Süddeutsche Zeitung

Online-Kurse:Die Webcam als Chance

Sport, Musik, Therapie - viele Anbieter waren bisher überzeugt, dass körperliche Präsenz in ihrem Job unabdingbar ist. Die Krise zeigt: Es geht auch anders.

Von Matthias Kreienbrink

Unter strahlend blauem Himmel stehen die Tänzer und Tänzerinnen in Formation, pressen die Hände zusammen, gehen in die Hocke. Der Himmel ist Tapete an der Decke des Tanzstudios Neustart in Düsseldorf, und die Tänzer sind inzwischen in Isolation. Vorher haben sie noch ihre Kurse auf Video aufgezeichnet. Denn getanzt wird noch immer, jetzt allerdings vor flimmernden Bildschirmen zu Hause. Die Tanzschule bietet Online-Kurse an für alle, die weitermachen wollen. "Wir haben direkt gedacht: Wir müssen jetzt einen Weg finden, um in Verbindung zu bleiben", sagt Christian Fandrey, Inhaber des Studios.

So wie ihm geht es derzeit vielen Menschen. Sei es als Therapeutin oder Coach, als Gesangslehrerin oder Fitnesstrainer. Schulen, Konservatorien, Praxen, Sportstudios - sie sind geschlossen, Kurse können kaum noch stattfinden. Also gilt es nun, digitale Wege zu finden. Und dabei entdecken einige Menschen gerade, dass diese Umstellung durchaus Vorteile haben kann - während andere sich die Nähe wieder herbeisehnen.

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Bisher trafen sich zehn bis 25 Menschen bei den Tanzstunden von Christian Fandrey und seinem Team. "Wir haben schon früh damit gerechnet, dass wir unser Studio wegen Corona werden schließen müssen", sagt Fandrey. Darum habe man sich am Wochenende vor den drastischen Einschnitten zusammengefunden, um Videos zu drehen. "Von morgens bis abends haben wir durchgearbeitet, damit es Videos für jeden Kurs gibt", sagt er. "Wir wollten unbedingt den Kontakt halten."

Danach habe man drei Wochen abwarten wollen: Lockert sich die Situation wieder? Und als feststand, dass dem nicht so ist, gingen sie einen Schritt weiter. "Wir eröffnen nun einen Online-Stundenplan", sagt Tanzlehrer Fandrey. Mit der Video-App Zoom werden die Coaches aus dem Tanzstudio live gehen und hoffen, dass möglichst viele Menschen mitmachen. "Wir werden stark darauf angewiesen sein, dass alle Teilnehmenden von sich aus etwas sagen, wenn es Probleme oder Schwierigkeiten gibt." Man müsse vor der Kamera viel langsamer agieren, auf jeden Einzelnen achten. Die Gefahr bestünde, das Menschen abgehängt werden.

Kann die unmittelbare Begegnung ersetzt werden?

Für Fandrey steht fest, dass er nach Corona wieder zu seiner ursprünglichen Idee zurückkehrt: "Komm zu uns, hier wirst du aufgenommen und kannst dich wohlfühlen", das sei seine Philosophie. Ein Online-Tanzkurs könne die unmittelbare Begegnung nicht ersetzen. "Ich würde damit meine Werte verlieren, das ist mir zu platt und zu kalt." Er hat mit Umsatzeinbußen zu kämpfen, besonders seine Arbeit als Choreograf für Videos fällt weg. Christian Fandrey hofft, bald wieder mit und vor Menschen tanzen zu können.

Umsatzeinbrüche hat auch Jannik Schöning. Er ist Personal Trainer, besucht eigentlich Personen in ihren Wohnungen oder macht Sport mit ihnen in Fitnessstudios. Während im Tanzstudio die Gebühren weiterlaufen, solange Mitglieder nicht gekündigt haben, rechnet Schöning pro Stunde ab. Seine Internetseite taucht bei Google ganz oben auf, wenn man nach einem Personal Trainer in Hamburg sucht, aber: "Gerade kommen über die Seite keine Anfragen mehr rein", sagt er. Zwar gibt er noch Einzelstunden an der freien Luft, doch werden auch diese gerade oft abgesagt. Die Menschen seien zu besorgt.

"Ich habe darum entschieden, auch Online-Kurse anzubieten über Skype", sagt Schöning. Das sei aber gar nicht so einfach: "Ich muss genau darauf achten, dass beim Teilnehmer die Kamera richtig steht, das Licht perfekt ist, das passende Equipment da ist." Er versuche zwar, möglichst auf Übungen zurückzugreifen, die ohne Gerätschaft absolviert werden können, doch seien gerade für Rückenübungen oftmals Dinge wie ein TRX-Band nötig.

"Meine erste Reaktion war die eines totalen Schocks"

Mit den wenigen, die seine Online-Kurse derzeit wahrnehmen, macht er feste Zeiten aus, jede Woche. "Es ist wichtig, gerade jetzt eine Struktur in den Alltag zu bekommen und die Motivation nicht zu verlieren", sagt er. Und so schaut er dann mit seinem iPad in der Hand genau hin, was die Trainierenden machen, und gibt möglichst genaue Anweisungen. "Selbst wenn ich nur 80 Prozent von dem sehe, was die Teilnehmer machen, ist das immer noch besser, als wenn sie die Übungen ganz alleine machen", sagt Schöning. Für ihn sei Corona auch ein beruflicher Weckruf, er wolle sich zukünftig vermehrt um Online-Angebote kümmern, um auch die Menschen zu erreichen, die nicht in Hamburg leben. "Ich versuche, die Vorteile zu sehen, ich werde so ortsunabhängiger."

Beim Sport schafft körperliche Nähe ein Gemeinschaftsgefühl. In Fitnessstudios, Trainingsgruppen oder Yoga-Schulen wird immer auch eine Atmosphäre hergestellt. Menschen, die sich gegenseitig antreiben. Freunde oder Fremde, deren Puls gemeinsam ansteigt und wieder fällt. Und selbst der Schweiß, der in der Luft steht, ist Teil dieser Atmosphäre. All das fehlt im Digitalen. Hier sind die Menschen vor allem mit sich selbst allein.

"Meine erste Reaktion war die eines totalen Schocks", sagt Katarina Bailer. Die Maßnahmen gegen Corona hätten sie kalt erwischt, doch dann habe sie sich umgehört. "Ich habe amerikanische Kolleginnen, die mir von Online-Stunden erzählt haben. In den USA sind sie diesbezüglich viel weiter", sagt Bailer, die seit 16 Jahren Gesangslehrerin ist. Doch ihr wurde prophezeit, dass wohl nur die Hälfte ihrer Schüler auch mitmachen würden beim Online-Gesangsunterricht. Und so kam es auch: "Besonders die älteren Menschen sind da skeptisch. 50 bis 60 Prozent meiner Schüler nehmen auch weiterhin teil. Die anderen warten ab", sagt Bailer.

Sie bietet ihre Stunden nun über Zoom an und hat festgestellt, dass große Teile der Körperlichkeit ersetzt werden können. "Ich achte nun sehr viel mehr auf die Mimik. Was machen die Lippen, die Zunge, wie angespannt ist das Gesicht?" Doch gerade bei der Atemtechnik fehle es ihr, den Menschen zu berühren, auf die Stelle hinzuweisen, in die der Atem fließen soll.

Hypnose per Webcam? Selbst das geht

Sie kenne Kollegen, die jetzt schon sagen, dass sie komplett auf Digitalunterricht umstellen wollen, "dann fällt immerhin die Raummiete weg." Und auch sie könne sich gut vorstellen, in der Zeit nach Corona weiterhin Online-Kurse anzubieten, jedoch eher optional. "Für Menschen, die viel unterwegs sind. Oder solche, die eigentlich keine Gesangsstunden nehmen wollen, weil sie zu scheu sind." Gerade letztere könne man mit einem Online-Angebot erreichen, ohne dass sie ihre sicheren vier Wände verlassen müssen.

Therapie, Coaching, Malkurse, Yoga, Training, Musikunterricht - es gibt viele Bereiche, in denen gerade mit Online-Angeboten experimentiert wird. Selbst Hypnose ist dabei. "Menschen, die ihre Lebensqualität verbessern wollen, etwa indem sie mit dem Rauchen aufhören oder Gewicht verlieren, kommen zu mir", sagt Markus Schuh, Leiter eines Hypnosestudios in Augsburg. Es gebe kaum einen Unterschied zwischen einer Behandlung vor Ort oder per Webcam. "Nur bei Signalabbruch muss man aufpassen", sagt Schuh, wenn also das Gespräch endet. "Darum mache ich mit dem Hypnotisand vorher aus, dass er, wenn er fünf Minuten nichts hört, aus der Hypnose erwacht."

80 Prozent ihres Umsatz sei weggefallen, sagt die Chance-Managerin

Eigentlich unterrichte er auch Ärzte und Heilpraktiker, doch dieser Teil seines Berufs falle gerade weg. Und auch die Hypnose per Skype oder Zoom wollen nicht viele wahrnehmen. "Hypnose wird sowieso schon mit Skepsis betrachtet. Online sind da noch mehr Zweifel da", sagt Schuh.

Dorothea Meyer unterstützt Menschen dabei, beruflich weiterzukommen. Gerade hat sie selbst Probleme damit. "Ich arbeite als Coach und Change-Manager eigentlich viel in Unternehmen - das fällt gerade flach", sagt sie. Hier bringt sie Menschen bei, wie Konfliktmanagement und Teambuilding funktionieren können. 80 Prozent ihres Umsatzes sei weggefallen. Etwa 25 Einzelklienten habe sie jedoch noch, die sie per Webcam erreicht. Da gehe es um persönlichere Themen, Hindernisse im Weiterkommen, Motivation. "Online-Coaching habe ich schon vor Corona angeboten, damals wurde das aber kaum angenommen."

Online müsse sie stärker daran arbeiten, die Menschen abzuholen, Vertrauen zu schaffen. "Dabei gibt es in der Herangehensweise keinen Unterschied: Wir sprechen über den aktuellen Zustand der Person, über die Themen, die gerade anstehen. Dann habe ich ein Flipchart auf meinem Tisch, auf dem ich Methoden visualisieren kann, die es dann zu üben gilt", sagt Meyer. Nur passiere das derzeit eben über einen Bildschirm, nicht in ihrer Praxis.

Doch genau dieser Ort sei es, der eben doch einen Unterschied mache. "Das Ritual des Kommens und Gehens fällt weg", sagt Meyer. Auch hier geht es um die Atmosphäre. Die Praxis stünde für Therapie und Coaching, die Menschen müssten ihr eigenes System, ihr Zuhause verlassen. Dennoch möchte sie auch nach der Isolationszeit Online-Stunden anbieten - denn schließlich sei das alles auch Kondition. Die Menschen lernten nun kennen, was online alles möglich ist. "Die Bereitschaft steigt jetzt. Da, wo vorher Skepsis gegenüber dem Digitalen herrschte, wird es nun Teil der Erfahrung. Das kann der Beginn einer neuen Normalität werden."

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Quelle:
SZ vom 25.04.2020
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