Süddeutsche Zeitung

Interview zur Bildungspolitik:"Bildung muss Chefsache sein"

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Der Bildungsgipfel ist gescheitert. Erziehungswissenschaftler Thomas Rauschenbach über die fehlenden Visionen und den Weg aus der Misere.

B. Taffertshofer

h wenn der Bildungsgipfel kein Erfolg war, dürften die Anstrengungen für ein besseres Bildungssystem nicht nachlassen, fordert der Direktor des Deutschen Jugendinstituts, Thomas Rauschenbach.

SZ: Bund und Länder sind auf dem Gipfel in Streit über Finanzfragen geraten. Wie beurteilen Sie das?

Thomas Rauschenbach: Das stimmt mich nicht optimistisch - besser wäre gewesen, wenn beide Seiten signalisiert hätten, welchen Beitrag sie übernehmen wollen. Doch selbst bei einer Einigung bliebe vieles ungeklärt. Denn mit Geld kann man im Bildungssystem längst nicht alle Probleme lösen.

SZ: Welche nicht?

Rauschenbach: Zum Beispiel sind Kommunen an Bildungsfragen nicht beteiligt - dabei gehören sie an den Tisch, weil sie viele Probleme der Betroffenen kennen. Das ist keine Geldfrage.

SZ: Was sollte jetzt passieren?

Rauschenbach: Der Bundespräsident müsste die Bildung zur Chefsache machen. Die große Bereitschaft, die derzeit in der Gesellschaft für Veränderungen da ist, muss genutzt werden.

SZ: Der Bundespräsident hat keine Macht.

Rauschenbach: Aber er hat eine moralische Autorität, mit der er Veränderungen anstoßen könnte. Er könnte außerhalb der ritualhaft erstarrten Zuständigkeiten und der festgefahrenen Institutionen so etwas wie eine zivilgesellschaftlich legitimierte Öffentlichkeit schaffen, die nicht reflexartig jede vernünftige Weiterentwicklung im Keime erstickt.

SZ: Sie meinen, die Politik schafft alleine keine Reform?

Rauschenbach: Die Politik, aber auch die Interessenverbände, sind gefangen in einem klebrigen Spinnennetz verteilter Verantwortung und zersplitterter Zuständigkeiten. Anstatt aus vorliegenden Erkenntnissen die notwendigen fachlichen und politischen Konsequenzen zu ziehen, verharrt man in den sicher erscheinenden Schützengräben des eigenen Lagers. Das bedeutet Stillstand für die Bildungsrepublik. Wir brauchen deshalb eine starke öffentliche Korrektur.

SZ: Es gibt schon heute kaum eine Rede von Herrn Köhler, in der er die Bildung unerwähnt lässt.

Rauschenbach: Reden allein genügen natürlich nicht. Es könnte aber so etwas wie ein "Zivilgesellschaftliches Bildungsforum 2020" geschaffen werden, in dem

Akteure aus dem gesamten gesellschaftlichen Spektrum an einem Tisch sitzen: Kommunen, Wohlfahrtsverbände, Jugendhilfe, Stiftungen, Unternehmer, Gewerkschaftler, Wissenschaftler, Lehrer, Eltern. Sie sollten verpflichtet werden, eine gemeinsame Bildungsagenda der Zukunft zu entwerfen, die konkrete Empfehlungen für die Politik formuliert.

SZ: Noch ein Gremium, in dem schöne Ziele formuliert werden.

Rauschenbach: Diese sind aber weder durch den Bundespräsidenten oder die Öffentlichkeit legitimiert, noch haben sie Bildung als Ganzes, als Gesamtsystem im Blick. Heute helfen jedoch keine partikularen Ansätze, die ausschließlich in der frühkindlichen Förderung, ausschließlich in den Hauptschulen oder nur an den Hochschulen durchgesetzt werden. Wir können uns nicht mehr leisten, überall ein bisschen herumzubasteln.

SZ: Sie wollen die Hauptschulen abschaffen?

Rauschenbach: Benachteiligte Schüler in einer Schulform zu konzentrieren, ist unter pädagogischen Gesichtspunkten schwer zu rechtfertigen. Statt Auslese brauchen wir eine frühe und konsequente, individuelle Förderung gerade für die ,,Sorgenkinder''. Dafür müssen wir mehr Geld in die Hand nehmen, um ihnen den Weg in ein eigenständiges Leben zu ermöglichen. Dazu braucht es aber eine Gesamtstrategie. Ein Bildungsforum 2020 könnte diese erarbeiten.

SZ: Wem trauen Sie das zu?

Rauschenbach: In dem Forum müssen sowohl Menschen sitzen, die für wichtige gesellschaftliche Gruppen sprechen, als auch solche, die durch Unabhängigkeit und Sachautorität überzeugen. Das kann eine angesehene Lehrerin genauso sein wie ein ehemaliger Kultusminister oder eine Verbandsvorsitzende. Persönliche Interessen, Eitelkeiten und Lobbyismus dürfen dabei keine Rolle spielen, sonst stehen wir rasch wieder da, wo wir uns derzeit befinden.

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Quelle:
SZ vom 23.10.2008
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