Süddeutsche Zeitung

Job:Noch ein Sprühstoß LSD vor dem Meeting?

Gehirndoping am Arbeitsplatz ist längst verbreitet, nun kommt aus Kalifornien offenbar ein fragwürdiger Trend: Verdünntes LSD soll Kreativität und Konzentrationsfähigkeit verbessern.

Von Philippe Zweifel

Es ist Mittagszeit in der Zürcher Bar Basso. Hungrige Businessleute strömen herein. Einer von ihnen ist Lars Stadelmann (Name geändert), der bei einer großen Schweizer Firma im mittleren Management angestellt ist. Der Mittvierziger bestellt einen Caesar Salad. Dann nimmt er ein Spray mit verdünntem LSD aus seiner Tasche und sprüht sich ein paar Mal in den Mund. "Acht bis zehn Mikrogramm", sagt er, "ist die ideale Dosis."

LSD? Ist das nicht die Droge, die einen rosarote Elefanten sehen lässt oder bei der schon Menschen aus dem Fenster gesprungen sind? Jene Substanz, die Hippies von Alleinheitserfahrungen schwärmen und auch manchen rationellen Zeitgenossen tief in seine Seele blicken ließ?

Dass LSD zwischen Himmel und Hölle so ziemlich alles auslösen kann, weiß ­jeder, der selber schon mal einen Trip eingeworfen hat. Aber genau das machen Leute wie Lars Stadelmann nicht. Sie konsumieren extrem niedrige Dosierungen, ungefähr ein Zehntel eines LSD-Trips, zwei bis dreimal pro Woche. Die Kosten sind lächerlich tief: 30 Rappen für eine Dosis. "Microdosing" heißt das in Amerika, wo der entsprechende Trend hohe Wellen schlägt. "Der neue Businesstrip", schreibt das Rolling Stone Magazine. Und Forbes konkretisiert: "Microdosing ist der Arbeitsturbo im Silicon Valley."

Eine niedrige LSD-Dosis, berichten die Anwender, habe den gegenteiligen ­Effekt einer hohen Dosierung. Man verliert sich nicht in seinen Gedanken, sondern verbessert die Konzentrations­fähigkeit und die Kreativität - unabdingbare Eigenschaften gerade für jemanden, der es in der Techbranche zu ­etwas bringen will. Zumal dort jedem das Bekenntnis von Apple-Gründer Steve Jobs bekannt ist: LSD zu nehmen, sei eine der wichtigsten Entscheidungen in seinem Leben gewesen.

Der Druck in der kalifornischen Start-up-Kultur lässt viele ihren Körper und Geist optimieren, mit Yoga etwa oder Meditation. Auch ein digitaler Stimmungsmodulator, der über die Nervenzellen im Hirn Beruhigung oder Energie spendet, steht im Angebot. Es ist ironisch, dass auch der neueste Trend des Microdosing ausgerechnet aus Kalifornien stammt, wo die Gegenkultur einst den LSD-Slogan "Turn on, tune in, drop out" prägte. Nun verwenden die Kinder der Aussteiger die Substanz als leistungssteigerndes Mittel.

Gehirndoping am Arbeitsplatz ist bereits verbreitet

So interessant wie die Wirkung einer Droge ist ihre Aussage über die Gesellschaft, in der sie konsumiert wird. Was Kokain für die Wallstreet in den 80er-Jahren war, könnte Microdosing für die heutige Leistungsgesellschaft werden. Denn Gehirndoping am Arbeitsplatz ist bereits verbreitet. Das geht aus einer Befragung hervor, welche die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (Suva) vor drei Jahren in der Schweiz durchführen ließ. Vier Prozent der Befragten gaben an, mindestens einmal verschreibungspflichtige Medikamente wie Modafinil oder Ritalin konsumiert zu haben, um leistungsfähiger zu sein oder um Stress abzubauen. Bei Umfragen an deutschen Unis gaben zwischen fünf und 20 Prozent aller Studenten an, solche Stimulanzien zu schlucken. Und ihre wissenschaft­lichen Lehrer stehen ihnen offenbar in nichts nach: In einer Erhebung des Fachblatts Nature gestand einer von fünf Abonnenten den Gebrauch von Neuro-Enhancern.

Im Unterschied zu diesen Substanzen hat LSD ein geringeres Raubbau- und Abhängigkeitspotenzial. Ist LSD-Microdosing eine "gesunde" Alternative zu solchen Medikamenten? James Fadiman ist überzeugt davon. Der 77-jährige US-Psychologe untersucht seit Jahrzehnten die Wirkung von psychedelischen Substanzen. 1966 wollte er herausfinden, ob LSD und Meskalin es Wissenschaftlern ermöglichen, schwierige physikalische oder maschinenbauliche Probleme zu lösen. 27 Wissenschaftler nahmen am Experiment teil - und das Resultat war verblüffend: 40 der 44 Probleme wurden gelöst oder teilweise gelöst.

Fadimans Experiment wurde allerdings abrupt abgebrochen. Denn noch im selben Jahr wurde LSD in den USA verboten. Bald darauf folgte ein weltweiter Bann. Die Erforschung der Substanz kam trotz zuvor vielfach bestätigtem therapeutischem Nutzen zum Erliegen. Auch heute noch sind Experimente mit LSD in vielen Ländern rechtswidrig. Weil es deswegen keine wissenschaftlichen Studien zu LSD-Micro­dosing gibt, untersuchte Fadiman kürzlich die Selbstmedikation. Menschen mit Microdosing-Erfahrung schickte er Protokollformulare, die er auswertete. Glaubt man Fadimans Fazit, ist Microdosing ein wahres Wundermittel: Es hilft bei Konzentrationsschwierigkeiten, Prüfungsstress oder Essstörungen genauso wie gegen Angstzustände oder posttraumatischen Stress.

Die Schweiz ist eines des wenigen Länder, in denen LSD mit Sonderbewilligungen untersucht werden darf. Etwa in der Forschungsgruppe Neuropsychopharmacology and Brain Imaging an der Universität Zürich. "Es ist belegt, dass LSD zu unkonventionellen, flexibleren Denkmustern führt", sagt deren Leiter Franz X. Vollenweider. Dass gesunde Menschen LSD als leistungssteigerndes Mittel konsumieren, findet der Professor aber problematisch - auch weil es eine enge Gratwanderung sei zwischen Kreativität und Zusammenbruch.

Koni Wäch von der Drogenberatungsstelle Eve & Rave bestätigt, dass LSD-Mikrodosen in der Schweiz ein Thema sind. Seines Wissens setzen vor allem Leute mit vorgängiger LSD-Erfahrung auf die Mikrodosen. Es erreichten ihn aber auch Anfragen von Menschen, die sich informieren wollen. Auch hier würde die Droge als Kreativitätsbooster einge­setzt - aber auch als Selbstmedikation bei starken Kopfschmerzen. Laut Wäch beziehen die meisten das LSD über Freunde oder die Partyszene.

Auch Lars Stadelmann erhält den Stoff über diese Kanäle. Er erzählt von einer Geschäftsleitungssitzung, die er mit einer Mikrodosis LSD bestritten habe. Selten sei er so empathisch und gleichzeitig überzeugend gewesen - mit einem klar messbaren Resultat: Er habe gegen die Ansicht seiner Chefs eine Offerte abgeschmettert, was sich als richtige Entscheidung herausgestellt habe.

Angst vor einer Abhängigkeit hat Lars Stadelmann nicht; seit vier Monaten "dose" er jetzt, und noch nie habe er nüchtern ein Verlangen nach dem Stoff ­verspürt. Im Gegenteil: Sein drohendes Burn-out sei eliminiert und auch sein Hang zum Rauschtrinken habe sich abgeschwächt. Er bezeichnet den Stoff als ­"genial" und spricht von einer "langfristig heilenden Wirkung" - eine Beobachtung, die auch die Wissenschaft gemacht hat. "Wie die Langzeiteffekte von psychedelischen Substanzen genau zustande kommen", sagt Franz X. Vollenweider, "ist aus neuropsychiatrischer Sicht ein sehr interessantes und aktuelles Thema."

Gefährdet LSD die Gesundheit - oder optimiert es diese? Die Frage ist so alt wie der Stoff selbst. Für Stadelmann steht die Antwort fest. Zum Ende des ­Gesprächs sprüht er sich nochmals zwei-, dreimal in den Mund. Dann geht er seinem Tagwerk nach.

Dieser Artikel erschien zuerst im Tages-Anzeiger vom 30.11.2016

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