Job:Gehalt ist keine Frage der Gerechtigkeit

Job: Die Ungleichheit nimmt zu, auch beim Gehalt.

Die Ungleichheit nimmt zu, auch beim Gehalt.

(Foto: plainpicture)

Beim Thema Einkommensungleichheit taugt Deutschland nicht als Vorbild. Eine Studie zeigt: Die Arbeitnehmer wollen auch gar keine Gleichheit - nur mehr Geld.

Von Juliane von Wedemeyer

Zwei Frauen, beide sind Führungskräfte. Die eine, Sarah Drewek, trägt die Verantwortung für 16 Mitarbeiter - die andere, Anna Stocker, für 15. Beide arbeiten oft um die 50 Stunden in der Woche. Dreweks Ausbildung dauerte ungefähr fünf Jahre, genauso lange wie Stockers Studium. Beide wohnen in derselben Stadt, jede ist verheiratet und hat ein kleines Kind. Wie viel sollten sie verdienen: gleich viel oder eine mehr als die andere? Schwierig, oder? Zumal das Ganze kein Gedankenspiel ist. Die beiden Frauen gibt es wirklich, auch wenn Stocker ihren echten Namen nicht in der Zeitung lesen möchte.

Immerhin hat Stocker einen Doktortitel, in den sie drei zusätzliche Jahre Arbeit gesteckt hat. Der Punkt geht an sie. Laut einer Untersuchung des Onlineportals Gehalt.de, der die Daten von 450 000 Fach- und Führungskräften zugrunde lagen, verdienen Akademiker durchschnittlich 35 Prozent mehr als Arbeitnehmer ohne Uni-Abschluss und Promovierte noch einmal 16 Prozent obendrauf.

Aber ist das gerecht? Die Deutschen sehen das zumindest so. "Zu ihrer Vorstellung von Gerechtigkeit gehört, dass, wer viel in seine Ausbildung investiert, mehr verdienen sollte", erklärt der Soziologe und Gerechtigkeitsforscher Stefan Liebig von der Universität Bielefeld. Über die Frage, was gerechter Lohn ist, haben sich viele große Denker den Kopf zerbrochen. Eine allgemeingültige Antwort haben sie nicht gefunden. Liebig kann aber beantworten, welches Gehalt in Deutschland als gerecht gilt. Er und seine Kollegen haben untersucht, welche Faktoren die wahrgenommene Gerechtigkeit beeinflussen.

Neben der Ausbildung ist das die Zeit, die jemand einem Betrieb angehört, und das Prestige eines Berufs. Ärzte, Piloten und Professoren etwa dürfen mehr verdienen, weil ihre Berufe hoch angesehen sind. Das sei eine deutsche Besonderheit, sagt Liebig. In den USA zum Beispiel, wo jeder mit Talent zum Schrauben eine Werkstatt eröffnen darf, sei das anders.

Auch das Geschlecht spielt immer noch eine Rolle. Es ist nicht nur so, dass Männer mehr verdienen, viele empfinden das auch als gerecht. "Das sagt natürlich keiner direkt", erklärt Liebig. Für seine Studien mussten die Probanden darum an Fallbeispielen entscheiden, ob ein Lohn gerecht ist. Die Mehrheit gestand Männern dabei ein höheres Gehalt zu. "Das Bild des Familienernährers ist da noch präsent."

Vor allem aber finden die Deutschen, dass sich die individuelle Leistung in der Bezahlung widerspiegeln muss. Stocker versorgt die Geschäftsleitung eines Medienunternehmens mit Informationen, die diese für ihre Entscheidungen benötigt. Da geht es schon mal um Millionen. Drewek ist für die Entwicklung von 80 Kindern zwischen dem ersten und dem siebten Lebensjahr verantwortlich. Die Jüngsten müssen noch gewickelt werden, die ältesten haben Vorschule. Außerdem muss sie ihre Einrichtung am Laufen halten.

Zwei Drittel fühlen sich gerecht entlohnt

Stockers Arbeit ist betriebswirtschaftlich von großer Bedeutung, Dreweks eher volkswirtschaftlich. Schließlich können Erzieher Menschen in diesem frühen Alter entscheidende Impulse fürs Leben geben, sagt Liebig. Stockers Wert für ihre Firma lässt sich ziemlich gut in Zahlen nachvollziehen. Der volkswirtschaftliche Nutzen ist komplizierter nachzuweisen.

Wie viel jemand verdient, ist aber keine Frage der Gerechtigkeit, sondern vor allem eine Frage des Marktes. "Wie überall regeln Angebot und Nachfrage den Preis", sagt Liebig. Es gibt nicht unendlich viele Mathematiker, erst recht nicht mit Stockers Fähigkeiten. Und so verdient sie inklusive Firmenwagen und Boni 180 000 Euro im Jahr. Sie gehört zu den obersten ein Prozent der Top-Verdiener. Drewek müsste dafür viereinhalb Jahre arbeiten.

In der OECD nur im Mittelfeld

Seit Kinder zwischen einem und drei Jahren einen gesetzlichen Anspruch auf einen Kita-Platz haben, sind auch Erzieher knapp. Viele Kommunen haben ihre Gehälter darum aufgestockt. Auch Drewek erhält nun um die 200 Euro mehr im Monat und kommt jetzt auf etwa 3500 Euro brutto - Bundesdurchschnitt also. Gehälter von Erziehern ohne Personalverantwortung liegen in der Regel weit darunter.

Was die Einkommensgerechtigkeit angeht, taugt Deutschland ohnehin nicht als Vorzeigebeispiel. Im jüngsten OECD-Ländervergleich schafft es die Bundesrepublik nur ins Mittelfeld. Während die OECD, die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, und Ökonomen des Internationalen Währungsfonds vor den Folgen einer zunehmenden Einkommensungleichheit für das Wirtschaftswachstum warnen, sieht Liebig die Lage gelassener. "Einkommensungleichheit hat nicht unbedingt etwas mit Ungerechtigkeit zu tun", sagt er. Zwei Drittel der Deutschen fühlen sich gerecht entlohnt.

Laut einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, an der Liebig maßgeblich beteiligt war, wäre die Ungleichheit genauso groß, würde jeder das erhalten, was er als gerecht empfindet - nur eben auf einem etwas höheren Niveau. Allerdings: Je niedriger der Verdienst, desto eher halten sich die Menschen für ungerecht behandelt, so eine Infas-Studie.

Stocker fühlt sich gerecht bezahlt, aber sie weiß: "Ich hatte einfach Glück, dass das Ende meines Studiums in die Anfangsphase der Business Intelligence fiel." Die systematische Datenanalyse hat Mathematikern ganz neue Berufsfelder erschlossen. Neidisch ist Drewek nicht: "Es war ja keine Überraschung für mich, dass ich in diesem Beruf nicht reich werde." Sie habe ihn trotzdem gewählt. Insofern fühle sie sich gerecht bezahlt. Wichtiger als Geld sei, dass die Arbeit glücklich mache.

Der Gerechtigkeitsforscher findet Dreweks Gehalt übrigens nicht gerecht.

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