Interview:Die Ökonomisierung der Familie

Interview: Professorin Eva Schumann

Professorin Eva Schumann

Die Idealisierung des Zwei-Verdiener-Modells benachteiligt sozial Schwächere, sagt Eva Schumann, die als Rechts-Professorin an der Universität Göttingen lehrt.

Interview von Franziska Brüning

Eva Schumann lehrt Deutsche Rechtsgeschichte und Bürgerliches Recht an der Universität Göttingen und kritisiert eine zunehmende Ökonomisierung der Familie. Sie meint, dass die Familienpolitik seit 2006 soziale Unterschiede verfestigt und nicht genug Wahlmöglichkeiten bietet.

SZ: Frau Schumann, dank der neuen Familienpolitik müssen sich berufstätige Mütter nun nicht mehr als Rabenmütter beschimpfen lassen. Können jetzt endlich alle frei wählen?

Eva Schumann: Eltern, nicht nur Mütter, sollten Wahlfreiheit haben. Dieses aus der Verfassung abgeleitete Prinzip beinhaltet auch, dass der Staat nicht einseitig bestimmte Familienmodelle fördern darf. Im Moment wird aber vor allem die Zwei-Verdiener-Familie gefördert. Zukunftsweisend wäre es, wenn man nicht ein Familienleitbild vorgeben würde - also früher die Hausfrauenehe und heute das Zwei-Verdiener-Modell. Sondern anerkennen würde, dass die meisten Familien im Laufe eines Lebens verschiedene Modelle praktizieren. Es gibt Phasen, in denen - etwa bei der Betreuung eines Kleinkindes oder der Pflege von Angehörigen - einer zu Hause bleiben oder beide in Teilzeit arbeiten möchten. Und es gibt Phasen etwa mit älteren Kindern, in denen beide in Vollzeit arbeiten wollen. Da Familien im Lebensverlauf Flexibilität benötigen, muss die Arbeitswelt ihren Bedürfnissen angepasst werden und nicht umgekehrt. Außerdem müsste der Wert von Familienarbeit wieder stärker anerkannt werden.

Viele freuen sich über das Elterngeld. Sie hingegen sagen, dass sozial schwächer gestellte Familien davon weniger profitieren. Warum?

Mit dem Erziehungsgeld wurden gerade auch sozial schwächere Familien und Mehr-Kind-Familien unterstützt. Beim Elterngeld ist hingegen die Höhe der Leistung für die Betreuung eines Kindes durch einen Elternteil von dessen Einkommen abhängig. Eine Frau, die mehrere Kinder hat und schon länger zu Hause ist, wird dabei wie eine Erwerbslose behandelt. Sie bekommt den niedrigsten Satz, also nur 300 Euro monatlich, und das ist im Verhältnis zum Erziehungsgeld eine Reduzierung um die Hälfte, weil dieses doppelt so lange gewährt wurde. Erziehungsarbeit wird unterschiedlich hoch bewertet. So erhält etwa eine sozial schwächer gestellte Familie, die das Versorgermodell praktiziert, nur 3600 Euro Elterngeld für ein Jahr, während das Elterngeld für die Zwei-Verdiener-Familie mit hohem Einkommen in 14 Monaten mehr als 25 000 Euro beträgt. Somit werden Besserverdienende stärker gefördert als Geringverdiener.

Ist das noch mit dem Sozialstaatsprinzip vereinbar?

Beim Elterngeld handelt es sich um eine aus Steuergeldern finanzierte Sozialleistung, die der Gesetzgeber jedoch umgekehrt sozial gestaffelt hat. Das heißt, er gibt den Besserverdienenden mehr als den Geringverdienenden. Dies ist mit dem Sozialstaatsprinzip nur schwer vereinbar. Diese Umverteilung ist aber auch rechtspolitisch verfehlt, weil sie die sozialen Unterschiede zwischen Gering- und Besserverdienenden verfestigt. Außerdem werden nicht mehr Familien als solche, sondern bestimmte Familientypen gefördert. Es wird etwa differenziert zwischen "Akademikerfamilien", denen mit finanziellen Anreizen die Entscheidung für ein Kind erleichtert werden soll, und "Hartz-IV-Familien", die keine finanziellen Vorteile mehr haben sollen, wenn sie Kinder bekommen. Dahinter steckt eine sehr problematische Kosten-Nutzen-Analyse, die dazu führt, dass vor allem diejenigen Familien gefördert werden, die dem Staat am meisten einbringen.

Wird es bald keine Hausfrauen und Hausmänner mehr geben?

Für Eltern hat die Zeit mit den eigenen Kindern einen hohen Stellenwert. Umfragen zeigen, dass der Gesetzgeber mit der Etablierung des Zwei-Verdiener-Modells bislang wenig Erfolg hatte. In einer Forsa-Studie von 2013 geben nur 13 Prozent der Eltern an, dass sie die volle Erwerbstätigkeit beider Eltern mit Ganztagsbetreuung des Kindes bevorzugen. Fast 80 Prozent wollen das Zuverdiener-Modell - einer arbeitet voll, der andere Teilzeit - oder ein Modell praktizieren, bei dem beide Eltern nicht voll erwerbstätig sind und die Familienarbeit gleichmäßig aufteilen.

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