Süddeutsche Zeitung

Frage an den SZ-Jobcoach:Kann ich den Bewerbungsprozess beschleunigen?

Andreas W. hat sich vor Monaten für mehrere Jobs beworben und diverse Interviews und Tests absolviert. Er hadert damit, dass ihn noch keine Zu- oder Absagen erreicht haben.

SZ-Leser Andreas W. fragt:

Ich befinde mich derzeit in vier Bewerbungsprozessen für eine neue Position. Drei Stellen sind strategisch wichtige Positionen bei Industrieunternehmen (Stahlproduktion, Berg- und Anlagenbau) im Bereich der IT und Datenanalyse, eine Stelle ist bei einer international tätigen Beratung mit Fokus auf die Finanz- und Versicherungsbranche. Alle vier Bewerbungen dauern bereits zwei bis drei Monate an, ich habe im Schnitt drei Interviews absolviert, außerdem IQ- und Persönlichkeitstests gemacht. Trotz wiederholter Bekundungen seitens der Firmen, dass man mich als passenden Kandidaten sieht, lässt der Abschluss der Prozesse und somit ein Arbeitsvertragsangebot auf sich warten. Kann man als Bewerber diesen Prozess beschleunigen?

Christine Demmer antwortet:

Lieber Herr W., dass sich die Unternehmen bei der Auswahl der Kandidaten viel Zeit lassen, wird immer wieder beklagt. Für Jobsuchende ist das ärgerlich und für Außenstehende völlig unverständlich. Wofür straffen die Personaler denn pausenlos ihre internen Prozesse und investieren in Tools wie das IT-gestützte Bewerbermanagement, wenn nicht dafür, den Bewerbern schnellstens mitteilen zu können, was Sache ist?

Als wechselwilliger Arbeitnehmer in ungekündigter Stelle und mit der Aussicht auf Verbesserung mag man zwei, drei Monate Bedenkzeit noch zähneknirschend hinnehmen. Aber wer rasch wieder unter ein Firmendach schlüpfen will, schiebt angesichts solch langer Wartezeiten reichlich Frust. Frust, der sich nach einer Absage steigert und nur durch reges Herumerzählen nach und nach abgebaut werden könnte. Nur tut das kaum jemand. Weil man dann selbst blöd dasteht. Personalabteilungen haben also von dieser Seite nichts zu befürchten.

Und kommt nach langen Wochen des Wartens endlich doch die erhoffte Nachricht, die den Bewerber in einen neuen Mitarbeiter verwandelt, dann ist die Welt sofort wieder in Ordnung. Wieso Ärger? "Die brauchten halt so lange, weil sie ganz sicher sein wollten, den bestgeeigneten Kandidaten zu nehmen."

Was den Laien verwundert den Kopf schütteln lässt, erstaunt den Fachmann nicht im Mindesten. Denn der weiß, warum sich Personalauswahlprozesse ganz ohne böse Absicht enorm lang hinziehen können. In vielen Firmen müssen drei, vier, fünf oder noch mehr Personen den Daumen heben oder senken. Wenn die eine gerade aus dem Urlaub zurückgekehrt ist, besucht der nächste eine Tagung und die dritte nimmt anschließend an einem Workshop teil. Weil der vierte sein Urteil an das des zweiten knüpfen und auf keinen Fall anders als die dritte entscheiden will, sicherheitshalber aber auch die Meinung der gerade geschäftlich verreisten Nummer fünf hören möchte, zieht sich die Angelegenheit hin.

So werden aus Tagen Wochen und aus Wochen Monate. Digitalisierung hin, irgendwas 4.0 her: Es menschelt halt in Unternehmen. Da Sie an einer strategisch wichtigen oder beratenden Position interessiert sind, werde ich Ihnen nicht Neues erzählen. Tempo in die Sache bringen können Sie nur, wenn Sie auf eine Entscheidung binnen - sagen wir - drei Tagen drängen. Irgendeiner wird dann noch nicht gehört worden sein, was bedeutet: Sie sind aus dem Rennen. Denn unter Druck setzen lassen sich Organisationen schon mal gar nicht.

Der Grund für die lange Nachdenkzeit kann natürlich auch sein, dass man Sie als Nachrückkandidaten vorgesehen hat. Wenn der auserkorene Bewerber gerade im Urlaub oder auf einem Workshop ist, muss man auf seine Rückkehr warten. Schlägt er ein, sind Sie aus dem Spiel. Aber vielleicht hat er es sich ja anders überlegt. In diesem Fall sind Sie am Zuge. Wenn Sie dann noch wollen.

Christine Demmer arbeitet als Wirtschaftsjournalistin und Coach in Deutschland und Schweden.

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SZ vom 08.12.2018/mkoh
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