Süddeutsche Zeitung

Interkulturelle Kommunikation:Smalltalk ist wie Tanzen

Technisch gutes Englisch ist nicht genug: Autorin Susanne Kilian erklärt, warum Deutsche im Austausch mit internationalen Geschäftspartnern so oft missverstanden werden.

Von Dorothea Grass

SZ: Sie haben lange als Dolmetscherin für die Vereinten Nationen gearbeitet. Heute geben Sie Kurse, damit sich Menschen besser verstehen. Woran hakt es?

Susanne Kilian: Deutsche merken, dass sie zwar technisch gutes Englisch sprechen, aber trotzdem immer wieder missverstanden werden. Andere, die teilweise kein so gutes Englisch sprechen, kommen beim Geschäftspartner besser rüber.

Was läuft da schief?

Die deutsche Kommunikationsweise ist direkt. Wir sagen, wie es ist, Kommunikation ist für uns Informationsaustausch. Wir lieben es, wenn sie kurz und zielorientiert verläuft. Alles, was nicht dieser Logik folgt, wird von Deutschen als überflüssig angesehen. Wenn jemand unserer Meinung nach herumeiert, statt zum Wesentlichen zu kommen, werden wir ungeduldig. Doch in den meisten anderen Kulturen funktioniert das nicht. Da folgt die Kommunikation festen sozialen Regeln. Nicht der Inhalt, der ausgetauscht wird, entscheidet, sondern die Art und Weise, wie es gesagt wird.

Was für Folgen kann das haben?

Ich denke da etwa an die Mitarbeiter einer tschechischen Firma, die beruflich mit Bauingenieuren aus Norddeutschland zu tun hatten. Die Tschechen kamen mit den Deutschen nur schwer zurecht und wussten nicht, woran das lag. Sie hatten aber einen Verdacht. Sie glaubten nämlich, es könne an der Religion liegen. "Die Deutschen sprechen immer von Hoffnung, Glaube, Kirche!" sagten sie mir und schlossen daraus, ihre Kollegen aus dem Norden seien tief religiös. Ich habe eine Weile gebraucht, um herauszufinden, woran das lag.

Nur tief religiöse Deutsche in der norddeutschen Baubranche? Das kann doch nur ein Missverständnis sein.

War es auch. Die Tschechen leiteten im Gespräch mit ihren deutschen Partnern ihre Sätze immer wieder mit den Worten "ich hoffe" oder "ich glaube" ein. Die Deutschen antworteten darauf mit "Hoffnung und Glauben gehören in die Kirche." Was nichts anderes heißt als: Komm mal zum Punkt. Sie waren direkte Ansagen gewohnt.

Wie ist die Geschichte weiter gegangen?

Die Tschechen konnten nicht fassen, was ich ihnen erklärte. Sie hatten für den nächsten christlichen Feiertag sogar schon Grußkarten anfertigen lassen, die sie ihren deutschen Arbeitskollegen schicken wollten! Ich riet ihnen, die in der Ecke liegen zu lassen und stattdessen zu üben, auf deutsche Art zu kommunizieren. Direkt und ohne "ich hoffe" -Zusätze. Klare Sätze wie zum Beispiel: "Wir werden den Abgabetermin nicht einhalten können, weil wir Lieferschwierigkeiten haben." Die Tschechen waren zunächst geschockt. Einer sagte mir sogar, wenn seine Mutter ihn so hören würde, bekäme er eine Ohrfeige. Doch das Training zahlte sich aus. Die Kommunikation funktionierte besser. Auch, wenn einige der Tschechen sagten, sie würden bei Telefonaten mit Deutschland nun immer ihre Bürotüre schließen. Sie befürchteten, sonst einen schlechten Eindruck bei den anderen Kollegen zu hinterlassen.

Sind nur wir Deutschen so ruppig?

Eine ähnlich direkte Art zu sprechen, haben außer uns nur noch die Finnen, Esten und Israelis. Und wir unterscheiden uns darin auch deutlich von Österreichern und Schweizern, die ja eigentlich ihre Sprache mit uns teilen. Bei meinen Recherchen über die internationalen Dos und Dont's habe ich herausgefunden, dass es vor allem das Handwerk ist, das unsere sachorientierte Kommunikation so geprägt hat. Heute werden wir weltweit auf unser German Engineering angesprochen.

Auf was sollten Deutsche achten, wenn sie mit Menschen aus anderen Kulturen zu tun bekommen?

Gute Kommunikation funktioniert wie ein Tanz. Dazu gehört, bestimmte soziale Regeln zu beachten, etwa Komplimente zu machen. Es mag sich für uns anfühlen wie schleimen, aber in vielen Kulturen gehören Komplimente zur normalen Konversation. Wenn ein Deutscher im Ausland sein Gegenüber nicht verletzen möchte, sollte er zunächst die Sachebene verlassen und sich auf die Beziehungsebene begeben.

Wie geht das?

Stellen Sie sich vor, Sie sind beim Opernball. Es ist Damenwahl und Sie schreiten auf den Herren zu. Wie unpassend wäre es, jetzt zu sagen: "Guten Tag, mein Name ist Sabine, ich bin 42 Jahre alt und hab ein Faible für Rechnungswesen." Vielmehr ordnen Sie sich der Situation unter und sagen den Satz, den Ihr Gegenüber erwartet: "Darf ich bitten?" Und dann wird erst einmal eine Runde getanzt.

Es geht also darum, die Erwartungen des Gegenübers zu erfüllen?

Genau. Alles andere wirkt auf internationalem Parkett schnell brüskierend. Gehe ich jedoch mit Leichtigkeit und Charme in die Konversation und verhalte mich gegenüber meinem Gesprächspartner empathisch und aufmerksam, dann entsteht ein Dominoeffekt. Positive Sprache bewirkt eine positive Stimmung. Zwischen Sachebene und Beziehungsebene liegt wirklich nur ein Tanzschritt.

Also müssten wir Small Talk lernen?

Unbedingt sogar. In der deutschen Konversationskultur ist er nur leider nicht vorgesehen. Small Talk ist nämlich weder sachlich begründet noch effizient und oft auch nicht ehrlich. Uns tut dieses Nicht-zum- Punkt-Kommen fast körperlich weh. In anderen Kulturen dient Small Talk aber dazu, dass zwei Menschen auf eine gemeinsame Kommunikationsebene finden. Ein Gespräch auf der Sachebene ist nicht möglich, wenn nicht die Beziehungsebene vorher gepflegt wurde.

Die Frage nach dem Wetter als Kommunikationsförderer?

Bitte nicht! Das wäre eine komische Vorstellung von Small Talk. Es geht vielmehr darum, herauszufinden, worüber der andere gerne redet. Essen, Sport und unverfängliche Fragen zum jeweiligen Land eignen sich gut: Themen, die den anderen zum Experten machen. Vermeiden sollte man Politik, Religion oder Krankheit. Auch das Thema Urlaub ist nur bedingt geeignet. Schließlich haben wir Deutschen ziemlich viel davon und im Gegensatz zu anderen Kulturen auch oft das Geld zum Reisen.

Wir sollten uns im beruflichen Umgang mit internationalen Partnern öfter mal entschuldigen, sagen Sie. Für was denn?

Es geht dabei nicht um Schuldzuweisung, sondern um eine Haltung während des Gesprächs, die eine deeskalierende Wirkung haben kann. "Sorry" ist ein Zauberwort. Wenn jemand am Telefon sagt "I'm sorry, I'm afraid that you dialed the wrong number" hat eine andere Wirkung als ein brüskes "No, you're wrong".

Das hört sich wirklich netter an.

Es gibt noch weitere Kniffe. Fragesätze statt Aussagesätze zu bilden, ist zum Beispiel ein guter Trick, weil es dem Gegenüber einen Freiraum einräumt und weniger wie ein Befehl wirkt. Was ebenfalls wunderbar funktioniert, ist das Loben. Uns Deutschen fällt das fast so schwer wie das Entschuldigen. Engländer fragten mich einmal, warum die Deutschen eigentlich nur die Wörter "nice", "interesting" und "good" zu kennen scheinen, wenn sie etwas loben. Ich habe ihnen erklärt, dass Wörter, die auf Liebe, Hingabe oder Leidenschaft abzielen, im Deutschen fast ausschließlich im Privaten benutzt werden. Wörter wie "great", "outstanding" oder "marvellous" zu wählen, fällt uns schwer. Aber: Das sind alles wahre Trümpfe in der Kommunikation. Für Deutsche ist das paradox: Wir müssen mehr Gefühl zeigen, um andere nicht vor den Kopf zu stoßen.

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Quelle:
SZ vom 01.08.2015
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