Job im Ausland:Abflug in die Freiheit

Akademiker kehren ihrer Heimat den Rücken: In Deutschland ist es ihnen zu eng geworden, sie wollen etwas bewegen - und suchen deshalb den beruflichen Erfolg im Ausland.

Von Nina Bovensiepen

München - Konstantin Baer ist zur Abreise bereit: Den Schreibtisch und die Motocross-Maschine hat er auf eBay versteigert, das Bett einer Freundin geschenkt, vier Kartons mit Akten und den warmen Klamotten kommen zu den Eltern nach Hamburg und ein paar Kisten sind für die Reise in das Abenteuer gepackt. Bevor das im Februar beginnt, geht es noch für zwei Wochen nach Teneriffa - zum Surfen und, vor allem, zum Spanischlernen. Denn wenn Baer demnächst seine Sachen nimmt, um seinen ersten Job in einem fernen Land anzutreten, sollte er sich mit den Menschen in seiner neuen Wahlheimat ja verständigen können.

Baer ist 28 Jahre alt, er hat im Dezember sein Maschinenbau-Studium an der Technischen Universität in München abgeschlossen und hatte ein gutes Angebot von einem erfolgreichen deutschen Mittelständler für den ersten Job. Statt das anzunehmen, sucht er die Herausforderung in der Ferne: Im Februar beginnt er als Servicemanager bei der Hans Sommer & Co. GmbH, einer Vertretung der Heidelberger Druckmaschinen AG in Lateinamerika. "Die Auslandserfahrung finde ich wertvoller, als hier die klassische Karriere zu machen", sagt er. Mit dieser Einstellung ist er in seinem Umfeld kein Einzelfall: Seine 25 Jahre alte Schwester arbeitet in Australien im Marketing für eine Restaurantkette, zwei Freunde sind in Costa Rica, ein anderer plant ebenfalls in diesen Teil der Welt abzuwandern, viele weitere haben für Studium oder Arbeit die Heimat verlassen.

Auf Nimmerwiedersehen?

Es ist ein Trend, der sich bisher kaum in statistischen Zahlen erfassen lässt, der inzwischen aber Wirtschaftsführer und Politiker umtreibt: Die junge Elite verlässt das Land. Oder, nicht ganz so dramatisch ausgedrückt: In einer globalen Welt, die jungen Menschen von kleinauf offen steht, tun diese sich leicht, ihrer Heimat den Rücken zu kehren - erst recht, wenn diese keine Entwicklungsmöglichkeiten bietet.

Und zunehmend wandern viele der Jungen nicht nur für ein oder zwei Jahre ab; nein, sie wissen nicht, ob sie überhaupt je zurückkommen. "Heute ist es wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage hier zu Lande relativ leicht, Nachwuchskräfte fürs Ausland zu finden", berichtet Baers künftiger Chef, Geschäftsführer Joachim Lange. Vor 15 oder 30 Jahren, als der Standort Deutschland prosperierte, sei das wesentlich schwieriger gewesen.

Diese Erkenntnis ist kürzlich offenbar wie ein Blitz in Berlin eingeschlagen, jedenfalls schallt auf einmal der Ruf nach Eliteuniversitäten durchs Land. Hastig startet Rot-Grün eine Innovationsoffensive, und der Kanzler traf sich Donnerstagabend mit Konzernlenkern wie Siemens-Chef Heinrich von Pierer und Lufthansa-Boss Wolfgang Mayrhuber zum Gipfelgespräch, um zu überlegen, wie man den Nachwuchs im Land hält.

"Nein, das sind keine Ansätze, die das Problem bei der Wurzel packen", kommentiert Stephan Boldt die Ideen, die aus der Politik kommen, um die junge Generation im Land zu halten. Das "Getue" um die Eliteunis findet der 31-Jährige, der auch gerne seine Sachen packen würde, "einfach lächerlich". In Deutschland gebe es durchaus gute Universitäten, in diesen müsse man allerdings "einmal aufräumen, so wie das in jedem Unternehmen geschieht, das Probleme hat".

Per Zufall zum Job

Stephan Boldt hat als erste Ausbildung eine Banklehre gemacht, danach in Berlin und Frankreich - auf einer der so genannten Eliteunis - studiert, zwischendurch war er für Praktika in Finnland, Frankreich, Argentinien und den USA. Vor kurzem wäre er beinahe von seinem Arbeitgeber nach Brasilien versetzt worden. Weil die Firma in Südamerika derzeit aber Personal abbaut, wurde das Projekt abgeblasen. Für Boldt, der mit einer Brasilianerin verheiratet ist und ein Kind hat, ist das Thema damit nicht vom Tisch: "Ich sehe in anderen Ländern einfach mehr Wachstumsmöglichkeiten." Fast überall auf der Welt sei es leicht, sich selbstständig zu machen, nur in Deutschland habe man dabei mit "festgefahrenen Strukturen und einem völlig überzogenen Sozialsystem zu kämpfen". Boldts Ziel ist weiter Brasilien, auch weil er sich in der Heimat seiner Frau einfach glücklicher fühlt: "Die Menschen dort strahlen grundsätzlich positive Laune aus, was mir in Deutschland sehr fehlt."

Häufig sind es unter anderem solche "weichen" Faktoren, die die Jungen in die Ferne locken. Im Urlaub, während des Studiums oder eines Praktikums, oder weil sie neben Ausländern aufwachsen, lernen sie Mentalität, das Klima oder die Lebensqualität in anderen Ländern schätzen. Konstantin Baer war vor vier Jahren das erste Mal in Lateinamerika, in Panama - und war sofort von diesem Teil der Welt begeistert. An seinen künftigen Job gelangte er, als er kurz nach dem Panama-Urlaub über einen Freund zufällig den Sohn seines künftigen Arbeitgebers kennen lernte.

Thomas Lange, ebenfalls 28, ist abwechselnd in Deutschland und Lateinamerika aufgewachsen. In Deutschland ist er mehrere Jahre zur Schule gegangen, hat Abitur und eine Lehre hier gemacht, jetzt lebt und arbeitet er in Costa Rica. Im Frühjahr vergangenen Jahres besuchte Baer den Freund mehrere Wochen in dem mittelamerikanischen Land. Danach konkretisierte sich das Vorhaben, bis Konstantin Baer im November seinen Arbeitsvertrag unterschrieb.

Mut zum Neuem

Anders als früher, als häufig ein großzügiges Gehalt den Ausschlag für einen Auslandsjob gab, hat der finanzielle Aspekt heute offenbar einen niedrigeren Stellenwert. Es ist vor allem die ungewöhnliche Erfahrung, die sich später auch im Lebenslauf gut macht, der Mut, etwas Neues zu machen, und nicht zuletzt das Gefühl, in einem anderen Land schneller vorwärts kommen zu können als in Deutschland. "Wo sonst könnte ich denn mit 28 schon so viel Verantwortung haben wie hier?", fragt Thomas Lange, der für Verkauf und Marketing der Geschäfte in Costa Rica verantwortlich ist.

Etliche tausend Kilometer entfernt, aus der südkoreanischen Hauptstadt Seoul, gibt es per Telefon eine ähnliche Antwort auf die Frage, was junge Deutsche ins Ausland treibt. Christian Stolba ist 35 Jahre alt und Geschäftsführer für Marketing und Einkauf einer Tochter des Otto Versandes in Korea. Das erste Mal machte er während eines Auslandssemesters seines Betriebswirtschafts-Studiums den Schritt ins Ausland, damals ging es nach Hongkong. Seitdem hat er fast kontinuierlich in Asien gearbeitet, nur einmal machte er einen "Reintegrationsversuch". Und obwohl es im fernen Osten nicht immer einfach gewesen war - "als Europäer fühlt man sich hier manchmal so fremd wie ein Farbiger in Europa", so Stolba - scheiterte dieser nach anderthalb Jahren. "Nachdem ich hier immer sehr schnell viel Verantwortung getragen hatte, frustrierte es mich in Deutschland, wie wenig ich bewirken konnte." Und ihm fällt auch nur ein positives Beispiel ein, wo hier zu Lande ein junger Unternehmer etwas bewegt: Jochen Zeitz, 40 Jahre, der den Sportkonzern Puma wieder auf Trab gebracht hat. "Aber das gibt es in Deutschland einmal unter tausenden", sagt Stolba.

Lange kurze Wege

Warum also soll man die Chance dann nicht dort suchen, wo sie leichter zu finden ist? Einfacher ist dieser Schritt heute dadurch, dass Fremdsprachen zur Allgemeinbildung gehören, und weil die Welt "kleiner" geworden ist. "Mit dem Flugzeug ist man doch schneller in Costa Rica als mit dem Auto von Hamburg in Italien", sagt Konstantin Baer. Während seiner Studentenzeit sei er etwa drei Mal im Jahr bei seinen Eltern in Hamburg gewesen. Jetzt wird es vielleicht noch ein bisschen weniger werden, aber dafür denken Mutter und Vater schon über eine Weltreise im nächsten oder übernächsten Jahr nach, um ihre verstreuten Kinder zu besuchen. Trotzdem kommt bei solchen Gedanken natürlich auch manchmal Wehmut bei den Abwanderern auf. "Das ist schon ein großer Schritt jetzt, bei dem man viel zurücklässt - zum Beispiel einen großen Freundeskreis hier in München", sagt Baer.

Andererseits ist der Weg zurück ja offen. Allen vier jungen Männern ist klar, dass sie sich mit einer Auslandserfahrung auch für gute Jobs in Deutschland qualifizieren. Wie lange sie in der Fremde bleiben möchten, und ob sie sich vorstellen können, nach Deutschland zurückzukehren - auf diese Fragen haben sie ganz unterschiedliche Antworten. Für Thomas Lange, der sich in Costa Rica inzwischen stärker verwurzelt fühlt als in Europa, ist klar: "Ich gehe nie wieder nach Deutschland zurück, dort ist es mir zu kalt und bürokratisch." In Mittelamerika seien die Menschen herzlicher, zu Kunden sei man freundlicher, der Einzelne genieße mehr Freiheiten. Auch die früher oft gepriesenen Vorteile des deutschen Sozialstaats können ihn nicht locken. "In Venezuela habe ich erlebt, dass die medizinische Betreuung besser ist als in Deutschland, weil die Ärzte sich dort einfach mehr Zeit nehmen für ihre Patienten."

Für die anderen ist die Sache nicht so eindeutig. Stephan Boldt, der erstmal nach Brasilien möchte und viel an Deutschland auszusetzen hat, kann sich trotzdem vorstellen, irgendwann zurückzukommen. "Trotz aller Kritik liebe ich Deutschland", sagt er. "Allerdings hoffe ich wirklich, dass sich in diesem Land schnell etwas tut." Christian Stolba, der seit drei Jahren in Korea und noch länger in Asien ist, die deutschen Reformdiskussionen also nur aus der Ferne verfolgt, weiß, dass ein Job in Deutschland gewisse Freiräume haben müsste, um für ihn interessant zu sein. "Ich könnte nicht mehr in der mittleren Management-Ebene eines Großkonzerns arbeiten, wo ich für jeden Bleistift einen Bestellschein ausfüllen muss." Zurückkehren würde er vielleicht für eine attraktive Führungsposition in einem mittelständischen Betrieb, oder auch für eine gehobene Stelle bei einem beweglichen Großkonzern.

Über diese weiteren Verzweigungen der beruflichen Laufbahn macht sich Konstantin Baer, der gerade seine Sachen packt, noch keine Gedanken. "Ich habe mir nicht gesagt, ich möchte in fünf Jahren wieder in Deutschland sein. Jetzt gehe ich erstmal und kann heute nicht sagen, ob ich wieder zurückkomme."

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