Jobs für Rentner:Mit 66 Jahren fängt das Arbeiten erst an

Wenn Unternehmen ihre Führungskräfte in den Vorruhestand schicken, schaden sie nicht nur sich selbst. Viele Frührentner fallen in ein seelisches Loch, ihren ehemaligen Arbeitgebern fehlt wichtiges Erfahrungswissen. Immer mehr Unternehmen holen deshalb pensionierte Experten zurück in den Betrieb.

Maria Holzmüller

Reinhard Korkowski ist ein vielbeschäftigter Mann. Alle zwei Wochen fährt der 66-Jährige Betriebsleiter aus der Nähe von Heidelberg für drei Tage mehr als 400 Kilometer nach Norddeutschland, um dort in einem mittelständischen Unternehmen Qualitätsmängel im Betrieb zu verringern. In der Unternehmenszeitung wurde bereits über seine Erfolge berichtet - und auch andere Unternehmen haben schon Interesse angemeldet. Einige würden ihn auch gerne Vollzeit beschäftigten, doch davor schreckt Korkowski zurück - denn eigentlich ist er seit fünf Jahren in Rente.

Alt Jung Büro Kollegen Team

Teams arbeiten nicht besser, nur weil der Chef sich toll findet.

(Foto: iStock)

Mit 61 Jahren ging der ehemalige Betriebsleiter in den Vorruhestand - "nicht ganz freiwillig", wie er heute sagt. Da saß er nun. Seine Frau ging noch immer jeden Tag zur Arbeit und Korkowski selbst hatte das Gefühl, noch zu viel Wissen zu haben, um einfach nichts mehr zu tun. Ein Zeitungsbericht holte ihn zurück ins Arbeitsleben.

Von der Initiative "Erfahrung Deutschland - Comeback der Hochkaräter" war da die Rede. Gesucht wurden ehemalige Fach- und Führungskräfte, die ihre Erfahrung und ihr Spezialwissen vorübergehend als Senior-Experten Unternehmen zur Verfügung stellen. Korkowski meldete sich - und wurde schon bald für sein erstes Projekt angefragt.

Seitdem ist er wieder regelmäßig unterwegs. In seinem neuen Unternehmen fühlt er sich wohl, bei den neuen Kollegen ist er beliebt. "Das ist toll. Man gehört nicht zum Altenteil, kann viel einbringen. Die Leute in den Unternehmen sind richtig scharf darauf, einen Seniorpartner zu haben, der keine Konkurrenz ist und kein Unternehmensberater, der nur bedrucktes Papier hinterlässt, das in einer Schublade verschwindet", sagt Korkowski.

"Man ist wieder wer"

Manfred Brock ist Geschäftsführer von "Erfahrung Deutschland". Der 67-Jährige war einst leitender Mitarbeiter bei IBM, Nixdorf und Siemens. Nachdem auch er vorzeitig in den Ruhestand entlassen worden war, suchte er nach Möglichkeiten, das Erfahrungswissen, das so viele Frührentner mit ins Private nehmen und das den Unternehmen plötzlich fehlt, sinnvoll einsetzen zu können. Die Initiative "Erfahrung Deutschland" war 2006 gerade gegründet worden - und Brock stieg ein.

Manfred Brock

Manfred Brock ist Geschäftsführer der Initiative "Erfahrung Deutschland".

(Foto: privat)

"Viele Führungskräfte fallen nach der Pensionierung in ein Loch. Sie waren immer unterwegs und sind plötzlich gezwungen, den ganzen Tag zu Hause zu bleiben. Das belastet auch viele Ehen stark", sagt Brock.

Inzwischen sind in der Datenbank der Initiative mehr als 5000 Experten gespeichert. Und mehr und mehr Unternehmen greifen auf die gesammelten "414.741 Jahre Führungserfahrung" - wie es auf der Webseite der Initiative heißt - zurück. "Wir bekommen Anfragen aus allen Branchen, vor allem aus mittelständischen Unternehmen. Wenn dort ein Manager ausfällt, dann ist die Personaldecke meist nicht dick genug, ihn zu ersetzen. Diese Unternehmen sind froh, wenn sie auf einen erfahrenen Interims-Manager zurückgreifen können", erzählt Brock.

Im Durchschnitt verbringen die Seniorexperten zwei bis drei Monate in einem Unternehmen, meist in Teilzeit, für ein paar Tage im Monat. Als Experten beraten sie jüngere Kollegen, finden Fehler in Produktionsketten oder überwachen Umstrukturierungsprozesse. "Den Unternehmen, die sich bei uns melden, fehlt entweder Wissen, oder es fehlt der Mensch", fasst Brock die Motive der Unternehmen zusammen - beides nimmt in Zeiten des Fachkräftemangels zu.

Und die Motivation der aktiven Pensionäre? "Geld ist es nicht", sagt Brock. Sie alle hätten ihre Altersbezüge als Einkommen. Zwar zahlt ein Unternehmen für einen Experten einen Tagessatz zwischen 600 und 900 Euro - ein Großteil davon geht an die Experten -, viel mehr zähle den meisten jedoch die Wertschätzung der Kollegen und der auftraggebenden Unternehmen sowie das Gefühl, dabei zu sein. "Man ist wieder wer, man wird gebraucht", sagt Brock.

Als Ersatz-Oma nach Frankreich

Kristin Emmerinck

Kristin Emmerinck schickt mit "Madame Grand-Mère" alleinstehende Frauen als Ersatz-Omas in die Welt.

Das Gefühl des Gebrauchtwerdens suchen auch die Frauen über 50, die sich bei Kristin Emmerinck melden. Anfang des Jahres rief sie die Organisation "Madame Grand-Mère" ins Leben und vermittelt seitdem alleinstehende Damen als Au-pair-Ersatz an deutsche Familien im Ausland.

Emmerinck selbst entschloss sich mit 62 Jahren, für drei Monate nach Frankreich zu gehen. Über Kontakte kam sie in eine französische Familie, ging jeden Tag in die Sprachschule und lernte mit der Tochter des Hauses für das Abitur. "Das war eine große Herausforderung, alles war neu. Aber vor allem war es eine großartige Erfahrung", erinnert sie sich.

Jetzt ist sie auf der Suche nach deutschen Familien im Ausland, die lieber auf die Lebenserfahrung einer Art Großmutter vertrauen als auf jugendliche Au-pair-Mädchen. "Die Familien bieten kostenlos Kost und Logis, die Leih-Großmütter übernehmen dafür vorher abgemachte Aufgaben", berichtet Emmerinck. Den Vermittlungsservice bietet Emmerinck selbstverständlich auch Männern an - aber die zeigen sich bislang von ihrer zurückhaltenden Seite. Während sich seit Anfang 2011 bereits 37 Frauen für einen Auslandseinsatz meldeten, zeigten bislang nur zwei Männer verhaltenes Interesse.

Die ersten Frauen will Organisatorin Emmerinck im Herbst losschicken - im Durchschnitt für drei Monate. Wie die Experten von "Erfahrung Deutschland" wollen auch sie nicht zurück in einen Vollzeitjob.

Reinhard Korkowski jedenfalls ist ganz zufrieden mit seinen drei Tagen alle zwei Wochen: "Eigentlich ist es auch ganz schön, wenn man mal von zu Hause fort ist. Bloß nicht jede Woche", sagt er. "Das Leben als Rentner hat ja auch noch andere Aspekte."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: