Jobs zum Wohle anderer:"Whitney Houston nannte mich 'Terminator'"

Selbstverwirklichung steht heute bei der Job-Wahl ganz oben. Doch kann man auch glücklich werden, wenn man sich als Person im Beruf komplett zurücknimmt? Wir haben einen Butler, eine Redenschreiberin, einen Bodyguard und eine Fußballagentin gefragt.

Von Johanna Bruckner und Karin Janker

Selbstverwirklichung und persönlicher Erfolg stehen für viele an erster Stelle, gerade im Job. Junge Leute heute möchten ihre Talente und Vorlieben bei der Arbeit einbringen; kreative Berufe sind stark nachgefragt. Wer sich im Job dagegen komplett in den Dienst anderer Menschen stellt und dabei unsichtbar bleibt, gilt beinahe als Exot. Wir haben mit vier Menschen gesprochen, die dem Selbstverwirklichungstrend im Job widerstehen - und trotzdem glücklich sind.

Robert Wennekes, "in den Fünzigern", Leiter der International Butler Academy in Falkenburg an der Göhl/Niederlande

Manchmal denke ich, es liegt mir in den Genen, für andere Menschen zu sorgen. Ich stamme aus einer Familie mit einer langen Tradition im Gastgewerbe. Meine Großeltern und Eltern haben Hotels geführt. Mit Anfang 20 habe ich dann mein eigenes Restaurant eröffnet, doch schon nach zwei Jahren gemerkt, dass ich etwas anderes machen möchte. Also habe ich mein Lokal verkauft und bin für eine Auszeit nach England gegangen. Wie es der Zufall so will, habe ich dort bei einem Freund gewohnt, der Butler war. Von ihm habe ich mir vieles abgeguckt und über ihn bin ich auch an meine erste Anstellung als Butler gekommen, bei einer prominenten Familie in den USA.

Mich macht es glücklich, wenn ich weiß: Mein jeweiliger Arbeitgeber ist zufrieden und muss sich keine Gedanken um Haushaltsangelegenheiten und die Details des Alltags machen. Natürlich halte ich ihn über die wichtigsten Dinge auf dem Laufenden und spreche sie mit ihm ab. Aber das größte Lob für mich ist, wenn mein Chef einfach das machen kann, was er am liebsten tut. Ich liebe es, die kleinen Dinge und Bedürfnisse vorherzusehen, die ihn überraschen oder erfreuen.

Einer meiner Arbeitgeber war ein leidenschaftlicher Angler. Er liebte es, sein Equipment in Schuss zu halten und zu organisieren. Eines Tages, als ich gerade den Raum mit seinen Anglersachen in Ordnung gebracht hatte, sagte er zu mir: "Herr Wennekes, ich denke, ich werde heute Nachmittag ein paar Fliegen binden (Herstellen von künstlichen Ködern, Anm. d. Red.)." Ich wusste, das bedeutete auch: Er will sich zurückziehen und seinen Angelraum aufräumen. Also bin ich nochmals hingegangen und habe für Unordnung gesorgt. Wir haben dann einen angenehmen Nachmittag damit zugebracht, alles wieder an seinen Platz zu stellen.

Wie oft ich bei der Arbeit das Wort "ich" benutze? Das hängt ganz von der Situation ab. Wenn ich allein mit meinem Arbeitgeber bin und er mich um etwas bittet, würde ich wahrscheinlich sagen: "Ich werde das sofort erledigen." Vor Gästen würde ich eher die Formulierung benutzen: "Sehr gerne, Sir."

Protokoll von Johanna Bruckner

Natja Denk, 43 Jahre, Redenschreiberin

Als Redenschreiber darf man nicht in seine eigene Stimme verliebt sein, denn man leiht seine Worte ja einem anderen. Ich habe Geschichte, Politikwissenschaft und Kulturanthropologie studiert und bin von der Unternehmenskommunikation zur Redenschreiberei gekommen. Vor einigen Jahren habe ich mich selbstständig gemacht. Ich schreibe vor allem für Vorstände oder Geschäftsführer großer und mittelständischer Unternehmen Reden, die diese zum Beispiel auf Pressekonferenzen halten.

Mein Arbeitsalltag käme so manchem allzu einsam vor: Die meiste Zeit sitze ich am Schreibtisch und verfasse Reden, telefoniere und recherchiere. Auch intensive Zeitungslektüre ist wichtig, eine Redenschreiberin braucht eine sehr gute Allgemeinbildung. Außerdem denke ich, dass mein Stil mich auszeichnet: Meine Reden sind knapp und sachlich, aber immer mit einer Prise Ironie gewürzt. Das Nüchterne charmant rüberzubringen, das ist mein Ziel.

Dass am Ende jemand anders meine Rede vorträgt und dafür Applaus erntet, stört mich nicht. Ich stehe schließlich nicht in Konkurrenz zu meinen Auftraggebern. Ich beneide sie nicht, obwohl ich unsichtbar bin, während sie im Rampenlicht stehen. Im Gegenteil, wenn eine meiner Reden bei einem Kongress als bester Beitrag ausgezeichnet wird, freue ich mich, für meinen Kunden - und für mich. Platz tauschen möchte ich nicht: Es tut mir oft leid, wie fremdbestimmt manche Manager sind, für die ich schreibe.

Redenschreiber sind - entgegen vieler Vorurteile - keine grauen Mäuschen oder Mauerblümchen. Man darf nicht introvertiert sein, sondern braucht Selbstbewusstsein, um Auftraggebern auf Augenhöhe zu begegnen. Dazu gehört auch, dass ich offen meine Meinung sage und auch nicht jeden Auftrag annehme. Für einen Tabakkonzern - ich rauche nicht - oder einen Politiker, dessen Ansichten ich nicht teile, könnte ich keine Rede schreiben. Ich muss mich schließlich absolut in die Person hineinversetzen.

Dabei erlebt man natürlich auch Enttäuschungen: Mancher Redner tötet jede Pointe, indem er sie einfach abliest, selbst wenn ich sie im Skript mit einem großen Smiley markiere.

​Protokoll von Karin Janker

Bodyguard und Ballfanatikerin

Torben Meyer, 48 Jahre, Personenschützer

Whitney Houston nannte mich immer "Terminator". Sie war eine wahre Diva, während der gesamten Welttournee, bei der ich sie begleitet habe, hat sie vielleicht insgesamt eine halbe Stunde mit mir geredet. Aber ich erwarte auch keine Konversation mit der Person, die ich beschütze. Ich konzentriere mich auf die Umgebung, muss immer alles im Blick behalten. Alles Zwischenmenschliche würde da stören. Es dreht sich nicht um mich, ich habe mich um die Schutzperson zu drehen.

In den 25 Jahren als Personenschützer habe ich den Beruf zu schätzen gelernt. Es gibt nicht nur Entbehrungen und lange Arbeitstage. Ich bin dank meiner Aufträge viel in der Welt herumgekommen, habe Dinge erlebt, die ein Otto Normalo nicht erlebt, und interessante Menschen kennengelernt. Ich hatte das Privileg, Frank Sinatra die Hand zu schütteln. Bei der Berlinale beschütze ich noch heute Stars wie Brad Pitt oder Nicole Kidman, wenn sie in die Stadt kommen.

Meine eigenen Bedürfnisse muss ich im Einsatz vollkommen zurückstellen. Die Blase eines guten Personenschützers schafft die Strecke zwischen Bonn und Berlin. Auch nach nur zwei Stunden Schlaf muss ich klare Gedanken fassen. Und gegen Hunger habe ich einen Geheimtipp: Wann immer irgendwo eine Schale Gummibärchen steht, greife ich tief hinein und stecke mir eine Handvoll in die Hosentaschen. Wenn mal keiner guckt, nehm ich eines in den Mund und schlucke es direkt hinunter. Das sorgt für ein Sättigungsgefühl.

Als Personenschützer muss man richtige Täterphantasien entwickeln: Wo und wann würde ich zuschlagen? Mit welchen Waffen? Zugegeben, man wird in dem Beruf leicht paranoid. Auch privat mit meiner Frau setze ich mich in Restaurants immer so, dass ich den gesamten Raum im Blick habe. Ich kann inzwischen auch nicht mehr als Beifahrer im Auto sitzen.

Ein Bodyguard, der selbst im Mittelpunkt stehen will, oder jedem zeigt, dass er eine Waffe trägt, hat den Beruf verfehlt. Allerdings kennt auch meine Aufopferungsbereitschaft Grenzen: Jemanden wie Silvio Berlusconi könnte ich zum Beispiel nicht beschützen, weil ich mit seiner Art und Weise einfach persönlich nicht einverstanden bin. Schließlich müsste ich im Ernstfall mein Leben für ihn geben.

Protokoll von Karin Janker

Petra Steinhöfer, 55 Jahre, Fußballagentin

Ich komme aus einer fußballfanatischen Familie. Etwas anderes, als selbst zu spielen, kam gar nicht infrage - obwohl Frauenfußball damals noch nicht so populär und selbstverständlich war wie heute. Später habe ich dann zwölf Jahre gemeinsam mit meinem Mann eine Kinder- und Jugendmannschaften betreut. Besonders beeindruckend fanden die Jungs, dass ich beidfüßig spielen kann.

Auch unsere drei Kinder, zwei Söhne, eine Tochter, haben Fußball gespielt, der jüngere Sohn ist heute Profi. Durch ihn bin ich auf die Idee gekommen, als Fußballagentin zu arbeiten. Als er mit 19 eine schwere Verletzung hatte, hat ihn sein damaliger Berater sich selbst überlassen. Mein Sohn hat zu dieser Zeit in der zweiten Mannschaft des FC Bayern gespielt - in diesem Alter entscheidet sich, ob jemand als Profi Karriere macht. Da muss man doch für die Jungen da sein!

Ich versuche, es anders zu machen, den Spielern und ihren Familien eine Rundum-Betreuung zu bieten. Natürlich berate ich sie auch sportlich, übernehme beispielsweise die Verhandlungen mit Vereinen. Aber ich beruhige die Spieler und ihre Eltern auch, wenn es nicht gleich klappt mit einem neuen Vertrag, wenn sie eine längere Zeit auf der Bank sitzen - oder eine Verletzung durchstehen müssen. Ich arbeite mit einem sehr guten Physiotherapeuten zusammen; außerdem gehört zu meinem Team ein Rechtsanwalt, der den Familien in Finanz- oder Steuerfragen weiterhelfen kann. Und ich organisiere für die Jungen Mediencoachings, das wird immer wichtiger.

Gleichzeitig will ich den jungen Spielern gerade keine Ersatzmutter sein, sondern sie zur Selbstständigkeit anhalten. Die größte Aufgabe ist, einem Jugendlichen klarzumachen, dass er vorsorgen muss. Falls es mit der Profilaufbahn nicht klappt, beziehungsweise für die Zeit nach der großen Karriere. Man muss sie überzeugen, dass es sinnvoll ist, die Schule zu beenden. Ihnen vor Augen führen, dass sie irgendwann niemandem mehr haben werden, der für sie kocht, putzt, wäscht und Briefmarken besorgt.

Man könnte sagen, dass ich mein Helfersyndrom zum Beruf gemacht habe. Diese Einstellung macht es mir nicht immer leicht. Mir sind auch schon Spieler in den Rücken gefallen: Sie sind zu einem anderen Agenten gewechselt, kurz bevor sie einen Profi-Vertrag hatten. Dann bleibe ich auf meinen Auslagen sitzen. Von den Familien bekomme ich kein Geld; das ist in der Branche noch nicht üblich und würde mir als Abzocke ausgelegt. Außerdem sind die meisten Eltern von Nachwuchsspielern nicht so gut situiert und haben genug zu tun, die Fahrten zum Training und zu den Spielen zu bezahlen - von der Ausrüstung mal ganz abgesehen.

Ob ich traurig bin, dass es bei mir damals noch nicht die Möglichkeit gab, Profi-Fußballerin zu werden? Nein. Mich macht es glücklich, wenn einer "meiner Jungs" ein Bombenspiel hinlegt. Oder eine super Note schreibt. Junge Menschen in ihrer Entwicklung zu begleiten und einen Beitrag zu ihrer Karriere zu leisten, gibt mir das Gefühl, etwas geschafft zu haben.

Protokoll von Johanna Bruckner

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