Jobs für Top-Juristen:Rucksack-Tour vor Ruhm und Reichtum

Jobs für Top-Juristen: Karriere vor allem? Junge Juristen legen immer mehr Wert auf eine Work-Life-Balance.

Karriere vor allem? Junge Juristen legen immer mehr Wert auf eine Work-Life-Balance.

(Foto: Minerva Studio/iStockphoto.com)

Bisher gab es für die besten Nachwuchs-Anwälte nur ein Karriereziel: den gut bezahlten Job in einer internationalen Sozietät. Doch jungen Top-Juristen wird Freizeit immer wichtiger. Deshalb lockt manche Kanzlei nun mit 50 Tagen Ferien im Jahr.

Von Christine Demmer

Achim Glade hängt die Latte hoch. "Wir haben in diesem Jahr vier junge Juristen eingestellt, alle mit Prädikatsexamen und Doktortitel. Darunter machen wir's nicht", sagt der Partner in einer mittelgroßen Anwaltssozietät in Düsseldorf. "Es gibt sicher auch gute Juristen ohne sehr gute Noten", räumt Glade ein. "Aber die statistische Wahrscheinlichkeit ist höher, dass aus exzellenten Studenten auch exzellente Anwälte werden."

Solche Ansprüche konnten sich bisher nur die zehn Großkanzleien in Deutschland leisten, die mit einer amerikanischen oder britischen Law Firm assoziiert sind. Jetzt aber ziehen mittelständische Anwaltsbüros ("Boutiquen") nach, die sich auf Branchen oder Rechtsgebiete spezialisiert haben. Auch sie bieten hohe Einstiegsgehälter und intensive Fortbildung, daneben frühe Verantwortung, Familienfreundlichkeit und engen Kontakt zu den Partnern.

Damit treffen sie den Nerv der Absolventen. "Die großen Kanzleien haben erkannt, dass sie den Bedürfnissen der jungen Anwälte entgegenkommen müssen", so Tim Proll-Gerwe von der Servicegesellschaft des Bundesverbands der Unternehmensjuristen. Viele haben keine Lust mehr auf den Marsch durch die Hierarchien, ständige Erreichbarkeit, Nachtschichten und Kofferträgerdienste. Selbst hochbezahlten Einserabsolventen ist dieser Preis für den Aufstieg in den Partner-Olymp zu hoch.

Work-Life-Balance wichtiger als Ruhm und Reichtum

"Die Studenten denken um", sagt Markus Schmitt, 30, zugelassener Anwalt und Unternehmensjurist in Frankfurt. "Wer sich auf Medizin-, IT- oder Presserecht spezialisiert, kommt nach ein paar Jahren auch so in Großkanzleien und hat dazu die Option auf den Einstieg in eine Boutique."

Die Work-Life-Balance heute sei wichtiger als Ruhm und Reichtum morgen. "Der Unterschied zwischen 70.000 und 100.000 Euro Jahresgehalt rechtfertigt es nicht, dass ich jeden Tag erst um 21 Uhr nach Hause komme", sagt Schmitt. In seinem Freundeskreis spüre er das deutlich. "Es gibt natürlich immer die Jäger. Aber es gibt auch schon viele, die das anders sehen."

Und wie denken diejenigen, die es nicht unter die jährlich 500 bis 700 Topabsolventen geschafft haben mit zwei Prädikatsexamina und Auslandsstudium?

Kanzleiberaterin Johanna Busmann hat täglich mit ihnen zu tun. "Sie sorgen sich um ihre Position am Arbeitsmarkt. Sie wissen sehr genau, dass sie sich für einen Beruf mit hoher Arbeitslosigkeit entschieden haben. Ihnen ist nicht klar, wie sie gegenüber bereits positionierten Konkurrenten bestehen können. Wie sollen sie Mandanten bekommen? Sie haben Angst um ihre ökonomische Existenz."

Markus Schmitt hält das für zu schwarz gemalt: "Ich kenne niemanden, der mit mir Jura studiert hat und Taxi fährt. Alle haben irgendwas gefunden, in Lobbyismus, Politik, Verlag oder in der Wirtschaft. Mal früher, mal später."

Keine Schonzeit in den Kanzleien

Auch für Markus Hartung von der Bucerius Law School haben sich die Vorlieben der Generation Y kaum verändert. "Die besten Jura-Absolventen können sich nach wie vor aussuchen, wohin sie gehen, und sie sind bereit, viel in ihre berufliche Karriere zu investieren", sagt er. "Zwar wird heute vermehrt über die Work-Life-Balance gesprochen. Aber man kann nicht sagen, dass in den Kanzleien Schonzeiten ausgebrochen sind."

Die Profitabilitätsziele der Kanzleien seien ebenso hoch wie die Vorstellungen davon, was ein Partner leisten müsse, sodass man sich sehr genau anschaue, wen man aufnehme. "Die Partner-Perspektive ist für die meisten jungen Juristen in weite Ferne gerückt. Also müssen die Kanzleien mit anderem winken."

Dazu zählt die Fortbildung, aber auch der Blick über den Tellerrand. Die Großkanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer hat zusammen mit der Hochschule St. Gallen ein zehntägiges BWL-Programm entwickelt. "Eine Art Mini-MBA", sagt Niko Schultz-Süchting, der sich im Büro Hamburg um den Nachwuchs kümmert.

Ohne Regenerationsphasen keine Höchstleistungen

Freshfields stellt jedes Jahr 80 bis 100 Associates ein. Neben fachlicher Anleitung durch exzellente Juristen und einem Gehalt von 100.000 Euro winkten herausfordernde Mandate und flexible Arbeitsmodelle. "Das kann auch Teilzeit sein" sagt Schultz-Süchting. "Wir legen heute größeren Wert darauf, die Anforderungen der Mandatsarbeit und des Privatlebens in einen besseren Ausgleich zu bringen."

Die Großkanzlei Mayer Brown bietet bis zu 50 Tage Ferien im Jahr. "Neben 28 Tagen bezahltem Urlaub stehen den Anwälten gegen eine entsprechende Gehaltskürzung zusätzlich 22 freie Tage zu, um sich zum Beispiel den Traum vom Backpacker-Trip nach Südamerika oder einer Lehrtätigkeit erfüllen zu können", sagt Partner Jörg Wulfken. Er versteht das Angebot als Perspektive, denn bisher werde es wenig in Anspruch genommen, schon gar nicht von Berufsanfängern. "Gerade die sind sehr motiviert, wollen hart arbeiten und viel lernen."

Zur Firmenkultur der internationalen Wirtschaftskanzlei Dentons gehören flexible Arbeitszeiten, Elternzeit und Home- office. "Wir verlangen Höchstleistungen", sagt Andreas Ziegenhagen, Managing Partner Deutschland. "Da bedarf es auch mal einer Regenerationsphase. So respektieren wir grundsätzlich das Wochenende, kein Associate sitzt bis in die Nacht hinein im Büro - es sei denn, er hat seinen Arbeitstag entsprechend später gestartet."

Mit der neuen Familienfreundlichkeit wollten die Kanzleien vor allem weibliche Absolventen anziehen, sagt Hartung. 56 Prozent der Berufseinsteiger seien Frauen, von denen aber nur 30 Prozent in Kanzleien gingen. "Bei Gericht, in Behörden und Verbänden locken geregelte Arbeitszeiten und Familienverträglichkeit des Jobs."

Doch auch bei der Familienfreundlichkeit versuchen die mittelständischen Kanzleien mitzuhalten. Achim Glade aus Düsseldorf illustriert das gern mit einer kleinen Geschichte: "Eine unserer Juristinnen, gerade im Erziehungsurlaub, wurde dringend im Büro benötigt. Die Kinderbetreuung machte Probleme. Also haben wir die Großmutter für drei Tage eingeflogen."

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