Integration an der Schule:Anton kümmert sich um Ali

Alle gegen die Deutschen? Die Debatte über Integrationsprobleme und Deutschenfeindlichkeit an Schulen schreckt Eltern auf. Eine Lehrerin hat sich in ihren Klassen umgeschaut.

H. Brosche

In vielen Schulen sind Kinder von Einwanderern mittlerweile in der Überzahl. In Berlin haben Lehrer eine Debatte über "Deutschenfeindlichkeit" angestoßen, weil es immer wieder Konflikte zwischen türkischen oder arabischen Schülern und den wenigen Deutschen gebe. Im Sommer hatte eine TV-Reportage Ähnliches über eine Schule in Essen berichtet. Der Eindruck, in allen Klassenzimmern würden ethnische Kämpfe toben, ist allerdings auch übertrieben - wie die Lehrerin und Autorin Heidemarie Brosche erleichtert feststellt:

Debatte Integration - Schüler

Integration von Schülern mit Migrationshintergrund? In Augsburg kein Problem.

(Foto: dpa)

Vor wenigen Tagen standen wir Aufsicht führend auf dem Pausenhof. Wir standen da wie immer, aber wir schauten uns diesmal ganz genau um. Schließlich hatte die Debatte über "Deutschenfeindlichkeit" an den Schulen auch uns erreicht. Wir sahen Jugendliche, die auf dem Hof saßen, schlenderten, tobten. Die zerknülltes Papier zu Fußbällen umfunktionierten oder Frisbee mit Papptellern spielten. Was wir glücklicherweise nicht sahen, waren Gruppen der "Deutschen", der "Russen", der "Türken". Die Schüler waren bunt gemischt. Wir sind eine Hauptschule (Mittelschule) in Augsburg, einer bayerischen Großstadt. An unserer Schule sind etwa zwei Drittel der Jugendlichen Kinder von Einwanderern, etwa 40 Prozent von ihnen sind türkischstämmige Muslime.

In einer meiner Ethikgruppen hatten wir drei Weltreligionen versammelt: viele Muslime, einen Hindu, zwei Buddhisten, drei Bekenntnislose. Die Stunde, in der sie einander berichteten, was sie an ihrer eigenen Religion wichtig fanden, zählte zu den schönsten, die ich in diesem Fach erleben durfte. Die Schüler hörten sich zu, waren erstaunt und stellten nicht wenige Gemeinsamkeiten fest. Keiner kam auf die Idee, die Religion des anderen zu verspotten.

Aber auch wir leben nicht auf einer Insel der Seligen. Es gibt ständig etwas zum Einschreiten und zum Schlichten, es gibt Konflikte mit gleichgültigen Eltern und mit solchen, die ihre Kinder bei Fehlverhalten prinzipiell in Schutz nehmen. Konflikte auch, weil viele unserer Schüler Pünktlichkeit, Arbeitseifer und Durchhaltevermögen nicht gerade erfunden haben. Aber all dies erleben wir nicht in ethnischen Kategorien. Die Unzuverlässigen gibt es in jeder Gruppe und jeder Religion. Eltern, die ihre Kinder vernachlässigen oder sich in die eigene Tasche lügen, ebenso. Auch bei denen, die echtes Interesse an der Bildung ihrer Kinder zeigen, die freiwillig etwas tun, die sich engagieren, sind alle vertreten, auch Türken und Muslime.

Wenn ich an unserer Schule eine Umfrage zur "Deutschenfeindlichkeit" machen würde, bekäme ich mit schiefem Grinsen von manchem Deutschen zu hören: "Ja, der X ist immer so gemein zu mir..." Doch im nächsten Moment würden er und der junge Türke oder Vietnamese oder Albaner neben ihm sich gegenseitig freundlich in die Seite stoßen, und beide würden lachen.

Heute schauten wir in einer Klasse einen Film über Mutter Teresa an. Am Ende winkt mich ein türkischer Muslim zu sich: "Im Film haben die gesagt, dass Muslime und Hindus nicht zusammenpassen. Tun sie aber doch." Er weist auf seinen Banknachbarn, einen indischen Hindu, mit dem er sich gut versteht. Eine deutsche Schülerin sagt mir, dass sie sich nicht vorstellen könne, diese Schule zu verlassen, denn zu gut verstehe sie sich mit ihren Freundinnen, einer Halbrussin und einer Halbungarin.

Vor ein paar Tagen hat der Russlandaussiedler Anton dem neu zugezogenen Muslim Ali die Schule gezeigt. Das war für ihn kein Akt der Barmherzigkeit, sondern eine Selbstverständlichkeit. In meiner letzten Klasse saß die Türkin neben der Deutschen, der Serbe neben dem Türken, der Deutsche neben dem Albaner.

"Ihr Deutschen, so wenige seid ihr nur noch"

Augsburg ist nicht Berlin oder Essen, vielleicht sind die Probleme hier insgesamt kleiner. Doch das vergleichsweise friedliche Miteinander an unserer Schule ist auch das Ergebnis konsequenten Bemühens und harter Arbeit. Auch wir haben Rückschläge zu verzeichnen und müssen uns mühen, gegenzusteuern. Natürlich will ich den Schulen, die "Deutschenfeindlichkeit" beklagen, nicht unterstellen, sie seien selbst schuld an der Situation, das wäre vermessen. Aber es gibt viele ermutigende Beispiele von Schulen, die durchaus auch Brennpunktschulen in schwierigen Vierteln sind, an denen es nicht russen-, türken- oder deutschenfeindlich zugeht.

Debatte Integration - Schüler

Integration an Schulen kann funktionieren - und die Kinder tragen ihren Teil dazu bei.

(Foto: dpa)

Apropos gegensteuern: Einer unserer Schüler hatte einer Mitschülerin gegenüber mit üblen Beschimpfungen und Beleidigungen um sich geworfen und war anschließend nicht bereit, diese zurückzunehmen. Der Vater des Migrantenjungen (übrigens kein Muslim) beschwerte sich. Er finde es maßlos übertrieben, dass wir diese Entgleisung seines Sohnes nicht auf sich beruhen lassen wollten. Die ausgestoßenen Beleidigungen seien in seinem Land nichts Besonderes. Unsere Schulleitung konterte: "In unserem Land aber schon! Hier werden Beleidigungen nicht hingenommen." Der junge Mann musste die Konsequenzen tragen. Wehret den Anfängen!

Arbeitsgemeinschaften sind oft ein gutes Forum, um sich kennen- und schätzen zu lernen. Dort verbindet die Schüler das gemeinsame Interesse an der Sache, eine möglicherweise unterschiedliche Kultur in ihren Familien trennt sie dort nicht. Schulspiel, Streitschlichter, Schulsanitätsdienst, Schülerlotsen, Schülerzeitung, musisches Werken, gesunde Ernährung, Basketball, Fußball, Badminton: Wer gemeinsam etwas Schönes und Sinnvolles betreibt, denkt nicht mehr an die Unterschiede. Wer gemeinsam anpackt und das Schulhaus oder den Pausenhof verschönert, für den verliert das Trennende an Bedeutung.

Als die Neuntklässler des letzten Schuljahres unter meinen Fittichen ein Buch schrieben und gestalteten, wurde mir und den Teilnehmern plötzlich bewusst, dass von den 26 Autoren nur vier deutschstämmig waren. Für einen kurzen Moment machte sich unter den 22 Migranten so etwas wie eine leicht überhebliche Stimmung der Stärke breit. Ach, ihr Deutschen, so wenige seid ihr nur noch! Ich erinnere mich gut, wie ich kurz befürchtete, dass die Lage ins Ungute kippen könnte. Das geschah dann aber nicht. Die Gruppe wuchs fest zusammen, der Respekt voreinander wuchs mit.

Und als Lehrerin habe ich dabei auch viel über die Schüler gelernt. Zum Beispiel, dass die große Schwester meiner sehr modernen und selbstbewussten muslimischen Schülerin S. ein Kopftuch trägt. Dass diese Schülerin und ihre Mutter - ebenfalls sehr modern - das Kopftuch der Schwester in Toleranz hinnehmen: "Warum sollten wir ihr das Kopftuch mies machen? Das ist doch ihre Sache", sagen sie. Und ich habe mehr darüber erfahren, wie viel Diskriminierung meine Schüler im Alltag erleben - und wie freundlich und geduldig ihnen wiederum andere Deutsche entgegentreten. Nie erzählten meine Schüler verallgemeinernd: "Die Deutschen waren so aggro." Sie blieben konkret: "Dieser Mann sagte Scheiß Ausländer! zu mir."

Und erfahren habe ich auch, wie sehr manche der muslimischen Mädchen unter den Einengungen leiden, die ihnen ihre an der Tradition orientierten Eltern zumuten. Dabei ist es gut, wenn diese Mädchen sich von Deutschen verstanden fühlen, ohne dass diese den familiären Konflikt zum Anlass nehmen, gleich generell über den Islam und die Türken zu schimpfen. Viele der jungen Migranten leben nicht einfach dumpf vor sich hin. Sie reflektieren den Spagat, den sie vollführen. Wer nur über die Starrheit traditionell denkender Eltern und Großeltern lamentiert, übersieht die Bewegung, die von der jungen Generation ausgehen kann. Wer sich laut über "die Türken" und "die Muslime" auslässt, stößt auch die zurück, für die Integration längst eine Selbstverständlichkeit ist.

Heidemarie Brosche ist Hauptschullehrerin in Augsburg. Mit Schülern hat sie im Wißner Verlag das Buch "Heaven, hell & paradise" herausgebracht. Zuletzt veröffentlichte sie im Kösel Verlag: "Warum Lehrer gar nicht so blöd sind - und was kluge Eltern tun können, wenn die Verständigung nicht klappt".

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