Süddeutsche Zeitung

Interview:Wenn ein Ja ein Jein ist

Das Wissen über kulturelle Unterschiede ist bei Konferenzen ebenso wichtig wie in internationalen Fortbildungen.

Von Benjamin Haerdle

Alexia Petersen ist Kanadierin und spricht neben Englisch auch Deutsch, Französisch, und Mandarin-Chinesisch. Sie arbeitet seit 25 Jahren als internationale Trainerin und Beraterin auf dem Gebiet der interkulturellen Kommunikation.

SZ: Frau Petersen, Sie geben Workshops in Unternehmen und an Hochschulen. Warum ist die Kommunikation zwischen unterschiedlichen Kulturen so schwierig?

Alexia Petersen: Der Mensch kommuniziert in seiner sozialen Gruppe und seiner Kultur intuitiv, ohne die Art und Weise infrage zu stellen. In der intrakulturellen Kommunikation passen Erwartungshaltung und Verhalten normalerweise zueinander. In der interkulturellen Kommunikation wird fremdes, also unerwartetes Verhalten oft falsch interpretiert und bewertet, weil man keinen Zugriff auf die Logik der anderen Kultur hat. Die Interpretation des Verhaltens des anderen ist daher umso fehlerhafter, je größer die kulturelle Distanz ist. Wenn man die Nachricht des Gesprächspartners fehlinterpretiert, dann passen die Folgeaktionen nicht zu den Erwartungen: Interkulturelle Misskommunikation ist die Folge.

Derzeit kommunizieren Unternehmen wegen der Pandemie vermehrt über Videokonferenzen. Häufen sich dadurch möglicherweise Missverständnisse?

Die Latenzzeiten der Internetübertragung führen oft dazu, dass man sich gegenseitig unbeabsichtigt unterbricht. Nicht jeder Kultur fällt es leicht zu unterbrechen oder unterbrochen zu werden. Allerdings sind Online-Meetings jetzt viel normaler, man sollte das nutzen und sich öfters treffen, um nicht jedes Mal nur über Probleme reden zu müssen. Und dass man bei Online-Meetings keine Maske tragen muss, ist ein großer Vorteil, insbesondere in der interkulturellen Kommunikation.

Wie können sich interkultureller Missverständnisse in der Wirtschaft zeigen?

Ein häufig unterschätztes Problem internationaler Zusammenarbeit ist die Bedeutung von "Ja". Das liegt daran, dass ein "Nein" für zwei Drittel der Weltbevölkerung, beispielsweise aus Kulturen in Asien, Südamerika und Afrika, in vielen Situationen nicht zum aktiven Wortschatz des Problemlösens zählt. Oft ist man verpflichtet, Ja zu sagen, um das Gesicht des Gegenübers und damit den Status quo zu wahren. Das zeigt sich etwa, wenn ein Teamleiter neue Teammitglieder weiterbildet. In überwiegend individualistisch und nur moderat hierarchisch geprägten Kulturen sind die Kommunikationskanäle in beide Richtungen offen. Wenn also ein Teammitglied etwas nicht verstanden hat, erwarten wir, dass er nachfragt und sich darum kümmert, im Dialog mit dem Trainer Verständnis herzustellen. In Kulturen, die eher kollektivistisch und hierarchisch geprägt sind, liegt die Verantwortung beim Trainer: Da die Kommunikationskanäle nur "von oben nach unten" offen sind, muss er sicherstellen, dass vermitteltes Wissen klar, eindeutig und vollständig ist.

Warum bitten die Mitglieder ihn nicht, den Sachverhalt zu wiederholen?

Das würde als Kritik am Trainer aufgefasst. Ähnliches gilt für das Problemlöseverhalten in Teams mit mehreren Hierarchieebenen. Wir erwarten hierzulande, dass sich neue Mitarbeiter mit eigenen Ideen in den Lösungsprozess einbringen, auch wenn diese nicht identisch mit denen des "Seniors" sind. Leitet dieselbe Führungskraft nun ein Team in einem Land mit ausgeprägter Hierarchie, wartet sie oft vergeblich auf die Ideen der Teammitglieder: Solange die nicht sicher sind, dass die eigenen Ideen denen der Führungskraft entsprechen, passiert nichts. Es kostet zum Beispiel deutsche Produktionsleiter an den Werkbänken und Fließbändern Asiens viel Zeit, ihre Mitarbeiter so auszubilden, dass sie Probleme im Produktionsablauf melden, Verbesserungsvorschläge machen und Feedback geben, denn nach ihrer kulturellen Logik bedeuten diese Aktionen einen möglichen Gesichtsverlust für die Führungskraft. Diesen wollen und müssen sie vermeiden.

Wie lassen sich diese Probleme lösen?

Lösungsansätze wären zum Beispiel eine intensivere Mitarbeiterführung und sich bewusst zu werden, dass einen solche Probleme erwarten. Auch das Erstellen von Lehrvideos mit ausführlichen Beispielen bietet sich je nach Thema an. Der Trainer kann nur dann erfolgreich sein, wenn er mit den potenziell auftretenden Problemen vertraut ist und nicht darauf wartet, dass die Teammitglieder aktiv werden.

Kommuniziert wird international meist auf Englisch. Dabei können von Nation zu Nation unterschiedliche gesellschaftliche Gepflogenheiten und Sichtweisen Missverständnisse auslösen.

Das ist in der Tat oft ein Problem, auch wenn die Grammatik perfekt sitzt und dieselben technischen Fachvokabeln genutzt werden. Die Bedeutung von Formulierungen und Ausdrücken sowie die Erwartungshaltung des Gesprächspartners können sehr unterschiedlich sein, weil man immer noch in der Sprachkultur seiner Muttersprache kommuniziert. Wenn in Deutschland ein Vorgesetzter nicht-verhandelbare Anweisungen geben will, liegt die Betonung auf der Begründung und klaren Informationen. Zu seinem internationalen Team würde ein deutscher Muttersprachler auf Englisch also etwas sagen wie "We have an important visitor coming on Monday. Please make sure to check everything before you leave today." Die wichtigsten Sachfragen, also wer, was, wann und warum, stehen im Vordergrund der Nachricht. Dagegen ist ein typisches Merkmal englischer Muttersprachler die Verwendung von Sprachelementen, die die Direktheit und Nichtverhandelbarkeit des Inhalts abfedern: "We're having visitors on Monday, so you might like to have another look at a few things before you leave this afternoon?" Ein japanischer Muttersprachler wiederum würde das ideale Resultat betonen: "We haven't seen this important guest for quite a while now. We would wish him to have the best impression when he next comes." Jedes Teammitglied leitet dann daraus für sich selbst ab, wie weit er oder sie vom Idealziel entfernt ist und entscheidet selbst, was zu tun ist, damit die Gruppe den bestmöglichen Erfolg hat.

Muss interkulturelle Kompetenz nicht noch viel stärker in der Ausbildung gelehrt werden, etwa an den Hochschulen?

An den Hochschulen wird dieses Thema leider noch zu wenig unterrichtet. Die künftigen Führungskräfte, die aufgrund der globalisierten Arbeitswelt auf interkulturelle Kompetenzen angewiesen sind, also insbesondere Studierende der Mint-Fächer und der Betriebswirtschaftslehre, müssten mehr Möglichkeiten bekommen, an geeigneten Kursen teilnehmen zu können. An der RWTH Aachen, an der ich viel unterrichte, können Studierende und Promovierende aller Fächer mehrmals im Jahr an meinen Intensivseminaren teilnehmen. Das ist aber leider nicht überall so.

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Quelle:
SZ vom 04.12.2020
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