Job:Jetzt mal in aller Ruhe

Nickerchen

Die Arbeit kann warten.

(Foto: iStockphoto)

Über Wolllust, Übermut, Neid regt sich niemand mehr auf - doch Faulheit bleibt verpönt. Dabei gilt es gerade im Job, das Faulsein zu erlernen.

Von Viola Schenz

Man könnte jetzt natürlich, um dem Thema gerecht zu werden, es gleich mal praktizieren: einen auf faul machen und keine Arbeit in diesen Artikel investieren. Sondern ihn bei einem Ghostwriter in Auftrag geben. Aber das wäre zu teuer. Oder sich schnell was im Internet zusammenklauen. Aber das würde auffliegen. Oder die Recherchen an den Praktikanten delegieren. Aber der würde das zu Recht verweigern.

Faul sein ist heutzutage gar nicht so einfach, schon weil es sich kaum verheimlichen lässt. Moderne Büros mit verglasten Fassaden, Wänden und Türen entlarven hochgelegte Beine sofort. Wer glaubt, zumindest beim stillen Daddeln am Computer die Arbeitszeit vertreiben zu können, sollte wissen: Die IT-Abteilung kann theoretisch jeden Tastendruck und damit jede arbeitsfremde Beschäftigung verfolgen.

Offene Show-Küchen machen es Köchen unmöglich, mal gemütlich und untätig in der Ecke zu sitzen - die Gäste haben Einblick. Ähnlich verhält es sich in Versicherungs- oder Bankfilialen mit ihren einheitlichen Arbeits- und Besucherbereichen. Alle kriegen alles mit. Faulenzer haben in der modernen, transparenten Jobwelt keine Chancen.

Faulheit ("Acedia") ist eine der sieben Todsünden, den laut katholischer Kirche besonders schwerwiegenden Sünden. Doch während die anderen sechs kaum noch schockieren (Wollust, Hochmut, Neid) oder nur noch selten Anstoß erregen (Völlerei, Jähzorn, Geiz), bleibt die Faulheit gesellschaftlich verpönt. "Sozialschmarotzer", "Faulpelz", "Drückeberger" sind und bleiben Schimpfwörter. Faulheit hat den schlechtesten Ruf, weil dem Faulen unterstellt wird, sich auf Kosten der Gemeinschaft dem Nichtstun hinzugeben.

Welch Anachronismus! Es gilt, das Faulsein zu schätzen, es zu erlernen. Die Welt um uns herum zeigt die Dringlichkeit. Arbeit wird weniger. Die Digitalisierung nimmt uns eine Tätigkeit nach der anderen weg. Roboter und Algorithmen ersetzen immer mehr Abläufe, ja ganze Berufe. Stromableser, Pförtner, Supermarktkassierer, Reisebürobetreiber sind im Begriff, auszusterben, Bus-, Taxi- und Fernfahrer könnten bald folgen, Piloten ebenso.

Selbst bei Juristen, Versicherungsagenten oder Ärzten wird automatisiert: Das Vorsortieren von Prozessakten oder Bewerten von Versicherungsschäden leisten inzwischen Computerprogramme, chirurgische Eingriffe nehmen ferngesteuerte Roboterarme vor. Was noch vor Monaten undenkbar erschien, ist bald Realität: Maschinen liefern Essen und Pakete aus, sie dirigieren Symphonieorchester. Nun gut, natürlich generiert die Digitalisierung auch Jobs und neue Berufe. All die Programme, Maschinen, Algorithmen müssen ja erfunden, gebaut, gespeist werden - aber unterm Strich dürfte Arbeit weniger werden.

Man sollte über das Nichtarbeiten sprechen

Es ist kein Zufall, dass mit der Digitalisierung auch zunehmend über das bedingungslose Grundeinkommen debattiert wird. Viele halten es für volkswirtschaftlichen Irrsinn, für eine Utopie. Aber vielleicht wird Geld fürs Nichtstun eines Tages notwendig sein, wenn es immer weniger menschliche Tätigkeiten zu verteilen gibt. Damit sollte man auch übers Nichtarbeiten an sich sprechen. Und bei der Gelegenheit vom hässlichen Wort "faul" lassen, das ja nicht nur "untätig", sondern auch "verdorben, stinkend, verrottet" bedeutet - was seinerzeit durchaus im Sinn der Kirchenoberen war.

"Muße" wäre ein angebrachter Begriff in arbeitsarmen Zeiten, zumal dieses Wort ursprünglich "Gelegenheit, Möglichkeit" bedeutet, was seinem künftigen Zweck entgegenkäme. Denn inzwischen geht es ja darum, Müßiggang, der sich uns zwangsläufig aufdrängt, zu beherrschen. Menschen, die nicht wissen, wie sie mit ihrer wachsenden Freizeit umgehen sollen, langweilen sich im besten Fall. Im schlechtesten kommen sie auf dumme Gedanken oder werden kriminell. Die innere Stechuhr zu vergessen, freie Zeit sinnvoll zu nutzen, sie gar zu genießen, will gekonnt sein.

Die richtig harten Zeiten zogen mit den Protestanten ein

Die alten Griechen wussten damit umzugehen. In der Antike galt die Muße als gesellschaftliches Ideal. Es ging darum, sich der Philosophie und der Geschicke der Polis hinzugeben, würdevoll kontemplativ den Geist einzusetzen, das Göttliche zu betrachten. Diogenes zog sich in seine Tonne zurück, Aristoteles befand, dass Arbeit und Tugend einander ausschließen. Wer nicht zur Muße, zur Ruhe der Seele in Gott fand, galt als Banause, als träge, und verfiel der verpönten Acedia.

Die Römer schauten den Griechen das Müßiggehen erfolgreich ab. Möglich war das freilich nur, weil es sich jeweils um Sklavenhaltergesellschaften handelte, in denen es sich eine Elite leisten konnte, stundenlang herumzuphilosophieren, während Massen von Unfreiwilligen die Drecksarbeiten erledigten und die Heere stellten.

Was als Fleiß, was als Faulheit gilt, bestimmen die jeweilige Zeit, Kultur und Perspektive. Mit dem Christentum etwa geriet alles durcheinander. Es vermengte die gute Muße und die schlechte Acedia, machte beides gleich böse. Was vorher als Unfähigkeit zur Muße galt, war nun ein und dasselbe, die "Trägheit des Herzens". Wer träge war, lief Gefahr zu grübeln, schwermütig zu werden, auf Abwege zu geraten oder gar Gott den Rücken zu kehren. Hier half nur hartes Arbeiten. Mit "ora et labora", bete und arbeite, waren die Benediktiner zur Stelle. Trägheit wurde zur Todsünde. Aber die Katholiken schenkten ihren Untertanen zumindest einige Feiertage.

Die richtig harten Zeiten zogen mit den Protestanten ein: Für sie war fleißiges Arbeiten Zeichen eines gottgefälligen Lebens. Nun galt Luthers Wort: "Der Mensch ist zum Arbeiten geboren wie der Vogel zum Fliegen." Die Puritaner setzten dem noch eins drauf. Den protestantischen Grundsatz "Schuften im Diesseits, genießen im Jenseits" erweiterten sie um die Askese. Auch wer es durch harte Arbeit und Fleiß zu Erfolg und Reichtum gebracht hatte, sollte nicht etwa am siebten Tag ausruhen dürfen, sondern allen Gewinn in aller Bescheidenheit wieder in Haus und Hof stecken. Erst dann war einem eventuell ein Platz im Himmelreich beschieden. Fortan galt, dass man nicht arbeitet, um zu leben, sondern lebt, um zu arbeiten.

Die wahre Arbeitsmoral wussten freilich auch andere Obrigkeiten zu instrumentalisieren: Preußen machte aus der Gottesfurcht eine Staatsfurcht. Der "Soldatenkönig" Friedrich Wilhelm I. stellte Faulheit unter Strafe: "Arbeiten müsst ihr, so wie ich dies beständig getan habe", verlangte er von seinen Beamten. "Ein Regent, der in der Welt mit Ehren regieren will, muss seine Sachen alle selber machen, denn die Regenten sind zum Arbeiten geboren, nicht zum faulen Leben."

Die Leistungsgesellschaft war geboren, wie gerufen im aufkommenden Industriezeitalter. Der Soziologe Max Weber verfasste sein Hauptwerk "Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus". In den Fabriken der Alten und der Neuen Welt mühten sich die Menschen in 14-Stunden-Tagen. Erst Maschinisierung und Automatisierung verkürzten die menschliche Wochenarbeitszeit nach und nach.

Ganz langsam traut man sich, das Thema Faulheit einigermaßen unbefangen anzugehen. Bücher kommen auf den Markt ("Vom Glück der Faulheit", "Lob der Faulheit", "In der Faulheit liegt die Kraft"), ein paar Autoren wagen es, mit ihrem Faulsein zu kokettieren, der Soziologe Stephan Lessenich brachte 2014 eine beachtete Neuausgabe von "Das Recht auf Faulheit" (1848) des französischen Sozialisten Paul Lafargue heraus.

Man könnte darüber streiten, ob man den vermeintlich Faulen nicht unrecht tut, ob dahinter nicht in Wahrheit die genialeren und schnelleren Zeitgenossen stecken. Ist zu verurteilen, wer seine Arbeit rasch, weil konzentrierter erledigt und sich dann ins Freibad verabschiedet? Oder ist das unfair den Langsameren gegenüber? Woran bemessen sich Fleiß und Faulheit? An Schnelligkeit, Genialität, Anwesenheit? Wäre es nicht zeitgemäß, Mitarbeitern volle Autonomie zu gewähren, Leistung nach Zielen, nicht nach Zeit zu bewerten? Wie man es dreht und wendet - die Faulheit ist unerschöpflich. Vor allem ist sie es wert, diesen Text selbst und ohne Tricksereien zu verfassen.

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