Islamistische Studenten in Pakistan:Die Angstmacher

Totgeprügelt wegen zu lauter Musik: An pakistanischen Universitäten drangsaliert eine kleine Minderheit islamistischer Studenten ihre Kommilitonen.

Tobias Matern, Lahore

Sie sitzen im Schneidersitz auf dem Rasen, spielen Karten, lachen. Die jungen Männer tragen Jeans und Turnschuhe, die Frauen bunte Kleider, bestickt mit Perlen, die in der Sonne glänzen. Gleich haben sie ihr nächstes Seminar, vielleicht gehen sie vorher noch schnell in die Mensa. Es ist eine Szene von beruhigender Normalität auf dem Campus der staatlichen Punjab-Universität in Lahore, wo das Leben der Studenten ansonsten alles andere als normal verläuft.

Verfechter der Selbstjustiz

Eine selbsternannte Moral-Polizei treibt hier ihr Unwesen: die islamistische Studentengruppe Islami Jamiat-e-Talaba (IJT). Aus ihrer Sicht ziemt es sich nicht, wenn Frauen und Männer auf dem Campus gemeinsam lernen, essen, Karten spielen. Ihre Einstellung ist radikal: Wenn die Universität oder der Staat nicht als Hüter ihrer Auslegung des Islam auftreten, übernehmen sie das eben selbst.

Es gibt bereits beängstigende Auswüchse. In Peschawar im Nordwesten des Landes hörte ein Student in seinem Zimmer Musik - was die IJT nicht tolerieren wollte. Sie prügelten so lange auf ihn ein, dass er an Folgen der Schläge starb. "Wenn ich, wie es die Studenten in Europa oder den USA tun, einer Frau auf dem Campus öffentlich einen Kuss gäbe, würde ich eine Tracht Prügel kassieren", sagt ein Student in Lahore.

Willkommen in Mini-Pakistan

Vor kurzem haben die angeblichen Verteidiger von Anstand und Sitte einen jungen Mann vor der Bibliothek zusammengeschlagen, weil er seine Schwester auf dem Rücksitz seines Motorrads mitgenommen hatte. Dass es die Schwester und nicht seine Freundin war, haben sie ihm nicht geglaubt.

"Willkommen auf dem Campus, willkommen in Mini-Pakistan", sagt Kanzler Mujahid Kamran über die Islamisierung an seiner Universität. Er empfängt in seinem Arbeitszimmer, in dem Professoren aus allen Fachbereichen vorbeischauen, kurze Gespräche mit ihm bei einer Tasse Tee führen. Kamran spielt die Ereignisse an Pakistans größter öffentlicher Universität nicht herunter. 30.000 Studenten sind hier eingeschrieben, 800 Anhänger habe die IJT, sagt der Kanzler - und schildert ganz offen die Grenzen seiner Macht: Wenn er die Rädelsführer von der Uni verweist, bleiben sie trotzdem in ihren Wohnheim-Zimmern. Für sie, so scheint es, gilt kein Gesetz.

Auch Professoren denken so

"Wenn wir uns ihnen nicht entgegenstemmen, hätten wir hier bald eine Geschlechtertrennung, die wir absolut nicht wollen", sagt Kamran. Bevor er weiterspricht, senkt er die Stimme: "Auch unter den Professoren gibt es einen Teil, der dieses radikale Gedankengut teilt."

An der Punjab-Universität und in Peschawar ist es wie in vielen gesellschaftlichen Bereichen im muslimischen Pakistan: Eine Minderheit nimmt die friedliche Mehrheit in den Würgegriff. Angst zu verbreiten, ist dabei ihre Waffe. Wer sich widersetzt, lebt gefährlich, wie Ashfaq Hussain anschaulich beschreiben kann. Er ist einer der Intellektuellen, wie sie in diesem Land häufig anzutreffen sind: scharf in der Analyse, kritisch bezüglich der Allmacht des Militärs, vernichtend im Urteil über die zivile Regierung.

Kein Wort über die Islamisten

Hussain, der darum bittet, nicht mit richtigem Namen genannt zu werden, hat sich einer selbstgewählten Zensur unterworfen. Vor einigen Jahren noch schrieb er kritische Aufsätze über die Taliban. Dann erhielt er Drohanrufe und Briefe mit Warnungen, das zu unterlassen. Anzeige wollte Hussain erstatten, er wusste, aus welcher Ecke die Einschüchterungen kamen. Kein Anwalt war bereit, ihn vor Gericht zu unterstützen. Die Polizei gab Hussain einen ernst gemeinten Tipp: Er solle sich lieber entschuldigen gehen, dagegen können man nichts ausrichten.

Also trat Hussain gegen seine Überzeugung den Gang zu einem der Islamisten an, bat um Vergebung. "Seitdem lebe ich ein sichereres Leben", sagt er. Resigniert klingt der Mann dabei nicht, eher realistisch.

Es gibt Tabus

Zwar gibt es in Pakistan eine freie Presse und unzählige Talkshows im Fernsehen, in denen über Politik gestritten wird. Aber es gibt auch Tabus. Zu diesen gehört eine breite, von der Politik angestoßene Diskussion über das Treiben der Islamisten. Die zivilen Anführer, die im vom Militär dominierten Land traditionell wenig zu sagen haben, reagieren regelrecht hilflos.

Der Ministerpräsident der Provinz Punjab, in der auch Lahore liegt, bat die Taliban nach der jüngsten Anschlagserie in der Metropole, die Region doch bitte beim nächsten Mal zu verschonen. Schließlich habe man früher identische Feinde bekämpft. Wenigstens folgte darauf ein öffentlicher Aufschrei. Der Ministerpräsident sah sich zu einer Klarstellung genötigt.

Die Lava bricht aus

Uni-Kanzler Kamran schlägt dennoch keinen verzweifelten Ton an, wenn er über die Missstände im Land spricht. Er berichtet ganz nüchtern von dem geringen Budget, das Schulen und Universitäten zur Verfügung haben, dabei wären Investitionen in die Bildung seiner Meinung nach die richtige Antwort auf die Radikalisierung. "Wir haben so viele Probleme, vor allem ist die Öffentlichkeit nicht so aufgeklärt, wie sie es sein müsste", sagt er. Statt in den Bildungssektor oder das Gesundheitswesen zu investieren, gebe die Regierung ihr Geld aber vor allem für die Armee aus.

Während Kamran dies sagt, zeigt der Fernseher in seinem Zimmer die Bilder eines Nachrichtensenders. Zu sehen sind blutige Straßenschlachten am Rande der Hauptstadt Islamabad. Die Demonstration von Berufspendlern hat exzessive Züge angenommen. Grund des Wutausbruchs: die Erhöhung der Buspreise von zehn auf 13 Rupien (umgerechnet etwa elf Cent). "Die Lava bricht aus", schreibt die Zeitung Dawn am nächsten Tag. Ein treffendes Bild. Denn der Frust sitzt tief bei der Mehrheit der Menschen in Pakistan, die nicht zu der kleinen Machtelite aus Feudalherren und Militär-Mitarbeitern zählen.

14 Stunden Stromausfall

Sie sind wütend über gestiegene Preise für den Bus, für Brot und Reis. Sie sind desillusioniert über einen Staat und eine Polizei, die in einer Millionenstadt wie Lahore zwar an jeder Ecke eine Straßensperre errichtet und sich hinter Sandsäcken verschanzt - gegen Selbstmordanschläge aber nichts ausrichten kann. Und sie sind verbittert über Stromausfälle, die unangekündigt kommen und bis zu 14 Stunden dauern.

Kamran deutet auf die Prügelszenen im Fernsehen. "Sie sehen doch, was in diesem Land los ist, die Polizei hat alle Hände voll mit anderen Dingen zu tun, als hier auf dem Campus einzugreifen", sagt er. Vielleicht klingt der Mann bei solchen Sätzen so rational, weil er promovierter Physiker ist.

"Ich bin Optimist"

Die radikale IJT hat versucht, ihn einzuschüchtern, wollte ihn auch schon schlagen, wie ein Student berichtet. Kamran nimmt das nicht hin, er will sich wehren. Im Moment stellt der Professor zusätzliche Sicherheitskräfte ein, um das Treiben der Islamisten einzudämmen. "Wir müssen uns darum jetzt selbst kümmern", sagt er. Und er ist sich sicher: Sowohl sein "Mini-Pakistan" als auch das große Land werden diese Krise überstehen. "Ich bin Optimist", sagt Kamran.

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