Job:"Die meisten Mitarbeiter spielen nur Arbeit"

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Wären die Mitarbeiter nicht so viel mit "Business-Theater" beschäftigt, könnten sie auch ihren Job machen, sagt Autor Lars Vollmer. (Foto: Florian Peljak)

Wirtschaftsautor Lars Vollmer erklärt, warum er Meetings für sinnlos hält und was jeder Einzelne tun kann, um aus dem "Business-Theater" auszubrechen.

Interview von Sarah Schmidt

"Zurück an die Arbeit!" - so lautet die provokante Forderung von Lars Vollmer, die der promovierte Ingenieur und Unternehmensexperte zu einem Buch verarbeitet hat. Er hält den größten Teil der gängigen Managementpraktiken für großen Quatsch und beschreibt, wie sehr Mitarbeiter und ihre Chefs unter den eingefahrenen Firmenstrukturen leiden.

Süddeutsche Zeitung: Sie stellen die steile These auf, es werde viel zu wenig gearbeitet. Das sehen mit Sicherheit eine ganze Reihe Leute anders, die eine Überstunde nach der anderen machen.

Lars Vollmer: Diese These zielt ja nicht darauf ab, dass wir zu kurz im Büro sitzen, sondern darauf, dass wir großteils in Organisationen arbeiten, in denen die Menschen systematisch von der Arbeit abgehalten werden. Dazu muss ich kurz erklären, was ich unter Arbeit verstehe: Echte Arbeit ist immer Arbeit für andere, alles andere ist nur Beschäftigung. Arbeit hat immer einen Bezug nach außen, es geht um eine Leistung für einen Kunden, darum, ein Problem zu lösen. Doch in vielen Unternehmen tritt das so sehr in den Hintergrund, dass die meisten Mitarbeiter alles Mögliche tun, nur nicht arbeiten. Ich behaupte: Sie spielen Arbeit.

Das bezeichnen Sie in Ihrem Buch als "Business-Theater". Wie muss man sich so ein Arbeits-Schauspiel vorstellen?

Ein Klassiker: das Meeting. Da finden sich so viele Rollen, dass oft das gesamte Meeting eine Aufführung in sich ist. Da gibt es den, der fünf Minuten zu spät kommt, dann aber erst mal das Wort an sich reißt - oft der Chef. Meist ist eh klar, wer welche Position bezieht, welche Leute dann dafür oder dagegen sind. In vielen Meetings geht es weniger darum, tatsächlich Zusammenarbeit zu organisieren, sondern vielmehr darum, Hierarchien deutlich zu machen. Es gibt sonst schließlich kaum noch Gelegenheit, sichtbar zu machen, wer hier eigentlich der Boss ist und wer nicht. Von daher ist das Meeting das prominenteste Arbeitsspiel, wobei ich Mitarbeitergespräche noch leidvoller finde.

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Was ist denn so quälend daran?

"Du, Schatz, mach doch schon mal die Zielplanung fürs nächste Jahr, wir haben doch nächste Woche unser Beziehungsgespräch." Das würde niemand zu seinem Partner sagen, weil es unnatürlich und unsinnig ist. Doch in einer Firma nennt sich das professionell.

Nach meiner Wahrnehmung leidet der Chef darunter, der sich durch eine immer länger werdende Fragencheckliste kämpft. Und der Mitarbeiter weiß genau, dass er an seinen Antworten gemessen wird. Er antwortet dann nicht das, was er für richtig hält, sondern das, von dem er glaubt, dass der Chef es für richtig hält. Der Kunde oder die tatsächliche Aufgabe tauchen in diesen Gesprächen fast gar nicht auf. Das Instrument war mal gut gedacht, mittlerweile ist es nicht nur unwirtschaftlich sondern sorgt auch für Frust.

Wenn aber alle Beteiligten darunter leiden, warum machen alle mit?

Diese Strukturen und Systeme waren über Jahre oder Jahrzehnte erfolgreich. Dass man bei neuen Problemen erst einmal zu bekannten Strategien greift, die einem bislang geholfen haben, ist nur verständlich. Jede Organisation will sich erhalten, das ist ihre Natur. Darum reproduziert sie Kommunikationsmuster, die in der Vergangenheit das Überleben gesichert haben.

Klare Hierarchien waren eben lange die effektivste Möglichkeit, größere Gruppen zu organisieren.

Das und die Zerstückelung und Strukturierung von Prozessen im Taylorismus: Für das Zeitalter der Fabrikarbeit war beides bestens geeignet. Um den Herausforderungen des heutigen Arbeitsmarktes zu begegnen, ist es aber der falsche Weg. Mit einer Schreibmaschine kann man keine Whatsapp-Nachrichten schreiben. Darum sollte man auch nicht an ihr festhalten, wenn man nun eine solche Nachricht verschicken will.

Letztlich ist also das System schuld, die Organisationsstruktur.

Genau. Doch das wird oft übersehen. Stattdessen schimpfen die einzelnen Personen aufeinander. Der Chef schaut aus seinem Chefsessel auf seine Mitarbeiter, die keine Verantwortung übernehmen und denkt sich: "Na, was hab ich denn da für Deppen sitzen ..." Die Mitarbeiter ärgern sich, dass der Chef immer alles allein entscheidet. So blenden beide Seiten aus, dass beides Rollen sind, die eine auf Macht fokussierte Organisation vorgibt.

Für manchen ist es ja auch praktisch, immer auf die anderen zu schimpfen. So muss man nicht selbst Verantwortung übernehmen.

In der Tat, viele haben es sich da ganz bequem gemacht.

Die spannendste Frage: Wie kommt man aus diesem Theater wieder raus?

Ein guter Start wäre, jede einzelne der Managementpraktiken, die sich über Jahre und Jahrzehnte angesammelt haben, in Frage zu stellen. Auf ganz viele kann man einfach verzichten.

Haben Sie ein Beispiel?

Neulich hat der Geschäftsführer von Bosch verkündet, dass Belohnung von Einzelleistungen in Summe die Unternehmensleistung mindert und nicht erhöht. Deswegen würden jetzt Einzelboni abgeschafft. Diese Erkenntnis ist zwar nicht neu, aber sei es drum. Für solche Schritte braucht man nicht zwei Jahre Change-Prozess, sondern einen kräftigen Entschluss.

Aber hilft das wirklich weiter, nur einzelne Elemente zu verändern? Ich war mal in einem Unternehmen, in dem sogar in der Empfängerzeile einer E-Mail die Adressaten nach Rang geordnet werden mussten. Als da die Führungsebene beschlossen hat, dass die Hierarchieebenen nicht mehr im Intranet genannt werden sollen, hatte das nur eine Konsequenz: Die Mitarbeiter haben mühsam im Organigramm nachgezählt, um heraufzufinden, auf welcher Hierarchieebene die Mailpartner sind.

Das ist das, was man Kultur nennt - die Muster in einer Organisation, die sich über Jahre und Jahrzehnte eingespielt haben. Und die verändert man nicht durch einen Appell wie "Jetzt zieht doch mal alle eure Krawatten aus" oder "Jetzt redet doch mal alle ein bisschen netter miteinander". Das verpufft.

Letztlich muss sich eben doch die grundlegende Haltung ändern.

Ein Freund von mir drückt das so aus: "Wenn die Briten von Links- auf Rechtsverkehr wechseln wollen, dann können sie nicht am Montag nur die Lkws wechseln lassen und am Dienstag dann auch die Autos." Das muss schon vollständig durchdacht werden. Und zu glauben, dass das Löschen aus dem Intranet plötzlich für flache Hierarchien sorgt, ist kindlich-naiv.

Ich habe das Gefühl, "Business-Theater" ist eher ein Thema in großen Unternehmen als in kleinen.

Kleine Firmen sind meist noch gar nicht davon befallen. In einem Start-up etwa steht grundsätzlich immer ein Kunde im Fokus und sei das zunächst nur der Investor. Es gibt in jedem Fall eine Aufgabe, ein Problem von außen. Keiner hat die Absicht, Funktionen zu schaffen, alle wollen das Problem lösen. Erst wenn das Unternehmen wächst, handelt es sich all das ein, wovon wir gerade gesprochen haben.

Aber warum?

Die Entscheider hat eine gewisse Denkfaulheit überfallen. Die suchen immer nach Best Practices, was bei anderen funktioniert hat. Das wird dann kopiert, pardon, adaptiert. So verliere ich aber aus den Augen, wie ich genau diese eine Aufgabe, in genau diesem Branchenumfeld, mit genau diesen Leuten, die ich an Bord habe, lösen kann. Letztlich bräuchte es so viele individuelle Organisationsformen wie Organisationen.

Jedes Mal wieder von null anzufangen wäre doch auch ein riesiger Mehraufwand. Wieso sollte ich mir nicht etwas abschauen, was bei anderen gut funktioniert?

Ich glaube, dass die Fehler, die dann passieren, viel teurer sind als der Aufwand, selbst eine individuelle Lösung zu finden. Aber natürlich darf ich mich dabei inspirieren lassen. Ich empfehle aber: Schaut euch nicht an, was erfolgreiche Unternehmen tun. Schaut euch an, was sie nicht tun, welches Theater sie weglassen.

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Von Sarah Schmidt

Noch so eine steile These von Ihnen: Sie sagen, Wissen werde überschätzt. Dabei dachte ich immer, wir leben in einer Wissensgesellschaft.

Man muss zwischen Wissen und Können unterscheiden. Ich kann einem Kind alles Wissen über das Fahrrad vermitteln. Dann ist es in der Lage, hinterher sehr genau zu beschreiben, wie das funktioniert. Setze ich es aber aufs Rad, fällt es vermutlich auf die Schnauze. Denn das Fahrradfahren ist eine Sache des Gefühls, des Gleichgewichts, des Könnens. Natürlich hat ein Könner immer auch Wissen über eine Sache, das gilt aber nicht umgekehrt. Wissen heißt, bekannte Probleme zu lösen. Können heißt, unbekannte Probleme zu lösen.

Darum ist Können heute so wichtig, wenn Unternehmen ständig mit neuen, unbekannten Herausforderungen konfrontiert werden. Und für Können braucht es Menschen. Es ist ein Fehler, wenn Unternehmen versuchen, von Menschen unabhängig zu werden und Stellen so zu gestalten, dass es egal ist, ob später Frau Schulz oder Herr Müller den Job macht.

Gibt es etwas, was eine Frau Schulz oder ein Herr Müller, was der einzelne Mitarbeiter tun kann, um sich von unnötigem Business-Theater zu befreien?

Grundsätzlich ist die Organisation, der Kontext immer stärker als das Individuum. Die Gefahr ist also groß, dass auch motivierte Leute von einer Unternehmenskultur verschlissen werden. Die passen sich entweder an oder gehen irgendwann entnervt.

Trotzdem gibt es oft die Chance, auf Spielchen aufmerksam zu machen. Frau Schulz könnte eine kleine Intervention versuchen und im Team vorschlagen, Meetings freiwillig zu machen. Herr Müller könnte, ganz mutig, zum Chef gehen und provokant fragen, ob er die Tackernadeln nachfüllen dürfe, um die Regelwut im Unternehmen zu karikieren.

Wer so etwas wagt, riskiert, entweder als bekloppt oder als Störenfried bezeichnet zu werden. Aber vielleicht stößt man ja doch einen Denkprozess an. Ein bisschen piksen kann jeder, auf jeder Hierarchieebene.

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