Interview:"Die Ehe leidet, wenn ein Partner zu Hause bleibt"

Lesezeit: 3 min

Warum Erwerbstätigkeit gut für die Beziehung ist, Karriere-Paare mit Kindern aber immer noch Exoten sind - ein Gespräch mit dem Pädagogen und Psychologen Wassilios Fthenakis.

Sarina Märschel

Das Familienministerium und die Bertelsmann-Stiftung haben am Mittwoch eine Studie zu "Kinder und Karrieren" veröffentlicht. "Erfolg und der Wunsch nach Familie gehören für die Trendsetter heute selbstverständlich zusammen", hatte Familienministerin Ursula von der Leyen bei der Vorstellung der Studie gesagt. Aber eben nur für die Trendsetter.

Wassilios Fthenakis: Der Pädagoge, Anthropologe, Genetiker und Psychologe lehrt als Professor für Entwicklungspsychologie und Anthropologie an der Freien Universität Bozen in Italien. (Foto: Foto: oH)

sueddeutsche.de: Für die Studie der EAF im Auftrag der Bertelsmann Stiftung wurden nur Karriere-Paare mit Kindern befragt - ist das die neue deutsche Durchschnitts-Familie?

Wassilios Fthenakis: Nein, der Normalfall ist bislang, dass die Mutter auf ihre Erwerbstätigkeit verzichten muss. Das geht einher mit einem stärkeren beruflichen Engagement des Vaters, damit der Verlust des mütterlichen Einkommens ein wenig kompensiert wird. Bei der Aufgabenteilung ist eine Traditionalisierung zu beobachten - die Frau muss im Haushalt dann den Löwenanteil erledigen.

sueddeutsche.de: Aber die meisten jungen Frauen wollen doch nicht ganz zu Hause bleiben, oder?

Fthenakis: Wir wissen aus neueren Studien, dass es im Wesentlichen drei Gruppen von Frauen gibt: Es gibt Frauen, die traditionell orientiert sind und die in ihrem Lebensentwurf von vorneherein die Nichterwerbstätigkeit vorsehen. Diese Frauen sind auch relativ zufrieden mit ihrer Entscheidung. Die zweite Gruppe hätte gerne weitergearbeitet, verfügt aber über kein Betreuungsangebot. Deshalb sind sie gezwungen, wider Willen zu Hause zu bleiben. Und die dritte Gruppe gehört zu den von Bertelsmann Untersuchten: Das sind die Frauen, die nur kurz unterbrechen und dann die Erwerbstätigkeit fortsetzten.

sueddeutsche.de: Kinder und Karriere - lohnt es sich, beides zu wollen?

Fthenakis: Ja, auf jeden Fall. Die Paare haben davon mehrere Vorteile: Sie behalten das Modell der Gleichberechtigung bei. Und sie profitieren ökonomisch. Wir wissen aus der Forschung, dass bei ökonomischem Fortschritt nur die Familienform profitiert, bei der beide erwerbstätig sind, während die anderen zu den Verlierern im ökonomischen Wachstum zählen. Alles zusammen macht natürlich die Überlegenheit dieses Modells aus.

sueddeutsche.de: Welche Auswirkungen hat es auf die Beziehung, wenn beide arbeiten?

Fthenakis: Wenn beide erwerbstätig sind und beide alles gemeinsam erledigen, dann fördert diese Komponente die Gemeinsamkeit. Und sie liefert die Grundlage für das gesuchte Glück in der Ehe.

sueddeutsche.de: Arbeit ist aus Beziehungssicht also förderlich. Andersherum: Ist es schädlich, wenn einer zu Hause bleibt?

Fthenakis: Es gilt im Allgemeinen: Wenn das subjektiv entwickelte Konzept eine Chance bekommt, auch im Alltag umgesetzt zu werden, dann sind die Paare zufrieden und dies stellt eine günstige Bedingung für Partnerschaftsqualität dar. Wenn aber egalitär orientierte Paare nach der Geburt des Kindes gezwungen werden, ihre Rollen zu traditionalisieren, dann werden sie auseinanderdividiert - der eine bleibt zu Hause und der andere muss nach draußen gehen. Sie haben kaum Zeit für Gemeinsamkeiten. Und deshalb leidet auch die Beziehung darunter. Das kommt zum Ausdruck durch eine verminderte Kommunikation, durch weniger Zärtlichkeit und Sexualität und durch einen massiven Anstieg der Konflikte.

sueddeutsche.de: Die Bertelsmann-Studie besagt, dass Paare Dienstleistungen wie Kinderfrau und Einkaufsservice benötigen, um eine Doppelkarriere und Nachwuchs unter einen Hut zu bekommen. Kann sich Karriere und Kind nur leisten, wer vorher schon wohlhabend ist?

Fthenakis: Natürlich braucht man Geld, um eine Haushälterin oder einen Krippenplatz zu bezahlen. In der Regel sind Karrierepaare kompetenter und wohlhabender als der Durchschnitt. Und sie sind egalitär orientiert. Das heißt, beide sind der Auffassung, dass man sowohl erwerbstätig als auch in der Familie präsent sein soll.

sueddeutsche.de: Wie geht es den Kindern, wenn beide arbeiten?

Fthenakis: Wir haben herausgefunden, dass die Frauen, die Familie und Beruf gut vereinbarten, auch gute Mütter sind. Die untersuchten Frauen haben sich intensiv um ihre Kinder gekümmert und diese Kinder sind gegenüber den Kindern, deren Mütter ganztags zu Hause waren, um nichts zurückgeblieben.

sueddeutsche.de: In der Bertelsmann-Studie kam heraus, dass viele Menschen Kinder für einen Karriere-Killer halten.

Fthenakis: Ich würde das nicht Killer nennen, aber ich würde Kinder schon als ein wesentliches Hindernis auf dem Weg zur Karriere ansehen. Daraus erklärt sich auch, dass viele Männer die Kinderlosigkeit bevorzugen und warum akademisch ausgebildete Frauen sich nicht auf ein Kind einlassen.

sueddeutsche.de: Worauf sollten junge Paare achten, die Kinder und Karriere haben wollen?

Fthenakis: Sie sollten auf die Qualität ihrer Beziehung achten. Denn die tragende Säule des Familiensystems ist nicht mehr die Eltern-Kind-Beziehung, sondern die Qualität der Partnerschaft. Sie sollten sich Zeit nehmen für die Pflege der Partnerschaft, auch dann, wenn es auf Kosten anderer geht. Sie sollten mittelfristige Entwürfe entwickeln für die Balance zwischen Erwerbstätigkeit und familiärer Verantwortung. Und drittens sollten sie auf Ressourcen zurückgreifen: Tagespflege, Krippe oder verwandtschaftliche Netze, denn die Kinder können davon profitieren. Jedenfalls sollten sie sich von der Ideologie befreien, dass ein zu Hause verbleibendes Elternteil in allen Fällen die überlegeneren Bedingungen für das Kind bietet.

Wassilios Fthenakis ist Pädagoge, Anthropologe, Genetiker und Psychologe. Er lehrt als Professor für Entwicklungspsychologie und Anthropologie an der Freien Universität Bozen in Italien. Fthenakis ist Mitglied der Familienkommission der Bertelsmann Stiftung. Er ist außerdem Sachverständiger des Bundesverfassungsgerichts in Fragen des Kindschaftsrechts und Sprecher des Wissenschaftlichen Beirats der LBS-Initiative "Junge Familie".

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