Interview mit Ex-SEK-Beamten:"Wir sind keine Rambos"

Emil Pallay, Cover "Zugriff"

"Das, was Sie im Fernsehen über SEK-Beamte sehen, ist Quatsch, sagt Emil Pallay. (Im Bild: Cover seiner Autobiographie "Zugriff")

(Foto: Heyne)

In Krimis werden sie gerufen, wenn die Situation ausweglos erscheint: die Männer des Spezialeinsatzkommandos. Wie sieht der Alltag eines SEK-Beamten in Wirklichkeit aus? Emil Pallay erzählt, wie es ist, einen tödlichen Schuss abzugeben.

Von Johanna Bruckner

Spezialeinsatzkommandos, kurz SEK, gelten als Eliteeinheiten der Länderpolizeien. Hier arbeiten nur die fittesten und furchtlosesten Beamten. So ist zumindest der Eindruck, der in vielen Krimis erweckt wird. Wer sind die Männer und Frauen hinter den Sturmmasken in Wirklichkeit? Wie sieht ihr Arbeitsalltag aus? Emil Pallay war 43 Jahre lang bei der bayerischen Polizei, 20 Jahre davon beim SEK. Seine Erlebnisse hat er in einem Buch ("Zugriff. Aus dem Leben eines SEK-Manns") niedergeschrieben. Auf dem Cover ist er uniformiert in Top-Gun-Pose abgebildet - zum Interview erscheint er leger, lächelt viel.

SZ.de: Herr Pallay, wie wird man Mitglied des Spezialeinsatzkommandos?

Emil Pallay: Das ist von Bundesland zu Bundesland verschieden. In Bayern müssen Sie mindestens zwei Jahre bei der Polizei gewesen sein und dürfen nicht jünger als 24 Jahre sein. Aber das sind nur die Grundvoraussetzungen - die tatsächlichen Hürden kommen dann erst noch.

Die da wären?

Zunächst muss jeder Bewerber eine umfassende ärztliche Untersuchung über sich ergehen lassen. Wer hier durch schlechte Augen auffällt, für den ist schon Schluss. Im Anschluss werden die Anwärter psychologisch begutachtet. Ist der Beamte belastbar, stressresistent? Kann er im Team arbeiten? Hat er Mut zum Risiko? Dann geht es zur gefürchteten Sportprüfung: Hindernis-Parcours, Langstreckenlauf ...

Da scheitern viele?

Ich sage immer: Ein durchschnittlicher Sportler schafft die Aufgaben locker. In der Ausbildung selbst ist körperliche Fitness dann zwar wichtig für das Kampfsporttraining. Aber die Schieß-Ausbildung ist mindestens genauso intensiv - schließlich sind SEK-Beamte eher selten in Nahkämpfe verwickelt. Meiner Meinung nach ist die schwierigste Hürde im Bewerbungsverfahren das Gespräch vor der Auswahlkommission. Die entscheidet am Ende darüber, wer genommen wird. Hier sollte man nach Möglichkeit nicht sagen, dass man zum SEK will, weil man so gerne James-Bond-Filme guckt.

Auf der Leinwand erinnern Elite-Polizisten tatsächlich oft eher an gesetzlose Geheimagenten als an Gesetzeshüter.

Dieses Image bekommen wir nicht richtig los. Aber wir sind keine Rambos. Bei uns heißt es: verhandeln, verhandeln, verhandeln. Erst wenn gar nichts mehr geht, wenn der Täter agiert - dann müssen wir reagieren.

Mit Sturmhaube und schwerer Bewaffnung wirken SEK-Beamte nicht unbedingt wie dein Freund und Helfer. Wie haben unbeteiligte Menschen auf Sie im Dienst reagiert?

Ich war fast nie vermummt. In der Regel tragen SEK-Beamte beim Einsatz Jeans, Parka und darunter oder darüber eine Schutzweste. Der Helm wird erst kurz vor dem Zugriff aufgezogen. Das, was Sie im Fernsehen sehen, ist Quatsch. Wie sollte das ablaufen? Wir fahren in voller Montur mit quietschenden Reifen an und der Geiselnehmer schaut aus dem Fenster und sagt: Schön, jetzt sind sie da - dann können wir ja anfangen! Die Vermummung ist nur dann nötig, wenn Sie sich unbemerkt einem Objekt annähern wollen. Nachts, zwecks Tarnung.

Aber man sieht doch immer wieder auf Fotos vermummte SEK-Beamte, wie sie Verdächtige abführen.

Sturmmützen können mitunter zum Einsatz kommen, um Beamte vor möglichen Racheakten aus dem kriminellen Milieu zu schützen. Wir haben zum Beispiel früher die Terroristen der RAF nach Stammheim transportiert, ich saß selbst mal neben Christian Klar - da möchte man nicht unbedingt identifizierbar sein.

Aber im Zweifelsfall merke ich gar nicht, dass das SEK in meiner Nachbarschaft ermittelt?

Wenn es die Kollegen darauf anlegen, werden sie weder vom Verdächtigen noch von den Nachbarn gesehen. Es kommt aber auch vor, dass ein Zielobjekt am besten von der Nachbarwohnung ausgespäht werden kann. Dann klingelt man dort, ganz normal in Zivil, zückt seinen Dienstausweis und sagt: "Guten Tag, mein Name ist Emil Pallay, Spezialeinsatzkommando, wir bräuchten Ihre Wohnung für Beobachtungszwecke." Die Leute sollen ja keinen Herzinfarkt bekommen.

Und da machen die Bewohner bereitwillig mit?

Wenn sich jemand weigert, könnten wir ihn im Extremfall in Gewahrsam nehmen und seine Wohnung zwangsweise beschlagnahmen. Aber das ist in meiner Laufbahn nie vorgekommen. Die meisten reagieren sehr verständnisvoll und stellen ihre Wohnung bereitwillig zur Verfügung. Bei manchen Überwachungseinsätzen wurden wir sogar von den Bewohnern verköstigt.

"Dann habe ich geschossen"

Das klingt, als sei Ihr Beruf oft sehr viel weniger spannend als sein Ruf.

Einsätze machen nur etwa 50 Prozent des Berufsalltags aus. Daneben treibt man viel Sport, hat Aus- und Weiterbildungseinheiten. Auch vermeintlich einfache Dinge wie das Abfeuern einer Tränengaspistole werden geübt. Denn ich muss im Ernstfall nicht nur das Fenster treffen, sondern auch durch die Scheibe kommen - und das ist nicht so leicht. Ein normales Geschoss beschleunigt auf 600 km/h, eine Kugel aus einer schallgedämpften Waffe mit 300 km/h. Eine Tränengaspatrone fliegt dagegen fast in Zeitlupe. Wenn Sie das nicht wissen und berücksichtigen, prallt das Geschoss einfach ab - und Sie werden im Ernstfall eingenebelt.

Emily Pallay

Emil Pallay hat auch eine Ausbildung als "Präzisionsschütze" absolviert, umgangssprachlich bekannt als: Scharfschütze.

(Foto: Emily Pallay)

Ist Ihnen ein Einsatz nachdrücklich in Erinnerung geblieben?

Einmal hatte ich es mit einem geistig verwirrten Mann zu tun, der in München über mehrere Stunden scheinbar willkürliche Straftaten begangen hat. Es fing ganz harmlos an: Er wollte an Passanten auf der Straße Geld verteilen. Geendet hat es auf einer Kreuzung, der Täter hatte sich mit einer Geisel in einem geklauten Auto verschanzt. Er hat dem Mann ein Messer an den Hals gehalten, es bestand unmittelbare Lebensgefahr. Wenn man ein Messer an der richtigen Stelle zwischen Hals und Schulter ansetzt, kann man bis zum Herz durchstechen - das wusste offenbar auch der Geiselnehmer.

Welche Aufgabe hat das SEK in einem solchen Fall: Mit dem Täter verhandeln - oder ihn handlungsunfähig machen?

Verhandlung ist immer die erste Option. Es war unter anderem ein Psychologe vor Ort, der versucht hat, auf den Geiselnehmer einzuwirken. Aber die Situation war schon so brenzlig, dass ich von meinem Chef mit der klaren Anweisung an den Tatort geschickt wurde: "Bring' dich in Stellung." Ich hatte an dem Tag eine Gerichtsverhandlung, war denkbar unpassend gekleidet. In meinem braunen Anzug bin ich dann um das Fahrzeug rumgeschlichen, habe eine Position gesucht, aus der ich einen Schuss abgeben könnte. Dann ging plötzlich alles ganz schnell: Der Psychologe, der am geöffneten Autofenster stand, hat die Arme hochgerissen und "Hilfe!" gerufen. Aus dem Augenwinkel habe ich gesehen, wie sich der Täter mit verzerrtem Gesicht über die Geisel beugt - und dann habe ich geschossen.

Haben Sie den Geiselnehmer tödlich verletzt?

Ich habe ihn im Brustbereich getroffen. Er ist dann auf dem Weg ins Krankenhaus gestorben. Normalerweise soll der finale Rettungsschuss auf den Kopf gehen, aber das wäre in diesem Fall nicht möglich gewesen, ohne die Geisel zu gefährden. Das klingt hart: Aber wenn Sie das Gehirn ausschalten, hat das eine entschlaffende Wirkung. Wenn Sie das Herz treffen, verkrampft der Körper dagegen und der Täter kann im Zweifelsfall noch den Abzug seiner Waffe bedienen.

Wie geht man damit um, im Dienst einen Menschen getötet zu haben?

Direkt danach wollte ich einfach nur meine Waffe loswerden. Gott sei Dank hat sie mir irgendwann jemand abgenommen. Es ist Vorschrift, dass sie nach einem solchen Einsatz untersucht wird. Außerdem wird in der Regel ein Untersuchungsverfahren eingeleitet, um das Verhalten des Beamten zu überprüfen. Dann kamen Kollegen auf mich zu, haben mir auf die Schulter geklopft und gesagt: Gut gemacht, Geisel gerettet. Aber zu welchem Preis? Darüber denkt man natürlich nach, macht sich Vorwürfe. Meine wichtigste Bezugsperson war in solchen Situationen meine inzwischen verstorbene Ehefrau - die hat es damals geschafft, mir tatsächlich zu vermitteln: Du konntest nicht anders handeln.

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