In einer Männerdomäne :Meisterin des Digitalen

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Julia Saswito stieg gleich nach dem Abschluss des Studiums bei einer kleinen Digitalagentur ein - und führte sie über Jahre hinweg zum Erfolg.

Von Annika Brohm

Als sie als Croupier in der Spielbank in Wiesbaden gearbeitet hat - morgens Vorlesung, nachts Blackjack und Roulette -, hat Julia Saswito gelernt, Spannungen auszuhalten. "Hin und wieder geben die Leute einem die Schuld am eigenen Unglück", sagt sie. Das müsse man dann verkraften können, sagt sie, nicht persönlich nehmen. Das galt damals im Casino für sie ebenso wie heute, als Geschäftsführerin der Digitalagentur Triplesense Reply.

Ihren Weg an die Spitze des Unternehmens bahnte sich Saswito schnell, beinahe unvermittelt. Bereits während ihrer Studienjahre fand sie Gefallen an technischen Themen. "Mir war schnell bewusst, dass sich in der Digitalbranche unheimlich viel tun wird", erzählt die 42-Jährige, "das fand ich schon immer sehr spannend." Nach ihrem Abschluss als Betriebswirtin mit Schwerpunkt auf Marketing und Informations- und Kommunikationstechnologie begann sie deshalb, in der Frankfurter Digitalagentur Triplesense zu arbeiten. Bereits sechs Monate später wurde Saswito neben der damaligen Inhaberin Katajoun Parandian-Kurz Teil der Geschäftsführung.

25 Jahre alt war Saswito zu diesem Zeitpunkt, die Agentur hatte fünf Leute. "Manche haben uns das gar nicht zugetraut", sagt sie und lacht. "Das haben wir zu unserem eigenen Vorteil genutzt und mit unserer Kompetenz überzeugt." Obwohl ihr nur wenig Zeit blieb, sich in ihre neue Rolle hineinzufinden. Triplesense wuchs stetig. Inzwischen gibt es auch einen Mann in der Geschäftsführung, und die Digitalagentur ist Teil des internationalen Reply-Netzwerkes geworden, ein Zusammenschluss von knapp hundert Firmen aus dem Digital- und IT-Bereich. Heute entwickelt die Agentur mit 70 Mitarbeitern digitale Lösungen für Kunden wie Vorwerk, Fresenius Medical Care und die Deutsche Bahn: Websites, Online-Shops, Web-Apps, allesamt unter dem Leitspruch"Humanizing Digital".

Ein von Frauen geführtes Digitalunternehmen sei aber immer noch eine Seltenheit gewesen, erzählt Saswito. Nur langsam mache sich ein Wandel bemerkbar. "Es gibt tolle Entwicklerinnen, es gibt tolle Gründerinnen, es gibt ganz viele Ideen", erklärt sie. In der Masse sei der Prozentsatz aber nicht groß genug. "Schließlich gibt es in unserem Bereich momentan wahnsinnig viele Positionen zu besetzen." Allerdings bewerben sich nur wenige Frauen - und je höher die Position, desto geringer der Anteil weiblicher Bewerber. "Das ist in der Tat ein Problem", sagt Saswito.

Es beginnt nach Ansicht der zweifachen Mutter schon im Kindesalter. Mädchen, das beobachte sie auch in ihrem persönlichen Umfeld, kommen mit Technik und Computern oft erst später in Berührung als Jungen. "Nicht nur im Sinne von Nutzen und Anwenden", sagt sie, "sondern vor allem, wenn es darum geht, selbst etwas zu programmieren und zu bauen." Viele ihrer männlichen Entwickler hätten einen anderen Werdegang: "Die haben früh gezockt, sind so nach und nach in das Thema reingekommen und haben dann angefangen, zu programmieren."

Dass man auf der Suche nach Ursachen früh ansetzen muss, zeigt eine aktuelle Studie: Nach dem diesjährigen "Women in IT"-Bericht der Universität Bamberg, der German Graduate School of Management and Law in Heilbronn und der Stellenbörse Monster sehen 42 Prozent der befragten IT-Expertinnen eine Ursache in der gesellschaftlichen und frühkindlichen Prägung. Demnach spielen Mädchen nach wie vor vorzugsweise mit Puppen, Jungen mit der Modelleisenbahn. Das deutsche Schulsystem wird von mehr als 80 Prozent der befragten IT-Unternehmen kritisiert. Zu Recht, findet Saswito: "Schulen müssten viel früher ansetzen und Mädchen an technische Themen und an Berufsbilder heranführen", sagt sie, "das kann nicht nur die Aufgabe der Eltern sein." Schließlich gebe es neben der klassischen Tätigkeit des Programmierers noch unzählige weitere Berufsbilder: Als User Experience Specialist kann man etwa die Nutzerfreundlichkeit digitaler Auftritte steigern; als Service Designer das "digitale Ökosystem" konzipieren und gestalten. Für Saswito steht fest: "Das Feld ist riesig - häufig wird das aber nicht sichtbar."

Um mehr Frauen für solche Berufe zu begeistern, trat sie bei Konferenzen wie dem Ada Lovelace Festival auf, einer Konferenz für Frauen aus der Informatik- und Technologiebranche. Eine ihrer Botschaften: "Uns fehlen weibliche Vorbilder, die erfolgreich in der Technologiebranche sind. Zumal bei den wenigen Vorbildern das Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf eine Rolle spielt, statt der fachlichen Kompetenz." Dass aber der Faktor Zeit eine große Rolle spielt, ist ihr bewusst. Es sei ihr sehr wichtig, flexible und individuelle Arbeitszeiten zu ermöglichen. Nicht immer müsse ein Kind der Grund dafür sein. "Es können auch Eltern sein, um die man sich kümmert; ein Hobby oder das Bedürfnis, nur vier Tage die Woche zu arbeiten", sagt sie. Das passt zu ihrer Lieblingsutopie: durch digitale Automatisierung mehr Zeit zu schaffen. "Wenn wir die dann sinnvoller einsetzen könnten, um uns um wirklich wichtige Dinge wie Bildung, Pflege und Gesellschaftliches zu kümmern - das wäre schön."

© SZ vom 14.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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