Incentive-Reisen:Tauziehen mit dem Chef

Tauziehen

Mit solchen Aktionen wollen Firmen den Teamgeist fördern und die Loyalität zum Unternehmen stärken.

(Foto: iStockphoto)

Rollenspiele, Wildwasser-Rafting, Segeltörns: Was sich Unternehmen mittlerweile alles einfallen lassen, um Teams auf neue Aufgaben einzuschwören oder verdiente Mitarbeiter zu belohnen.

Von Verena Wolff

Sir Francis Ogilvy ist ein sportlicher Mann. Darauf lassen jedenfalls die Waden schließen, die sich unter den traditionellen Wollkniestrümpfen abzeichnen, die er zum Kilt trägt. Sir Francis bewohnt das historische Winton House in der Nähe von Edinburgh. "Ich bin hier aufgewachsen, in einer riesigen Parklandschaft in diesem unendlich großen Haus", sagt er. Selbst mit Ehefrau und vier Kindern sei das Anwesen zu groß für eine Familie. Also hat sich Sir Francis überlegt, Gäste einzuladen. Gäste, die bei ihm Dinner veranstalten, neue Produkte präsentieren oder sich als Team weiterentwickeln wollen.

Steinstoßen und Baumstammschleudern sollen die Loyalität stärken

Unter seinen Gästen sind auch Mitarbeiter deutscher Unternehmen, die zu einer Incentive-Reise eingeladen wurden. Incentives - das ist Neudeutsch für Anreize - sollen die Motivation der Mitarbeiter steigern, sie für besondere Leistungen belohnen oder die Loyalität zur Firma stärken. Incentives gibt es auch für Kunden, in diesem Fall dienen sie vor allem als Kauf- und Entscheidungsanreiz. Klassiker unter den Belohnungsreisen in deutschen Firmen sind beispielsweise das gemeinsame Erklimmen eines Baumwipfelpfades, ein Wildwasser-Rafting, Quad-Touren oder geführte Weinverkostungen.

Bei Sir Francis in Winton House soll meist die Zusammenarbeit in Firmenteams oder in Kundengruppen gefördert werden. Das kann verschiedene Formen annehmen. In der Regel bedient er sich am Repertoire der traditionellen schottischen "Highland Games", sportlichen Wettkämpfen mit Disziplinen wie Tauziehen, Baumstammschleudern, Steinstoßen oder Hammerwerfen. Zunächst bespricht das Team von Sir Francis mit den Gästen, wie lang, wie schwer, wie schräg die Spiele werden dürfen, die sie zu absolvieren haben.

Mitarbeiter und Vertragspartner sollen motiviert werden

"Oft werden die Männer mit Kilts und der traditionellen Highland-Kleidung ausgestattet", sagt James Maynard, General Manager des Hauses. Das sei schon ein Ereignis für sich. Am Abend stehe dann oft ein Ceilidh auf dem Programm, der traditionelle schottische Tanz. "Vor allem unsere deutschen Manager und Unternehmer stehen dem oft skeptisch gegenüber", sagt Maynard. Nicht so Sir Francis. Er mischt sich gern unter die Gäste und tanzt, dass der aus fast neun Metern Stoff bestehende Kilt nur so in alle Richtungen fliegt.

Incentives sind noch immer eine populäre Angelegenheit - auch wenn die organisierten Bordell-Reisen von Versicherungsvertretern ihrem Ruf geschadet haben. "Die Reisen dienen primär der Motivation von Mitarbeitern und Vertragspartnern, zum Beispiel Handelsvertretern oder Händlern", sagt Torsten Kirstges, Professor für Betriebswirtschaftslehre und Tourismuswirtschaft an der Jade-Hochschule in Wilhelmshaven. Dafür sorgten schon die sogenannten Compliance-Richtlinien, die in vielen Unternehmen die Einhaltung von Gesetzen und freiwilligen, moralischen Kodizes sicherstellen sollen.

Die Palette der Veranstaltungen ist bunt

"Sicher gibt es auch mal einzelne Ausrutscher, bei denen Motivationsreiseformen gewählt werden, die nicht mit den inneren und nach außen vermittelten Werten der incentivegebenden Unternehmung in Einklang stehen", sagt Kirstges. "Doch das ist eher die Ausnahme." Und: "Man kann sogar gerade über eine Incentive-Reise die Werte des Unternehmens - Teamgeist, Leistungsqualität, Nachhaltigkeit - gut vermitteln."

Die Palette der Veranstaltungen ist bunt. Schottische Highland Games seien bei deutschen Unternehmen sehr beliebt, sagt Gillian Rae, die mit der Firma Allied PRA zahlreiche Firmenkunden bei ihren Reiseplänen unterstützt. "Aber wir konkurrieren natürlich wegen des eher unberechenbaren Wetters mit Destinationen im Süden Europas." Viele Mitarbeiter wünschten sich Sonne und Strand, doch noch wichtiger sei es, ein Erlebnis zu vermitteln, das sie so sonst nicht bekommen, meint Gillian Rae.

Die Rendite der Investition ist positiv

Speed-Sailing auf der Ostsee ist so ein Beispiel. Als Incentive-Reise gebucht werden kann das Segeln auf Hightech-Yachten, darunter die Illbruck, die als einziger deutscher Teilnehmer je das Volvo Ocean Race gewann: Einmal um die Welt, 45 000 Kilometer in neun Monaten. Heute liegt die Illbruck neben drei anderen Speedsailing-Booten in Rostock, und ihr Besitzer Ralf Kudra bietet Firmen an, sie zu mieten. Teambuilding auf hoher See, vor der mecklenburgischen Küste. Das sei eine Erfahrung, die für viele Mitarbeiter nicht so schnell wiederkomme. "Wir weisen die Leute ein, und dann übernehmen sie das Boot", sagt Skipper Matthias Kringel. "Da muss man zusammenarbeiten, das geht gar nicht anders."

Incentive-Reisen sind nicht billig. Nach einer Auswertung von Site Germany, einem Netzwerk von Incentive-Veranstaltern, beträgt das durchschnittliche Budget für Reisen innerhalb Deutschlands 435 Euro pro Teilnehmer und Tag, für Reisen ins Ausland 605 Euro. Die Touren werden allerdings immer kürzer und finden häufiger in Europa statt als in Übersee. Im Schnitt dauert eine Reise 3,2 Tage.

"Jede Form von Werbung und Motivation verursacht Kosten, aber die Rendite dieser Investitionen ist durchaus positiv", sagt Torsten Kirstges, der auch Direktor des Instituts für innovative Tourismus- und Freizeitwirtschaft in Wilhelmshaven ist. "Über die Bindung von Mitarbeitern und Vertragspartnern an die Firma und die dadurch erzielten Absatzsteigerungen und Aufmerksamkeitseffekte lohnen sich diese Ausgaben."

Reisen motivieren am stärksten

Er hält die gesponserten Firmenreisen für die effektivste Form der Belohnung. "Reisen sind diejenigen Incentives, die am stärksten motivieren und die längste Wirkung entfachen." Bei einer Auslandsreise sei der Motivationseffekt höher, gerade dann, wenn sich die Tour durch eine gewisse Einzigartigkeit auszeichnet, sagt Kirstgens, "durch Reiseelemente, die man als Privatmensch nicht standardmäßig im Reisebüro buchen kann".

Und genau da kommen Planer vor Ort ins Spiel, die fast alle Locations so einrichten können, dass es genau zu der Veranstaltung eines Unternehmens passt. Colette Doyle zeichnet im Archerfield House vor den Toren der schottischen Hauptstadt für Events verantwortlich. "Wir haben schon einen Meetingraum in eine Art Raumschiff verwandelt", sagt sie. Und das in einem Anwesen, das im späten 17. Jahrhundert gebaut wurde. Auch Schnitzeljagden sind möglich, Tontaubenschießen, Dudelsackspieler und der Ceilidh, immer wieder. "Spätestens, wenn der Piper die Gäste zur Veranstaltung begrüßt", sagt Sir Francis, "läuft jedem ein Schauer über den Rücken".

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