Süddeutsche Zeitung

Home-Office:Kollegen, wo seid ihr?

Während der Wochen im Home-Office schrumpft der soziale Austausch auf das Nötigste. Das senkt Motivation und Zusammenhalt. Wie manche Firmen versuchen, die Belegschaft bei Laune zu halten.

Von Marcel Grzanna

Am vergangenen Montag trafen sich 2000 SAP-Mitarbeiter zu einem ungewöhnlichen Firmen-Event. "Feierabend mit Sebastian Fitzek" hieß die Veranstaltung, zu der sich jeder Mitarbeiter am eigenen Computer einloggen konnte. Fitzek, Deutschlands erfolgreichster Psychothriller-Autor stand eine Stunde lang Rede und Antwort und erzählte im Livestream exklusiv für die Beschäftigten des Software-Unternehmens von seiner Arbeit. "Tolle Kulturbühne in den eigenen Wohnzimmern", jubelte SAP-Personalchef Cawa Younosi im Firmen-Kanal. Um ein möglichst breites Publikum im Haus anzusprechen, hatten die Organisatoren der Veranstaltung ihre hausinterne Werbung mit dem Hinweis verknüpft, dass Fitzek als Schriftsteller ein echter Experte in Sachen Home-Office sei. Dieses Thema geht bei SAP zurzeit schließlich jeden an.

22 000 Mitarbeiter befinden sich allein in Deutschland seit Wochen im Home-Office. SAP bemüht sich deshalb, die Belegschaft hin und wieder mit besonderen Einladungen zu überraschen. Im April bot das Dax-Unternehmen eine Online-Weinprobe mit Sommelière Stephanie Döring an, die einst die Weinkarten für den britischen Starkoch Gordon Ramsay zusammenstellte. Geplant war auch die Zubereitung eines Mittagessens mit Fernsehkoch Tim Mälzer, das allerdings kurzfristig abgesagt werden musste.

"Da wird uns schon einiges geboten in dieser Zeit", sagt Christian Wehner, Senior Manager für Customer Experience in dem Walldorfer Unternehmen. "Das Unternehmen sorgt in regelmäßigen Abständen für echte Highlights, die einfach Abwechslung und Freude bringen." Die Angestellten bei Laune zu halten, ist in diesen Wochen für viele Firmen elementar wichtig. Der sonst übliche persönliche Austausch, sei es mit Kollegen, Vorgesetzten, Kunden oder den Mitarbeitern anderer Firmen, ist stark eingeschränkt bis völlig unmöglich. Auch Bewegung und Sport kommen häufig zu kurz.

Bei Bewegungsangeboten sollen alle Teilnehmer ihre Mikrofone auf lautlos stellen

Beim Technologiekonzern Cisco hat sich Business Development Manager Alexander Braumann schon Mitte März Sorgen gemacht, dass er monatelang kein Tennis würde spielen können. Im Firmen-Blog beschreibt er, wie er ein paar Kolleginnen mit ins Boot holte und binnen weniger Tage ein Fitnessprogramm für alle Angestellten konzipierte. Schon in den ersten beiden Wochen nahmen mehrere Hundert Mitarbeiter teil: Fitness, Pilates, Kindertraining.

Ein Netzwerk- und Technikanbieter wie Cisco scheint es vergleichsweise leicht zu haben, solche Trainings seinen Leuten im Home-Office anzubieten, schließlich stehen ihm die technischen Möglichkeiten ausreichend zur Verfügung. Tatsächlich aber kann auch jeder digital eher schlecht aufgestellte Mittelständler aktiv werden. Smartphones bieten alle nötigen Anwendungen und Funktionen, um in Videokonferenzen mit mehreren Dutzend Teilnehmern ein Gemeinschaftsgefühl außerhalb des beruflichen Kontexts zu kreieren. Meist genügt es, dass jeder Teilnehmer die kostenlose Software herunterlädt und sich registriert.

Viele jüngere Unternehmen aus der Marketing- oder IT-Branche sind längst aktiv. Das liegt sicher auch daran, dass ihre täglichen Abläufe und Angebote eng mit dem Einsatz digitaler Werkzeuge oder sozialer Medien zusammenhängen. Interne Treffs, Unterhaltungs- und Sportangebote über den Bildschirm haben inzwischen viele Firmen zu bieten.

Bei Bewegungsangeboten raten die Organisatoren: Abgesehen von den Taktgebern sollten alle Teilnehmer ihre Mikrofone auf lautlos stellen, um die angestrengten Laute der Sporttreibenden nicht für die anderen hörbar zu machen. Schnell kann sonst aus einer konsequenten Übungseinheit eine Lachparade werden.

Man trifft sich zum Feierabendbier oder gemeinsamen Mittagessen vor dem Rechner

Bei TAS Emotional Marketing aus Essen trifft man sich in diesen Tagen zum Feierabendbier oder zum gemeinsamen Mittagessen vor den Rechnern. Die unverhoffte Home-Office-Etappe nutzt das Unternehmen gleichzeitig dazu, neue Plattformen und Wege der Kommunikation zu entwickeln, die innerbetriebliche Abläufe verbessern sollen. "Wir versuchen, in der jetzigen Zeit verstärkt diese Foren anzubieten, da wir einerseits die Leute auffangen und deren persönliche Entwicklung fördern wollen", sagt Kicki Fremmer, die das Trainingsprojekt leitet. "Andererseits wollen wir diese Ideen auch für die Zeit nach Corona für uns nutzen."

Aus großen Konferenzen können sich bei Bedarf wenige Mitglieder umgehend in kleinere Foren zurückziehen und beraten, ohne den Ablauf der größeren Gruppe zu unterbrechen. Später können sie dann ihre Erkenntnis in die Konferenz einbringen. "Wir stellen fest, dass dabei auch die Kommunikation zwischen den Mitarbeitern gefördert wird, die normalerweise nicht viel miteinander zu tun haben. So lernen sich alle besser kennen, und der Austausch zwischen den einzelnen Teams intensiviert sich", sagt Fremmer.

Dominic Lyncker arbeitet zurzeit aus dem Home-Office in Hofheim bei Frankfurt für die Kampagnenfirma NMQ Digital. Das niederländische Unternehmen hat mehrere Standorte in Europa und den USA und lädt die Mitarbeiter während der Corona-Zeit länderübergreifend zum gemeinsamen "Weekly Check-out" ein, einem ungezwungenen Treffen am Freitag.

"So kommen vor den Bildschirmen leicht ein paar Dutzend Leute aus aller Herren Länder zusammen, die sich sonst nie begegnen", sagt Lyncker, der in den vergangenen Jahren für Unternehmen in China und Großbritannien tätig war. "Es ist bemerkenswert, wie schnell das den Teamgeist stärkt und welche Gruppendynamik sich entwickelt. Gerade jetzt ist das eine wertvolle Komponente unserer Firmenkultur." Voraussetzung für die Teilnahme ist, dass die Mitarbeiter ihre Videokamera anschalten, also für die anderen auch sichtbar sind. Stille Teilnahme ist nicht erlaubt, niemand soll sich verstecken.

Deswegen ist auch der Firmenchef aus den Niederlanden bei den Freitagstreffen dabei. "Wenn du morgen Geburtstag hättest: Was würdest du dir wünschen?", fragte er beim letzten Mal seine Mitarbeiter. Einer wünschte sich Eintrittskarten für ein bestimmtes Musikfestival, ein anderer war mit einer Flasche Wein zufrieden. Die Angestellten mussten ihre Wünsche jeweils auch begründen. Die überzeugendsten Antworten belohnte der Chef, indem er die baldige Erfüllung der Wünsche versprach. Auch ein Versuch, die Stimmung im Home-Office zu heben.

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SZ vom 16.05.2020/cat
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