Interview mit Lynda Gratton:"Frauen sind keine Männer"

Lynda Gratton über Unterschiede im Karriereverhalten, warum Männer im Job häufig weiterkommen als Frauen - und warum diese trotzdem nicht ihren Stil ändern sollten.

Interview: Alexandra Borchardt

Lynda Gratton ist Professorin an der London Business School und Leiterin des Lehman Centre for Women in Business.

Interview mit Lynda Gratton: Lynda Gratton: "Multinationale Konzerne werden sehr große Schwierigkeiten bekommen, Talente anzuziehen."

Lynda Gratton: "Multinationale Konzerne werden sehr große Schwierigkeiten bekommen, Talente anzuziehen."

(Foto: Foto: privat)

sueddeutsche.de: Professor Gratton, viele Frauen jammern, dass es so schwierig ist, ins Top-Management zu kommen. Aber vielleicht sind die einfach nicht gut genug.

Gratton: Wie kann man so etwas als Jammern abtun! Nur zehn Prozent aller Top-Führungskräfte in Europa sind Frauen. Das hat strukturelle Gründe.

sueddeutsche.de: Welche sind das?

Gratton: Ein wichtiger Grund ist, dass Frauen viel mehr Arbeit Zuhause haben. Die meisten Spitzenmanager haben eine Ehefrau, die ihnen den Rücken frei hält. Deshalb können sie viel mehr Energie in die Arbeit stecken.

sueddeutsche.de: Also hilft Rollentausch oder Hauspersonal einstellen.

Gratton: So einfach ist das nicht. Männliche Führungskräfte haben meist eine wettbewerbsorientierte, angriffslustige Persönlichkeit. Die meisten Frauen sind nicht so. Frauen sind keine Männer.

sueddeutsche.de: Aber wenn solche Eigenschaften einen erfolgreichen Chef ausmachen, ist es nur konsequent, Männer zu befördern.

Gratton: Es ist aus betriebswirtschaftlichen Gründen zwingend, dies zu ändern. Allein aus diesem Jahr liegen uns drei Studien vor, die zeigen, dass es sich für Firmen auszahlt, auch Frauen in Führungspositionen zu bringen.

sueddeutsche.de: Lässt sich der Effekt beziffern?

Gratton: Eine Studie der Universität von Helsinki zeigt, dass Firmen mit Frauen in der Chefetage eine um zehn Prozent höhere Kapitalrendite schaffen als die allein von Männern geführten. Die Unternehmensberatung McKinsey hat herausgefunden, dass die Firmen mit vielen Frauen auf der Führungsebene finanziell überdurchschnittlich abschneiden.

sueddeutsche.de: Das könnte ja auch Zufall sein.

Gratton: Wir am Lehman Centre for Women in Business haben in 21 internationalen Unternehmen 100 Teams untersucht, die wichtige Projekte leiteten. Wir haben sie uns nach dem Kriterium angeschaut, wie die Zusammensetzung zwischen Männern und Frauen war. Das Ergebnis: Teams, die je zur Hälfte aus Männern und Frauen bestanden, arbeiteten in fast allen Gebieten optimal, in denen es auf Innovation ankam. War das Geschlechterverhältnis unausgewogen, fiel die Leistung deutlich ab.

sueddeutsche.de: Weil sich Männer und Frauen so gut ergänzen?

Gratton: Das Überraschendste an unserer Studie war, dass wir keine gravierenden Unterschiede in den Leistungen von Männern und Frauen gefunden haben. Diese Theorie, dass Männer vom Mars sind und Frauen von der Venus, für die haben wir keine Beweise. Der einzige Unterschied war, dass die Frauen zusätzlich daheim mehr Arbeit geleistet haben. Also ist es weniger wichtig, was am Arbeitsplatz passiert als das, was zu Hause passiert.

sueddeutsche.de: Die Teamleiter waren sicher meistens Männer.

Gratton: Die Ergebnisse waren völlig unabhängig davon, ob der Teamleiter ein Mann oder eine Frau war. Angesichts dieser Erkenntnisse sollten sich Chefs schon ein paar Fragen stellen. Denn während in Großbritannien in den meisten Branchen 50 Prozent aller von den Firmen eingestellten Hochschulabsolventen Frauen sind, sind es unter den Managern nur noch 30 Prozent, und auf den oberen Führungsebenen 15 Prozent.

SZ: 15 Prozent, davon können wir in Deutschland nur träumen.

Gratton: In Deutschland herrscht sicher eine sehr maskuline Kultur.

"Frauen sind keine Männer"

sueddeutsche.de: Also müssen Frauen ihren Stil ändern?

Gratton: Nein, die Firmen müssen sich ändern. Gerade die multinationalen Konzerne werden sonst sehr große Schwierigkeiten bekommen, Talente anzuziehen.

sueddeutsche.de: Die hatten da doch noch nie Probleme.

Gratton: Die Zahl weiblicher Top-Manager dort geht jetzt schon zurück. Die jungen Leute lassen sich heute einfach weniger bieten als wir damals. Ich habe mich noch durchgebissen, wenn es Ärger gab. Die begabten Mitarbeiter von heute verlassen die Firma, wenn es ihnen dort nicht mehr passt.

sueddeutsche.de: Und dann?

Gratton: Dann gründen sie eine eigene Firma. Ich habe kürzlich 120 Studentinnen gefragt, wie sie ihre Perspektive sehen. Fast alle wollten sich selbstständig machen. Nur eine wollte Vorstandsvorsitzende werden.

sueddeutsche.de: Welche Rolle spielt die Baby-Falle?

Gratton: Wir haben keine Beweise für diese Baby-Falle. Die meisten Frauen, die auf der mittleren Ebene stranden, haben überhaupt keine Kinder. Dass sie es nicht an die Spitze schaffen hat also nichts damit zu tun, dass sie Kinder haben.

sueddeutsche.de: Ist Norwegen Vorbild, wo ab kommendem Jahr 50 Prozent aller Aufsichtsratsmitglieder Frauen sein müssen?

Gratton: Ich persönlich bin für Quoten. Das ist zwar unangenehm für jene Frauen, die das Gefühl haben, sie seien deswegen an die Spitze gekommen. Aber Firmen mit mehr Chefinnen haben mehr Frauen in der gesamten Hierarchie. Ich habe gerade mit der Vorstandsvorsitzenden einer britischen Firma gesprochen. Die Hälfte ihres Führungsteams besteht aus Frauen.

sueddeutsche.de: Dabei heißt es doch, Frauen ertragen keine Konkurrentinnen.

Gratton: Wir nennen das 'Queen Bee Syndrome' (Bienenköniginnen-Syndrom). Nein, dafür haben wir nicht den mindesten Beweis. Diese Theorie ist aber auch vor allem bei Männern beliebt.

sueddeutsche.de: Die vor Chefinnen Angst haben?

Gratton: Man kann ihnen das alles nur bedingt vorwerfen. Menschen neigen dazu, jemanden auszuwählen, der ihnen ähnlich ist. Also wählen sie Männer.

sueddeutsche.de: Was können Chefs tun, um mehr Frauen in die Vorstände zu bekommen?

Gratton: Um Karriere zu machen, kommt es üblicherweise auf drei Dinge an. Man muss Projekte bekommen, die für den Erfolg des Unternehmens entscheidend sind, man muss in Karriereförderprogramme kommen und man muss mal ins Ausland gehen. Viele Frauen nehmen solche Gelegenheiten nicht wahr oder sie werden ihnen nicht gegeben.

sueddeutsche.de: Oft der Familie wegen.

Gratton: Es müssen für die Beschäftigten bessere Bedingungen geschaffen werden, um Beruf und Familie zu vereinbaren. In unserer Studie arbeiteten Teamleiterinnen im Schnitt acht Stunden weniger pro Woche für die Firma als Teamleiter. Und das hat sich positiv auf ihre Leistung ausgewirkt. Viele von ihnen waren mehr bei der Sache als die Männer. Es kommt nicht auf die Zeit an, die man mit Arbeit verbringt.

sueddeutsche.de: Sondern darauf, dass Frauen doppelt so gut sein müssen wie Männer?

Gratton: Frauen, die es bis ganz nach oben schaffen, sind meist extrem außergewöhnlich. Aber Sie können nicht sämtliche Führungspositionen mit sehr außergewöhnlichen Menschen besetzen. Davon gibt es einfach nicht genug.

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