Süddeutsche Zeitung

Neuanfang:"Ich war zum ersten Mal in meinem Leben frei"

Ein ehemaliger Produktmanager, eine ausgebildete Köchin und ein Ex-Fußballer: Drei Menschen erzählen, warum es wichtig war, ihren Job zu kündigen.

Protokolle von Julian Erbersdobler

Peter Hackmair, 32, Fußballer

Ich kann mich noch genau an mein erstes Spiel in der österreichischen Bundesliga erinnern. Die ersten Schritte auf den Rasen, die vielen Menschen, Gänsehaut pur. Von diesem Moment habe ich als kleiner Junge immer geträumt. Mein Konkurrent hat sich nach 20 Minuten verletzt und ich wurde für ihn eingewechselt. Ich hatte keine Zeit zum Nachdenken, musste sofort auf den Platz. Und das war auch gut so. Von da an ging es immer bergauf, später habe ich auch in der U21-Nationalmannschaft gespielt. Dann kam der erste große Schock, eine schwere Knieverletzung mit 20. Bis dahin habe ich geglaubt, dass mich nichts aufhalten kann. Ich wurde mit meinem Verein SV Ried Vizemeister und Cupsieger. Und dann dieser Rückschlag, zwei Monate vor der Europameisterschaft im eigenen Land. Das tat weh.

In den vier Jahren danach habe ich mich weitere drei Mal schwer verletzt. Das beschäftigt einen auch im Kopf, man stellt sich Fragen. Ist mein Körper nicht stark genug, um diesem Druck standzuhalten? Und natürlich: Warum schon wieder ich? Mein großer Traum war es, mal in Deutschland oder Spanien zu spielen. Er wurde von Verletzung zu Verletzung unrealistischer. Mit 25 habe ich die Entscheidung getroffen, dass ich meine Karriere beende. Bis ich soweit war, ist mehr als ein Jahr vergangen. Das war die schwierigste Phase meines Lebens. Für mich war mein Verein wie Familie, einige Spieler waren wie Geschwister, einige Trainer richtige Vaterfiguren. Denen musste ich in der Kabine sagen, dass ich meinen Vertrag kündigen werde, obwohl der noch acht Monate gelaufen wäre. Auch wenn es unglaublich schwer war: Dieser Moment hatte auch etwas Befreiendes. Ich war zum ersten Mal in meinem Leben frei, ganz ohne Leistungsdruck.

Caty Nassibi, 45, Restaurantmeisterin

Wie ich zum Kochen gekommen bin, weiß ich gar nicht mehr so genau. Ich war 15, fertig mit der Realschule und wollte raus in die Welt. Die Tante einer Freundin hatte ein Hotel in Bayern, da habe ich eine Kochlehre gemacht. Das war meine erste Station in der Gastronomie. Am Anfang fand ich auch alles noch sehr spannend. Aber ich habe schnell gemerkt, dass man in der Küche ein dickes Fell braucht. Dass der Umgangston sehr rau ist und dass auch mal das ein oder andere Schimpfwort fällt. Am Ende der Ausbildung war ich dann noch in einem anderen Hotel. Inklusive der Lehre habe ich ungefähr zehn Jahre in der Küche gearbeitet. Irgendwann bin ich dann aber wieder nach Rheinland-Pfalz zurückgekommen, wo ich aufgewachsen bin. Mein damaliger Chef sah Talent in mir und meinte, dass ich doch auf die Meisterschule gehen könnte. Diesem Rat bin ich gefolgt und habe am Ende die Prüfung als Restaurantmeisterin gemacht.

Danach war ich erst Restaurantleitung, später auch Geschäftsführerin in einem anderen Laden. Dann bin ich schwanger geworden und habe zwei Kinder bekommen. Da war mir eigentlich schon klar, dass ich nicht mehr lange in der Gastronomie arbeiten will. Zumindest bis mich ein Kollege aus der Meisterschule gefragt hat, ob ich ihn als stellvertretende Küchenleiterin in einem Seniorenheim unterstützen will. Und so vergingen weitere vier Jahre. Dann hat er eine bessere Stelle gefunden und ich stand mit Ende 30 vor der Entscheidung: Was machst du jetzt? Willst du wirklich in der Gastronomie bleiben? Und das wollte ich nicht. Deswegen habe ich gekündigt. Mein jetziger Job ist das komplette Gegenteil von der Arbeit in der Küche. In der Gastronomie muss alles schnell gehen. In meiner Podologie-Praxis nehme ich mir für jeden Kunden eine ganze Stunde Zeit. Das ist im Vergleich fast wie Urlaub.

Matthias Böing, 29, Produktmanager

Es ging schon alles verdammt schnell. Nach meinem Master in England habe ich als Unternehmensberater in New York gearbeitet. Darauf folgten Jobs in Deutschland bei PricewaterhouseCoopers, Daimler, Porsche. Richtig wohlgefühlt habe ich mich in der Business-Welt aber nie. Es gab eine Zeit, da bin ich jede Woche mindestens zwei Mal geflogen. Montag hin, Donnerstagabend zurück. Ich war nur auf Achse, irgendwann habe ich den Koffer gar nicht mehr ausgepackt. Am Anfang war das Reisen noch spannend, aber es ist ähnlich wie beim Geld, die Faszination lässt schnell nach. Ich war in Sao Paulo, Portland, Boston, Tokio. In den zweieinhalb Jahren bei Daimler habe ich 90 Tonnen Co² verfolgen. Das ist doch unglaublich.

In meiner Familie bin ich der Erste, der studiert hat. Natürlich waren meine Eltern stolz auf meine Karriere. Aber sie haben auch gemerkt, dass ich unfassbar gestresst bin. Irgendwann konnte ich nicht mehr und dachte: So kann es nicht weitergehen, ich war ausgebrannt. Online bin ich auf eine Organisation gestoßen, die Freiwillige sucht, um in Norwegen Müll zu sammeln. Das komplette Gegenteil zu meinem Manager-Job bei Porsche. Dann habe ich gekündigt und vier Tage später war ich auf dem Weg nach Norwegen. Das klingt jetzt vielleicht krass, aber ich bin mir fast sicher, dass ungefähr 60 oder sogar 70 Prozent in der Business-Welt zumindest mal mit dem Gedanken spielen, auszusteigen. Viele sind völlig überlastet. Ich bin jetzt 29, und ehrlich gesagt kann ich es mir zurzeit nicht vorstellen, noch mal in einem Großkonzern zu arbeiten.

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