Immer mehr befristete Verträge:Wenn Unsicherheit zum Arbeitsalltag wird

Immer mehr Menschen arbeiten in Europa mit befristeten Verträgen - besonders in Polen und Italien ist die Zahl der Arbeitsverträge mit Ablaufdatum gestiegen. Doch die Befristungen haben auch Vorteile. Eine Arbeitsmarktforscherin erklärt, wieso.

Jutta Göricke

Von einer befristeten Stelle in die nächste zu wechseln, birgt für den Einzelnen große Unsicherheiten. Welche Auswirkung aber hat die Liberalisierung der Arbeitsmärkte für die gesamtgesellschaftliche Situation? Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg ist dieser Frage in zehn EU-Ländern nachgegangen. Regina Konle-Seidl, Mitautorin der Studie, nennt die wichtigsten Ergebnisse.

SZ: Wie steht es um die Beschäftigungssituation in Europa?

Regina Konle-Seidl: Wir haben die Entwicklung zwischen 1997 und 2008 verfolgt, noch bevor die Folgen der Finanzkrise durchschlugen. Da war zu sehen, dass die Arbeitsmärkte aufnahmefähiger geworden sind und mehr Erwerbslose den Sprung in Beschäftigung geschafft haben. Zugleich ist das Risiko gesunken, wieder arbeitslos zu werden.

SZ: Was hat zu dieser positiven Entwicklung geführt?

Konle-Seidl: Die erleichterte Zulassung von befristeten Beschäftigungsverhältnissen etwa oder die Deregulierung der Zeitarbeit. Aber auch grundlegende Sozialleistungs- und Aktivierungsreformen nach dem Prinzip "Fördern und Fordern". Leider hat das nicht in allen Ländern gleichermaßen gefruchtet.

SZ: Wo hat es nicht funktioniert?

Konle-Seidl: Spanien etwa hat in den 1980er und 1990er Jahren die Zulassung befristeter Arbeitsverträge erleichtert. Mit der Folge, dass die Befristungen massiv zunahmen. In konjunkturell guten Zeiten kam es dadurch zu mehr Einstellungen als vor der Reform. Doch die Kehrseite zeigte sich deutlich in der letzten Krise, wo es mehr Jobverluste als zuvor gab. Davon sind besonders Jugendliche und junge Erwachsene betroffen.

SZ: Wo waren die Reformen besonders erfolgreich?

Konle-Seidl: Deutschland steht - hinter Dänemark und Großbritannien - relativ gut da. Großbritannien und Dänemark hatten bereits Mitte der 1990er Jahre eine stärker aktivierende Arbeitsmarktpolitik. In Deutschland wurde mit den Hartz-Gesetzen später aber auch einschneidender reformiert. Mit dem Ergebnis, dass wir hierzulande seit Mitte der 2000er Jahre ein günstigeres Verhältnis von neu aufgenommenen zu beendeten Beschäftigungen haben. Und vieles deutet darauf hin, dass es sich dabei um einen längerfristigen Trend handelt.

SZ: Wie hat sich denn das Verhältnis zwischen unbefristeten und befristeten Arbeitsverträgen insgesamt entwickelt?

Konle-Seidl: Mit Ausnahme einiger Länder ist der Anteil befristeter Arbeitsverhältnisse an der Gesamtbeschäftigung im letzten Jahrzehnt gestiegen. Besonders stark war dies in Polen und Italien der Fall. In Polen hat sich die Befristungsquote sogar auf mehr als 25 Prozent verfünffacht. In Deutschland fiel der Anstieg von 13 auf knapp 15 Prozent noch vergleichsweise moderat aus.

SZ: Sind unsichere Verträge der Preis für mehr Beschäftigung?

Konle-Seidl: Die Wahrscheinlichkeit, aus Arbeitslosigkeit in einen unbefristeten Job zu wechseln, ist im Länderdurchschnitt gesunken, in Deutschland um sieben Prozent. In Dänemark und Großbritannien, Länder mit einem liberaleren Kündigungsschutz, ist die Wahrscheinlichkeit für Erwerbslose, einen unbefristeten Job zu bekommen, gestiegen.

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