen an der Weiterbildung sparen. Sie haben dafür weniger Mittel zur Verfügung als früher. Beim Münchner Arbeitsamt heißt es daher, dass die Förderung von Hochschulabsolventen nur in Ausnahmefällen in Frage kommt.

Matthias Belz ist von den Leistungen des Arbeitsamts in Heidelberg enttäuscht. "Da gibt es kaum Unterstützung", sagt der Geograf. "Die haben mir nur ein Bewerberseminar finanziert und das auch nur weil ich darauf gedrängt habe." Vor kurzem hat er sich auf eine Stelle beworben, die die Bundesagentur für Arbeit selbst ausgeschrieben hat. Nicht mal darauf hätte ihn sein Berater hingewiesen.

Zwischenzeitlich war er "müde vom bewerben". Doch jetzt pflegt er wieder seine Netzwerke und versucht, "irgendwo reinzukommen". "Ich habe meinen Mut wieder gefunden". Anderen gelingt das irgendwann nicht mehr. "Ich kenne einige, die aufgegeben haben. Sie machen Nebenjobs oder überlegen, ob sie ein Restaurant aufmachen", erzählt Belz aus seinem Bekanntenkreis. "Man hat ja auch den Zwang, seinen Lebensunterhalt zu verdienen."

Auch Lisa Kerkl hat ihre Ansprüche heruntergeschraubt. "Man will ja gar keinen Traumjob mehr, nur irgendetwas, dass man arbeiten darf." Zwei bis drei Monate will sie es in Deutschland noch mit der Jobsuche versuchen. Wenn sie dann nichts findet, geht sie zurück nach England.

Für Ralf Krebstakies ist die Schonzeit nächsten April vorbei. Dann hat er seinen Abschluss zum wissenschaftlichen Dokumentar in der Tasche. "Leicht wird es nicht", sagt er. Aber er ist zuversichtlich: "Die Fortbildung ist sehr praxisbezogen. Das ist der Vorteil gegenüber dem Studium: Man weiß, wo man später hin soll. Und die Chancen sind auf jeden Fall sehr viel besser als für Archäologen."

(*Namen von der Redaktion geändert)

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