Hürden für Juristinnen:Warum Frauen in Großkanzleien so selten Karriere machen

Justiz in Bayern

Justitia, die Göttin des Rechts und der Gerechtigkeit: Die Karriere-Chancen von Juristinnen dürften ihr am Herzen liegen.

(Foto: Daniel Reinhardt/dpa)
  • Bei den Nachwuchs-Juristen ist das Geschlechterverhältnis nahezu ausgeglichen. Doch in den Chefetagen der großen Wirtschaftskanzleien liegt der Frauenanteil bei nur knapp zehn Prozent.
  • Die Branche muss dringend flexibler und familienfreundlicher werden - die bisherige Kultur schadet dem Geschäft.

Von Sarah Schmidt

Kaum Frauen auf den Chefetagen

Sie sind hochqualifiziert, ehrgeizig und können ranklotzen. Wer als Juristin das Staatsexamen mit Top-Noten abschließt, startet auch im Beruf so richtig durch. Sollte man meinen. Doch wer sich in den Chefetagen der großen Wirtschaftskanzleien in Deutschland umschaut, sieht vor allem eines: Männer.

Noch nicht einmal zehn Prozent der Führungskräfte sind weiblich, wie eine Praxisstudie ergab, die der Verleger und Herausgeber Prof. Dr. Thomas Wegerich in Zusammenarbeit mit der Hochschule für angewandte Wissenschaften Würzburg initiiert hat.

Dabei machen mittlerweile sogar mehr Frauen als Männer ihren Abschluss in Jura, 60 Prozent sind es dem Bundesjustizministerium zufolge. Auf Associates-Ebene, also unter den angestellten Anwälten, liegt der Frauenanteil dann immerhin noch bei 40 Prozent. Etwas mehr Männer entscheiden sich also für eine Kanzlei-Karriere mit Einstiegsgehältern von 100 000 Euro aufwärts im Jahr, aber auch für ein enormes Arbeitspensum und Rund-um-die-Uhr-Verfügbarkeit. Doch warum ist dann die Gläserne Decke in den Kanzleien so massiv? Warum schafft nur ein kleiner Teil der weiblichen Mitarbeiter den wichtigen Karrieresprung und wird Partnerin, was eine Unternehmensbeteiligung bedeutet?

Aufstieg in Teilzeit? Ausgeschlossen!

Am Willen liegt es nicht. Torsten Schneider, Personalchef bei der internationalen Großkanzlei Luther sagt: "Ich sehe keine Unterschiede zwischen unseren männlichen und weiblichen Einsteigern, was die Leistungsbereitschaft und auch die Karriereambitionen angeht." Den Moment, in dem die Karriere der Mitarbeiterinnen ins Stocken gerät, kann er jedoch sehr genau benennen: "Dann, wenn ein Baby kommt."

Auszeit, Teilzeit, Kürzertreten für die Familie - auf dem Papier mag das zwar in vielen Kanzleien mittlerweile möglich sein. Doch in der Praxis ist die damit verbundene Flexibilität der Arbeitsbedingungen vielfach noch nicht angekommen. Das zeigt die tiefergehende Befragung der Anwältinnen und Partnerinnen in den großen Kanzleien.

Eine Juristin wird in der Praxisstudie zitiert: "Leider sind Außendarstellung von Themen wie Work-Life-Balance, Familienfreundlichkeit, Möglichkeit zu Teilzeitmodellen oder Heimarbeitsplatz und die Wirklichkeit sehr weit voneinander entfernt." Eine andere beklagt: "Die breite Akzeptanz der Teilzeitarbeit fehlt weiterhin, auch zehn Monate nach dem Wiedereinstieg." Es werde immer deutlicher, dass ein weiterer Aufstieg in Teilzeit ausgeschlossen sei.

Auch HR-Chef Schneider gibt unumwunden zu: "In Teilzeit zu arbeiten, ist eine echte Karrierebremse." Für manche Bereiche im Wirtschaftsrecht komme das gar nicht in Frage. "Da müssen Sie einfach auch mal tief in der Nacht arbeiten, weil die Zeitverschiebung nur enge Zeitfenster zulässt." Auch von Job-Sharing hält Schneider nichts: "Sich ein Mandat zu teilen, funktioniert nicht. Das ist wie bei einer Herz-OP: Die macht auch ein Chirurg von Anfang bis Ende."

Das geht: Partnerin und drei Kinder

Der Kind-Karriere-Spagat gelingt nach wie vor nur denjenigen, die ihre Prioritäten klar auf den Beruf legen und den Familienalltag diszipliniert durchtakten. Eine dieser Frauen, die es allen Hürden zum Trotz bis nach oben geschafft haben, ist Daniela Seeliger. Die promovierte Kartellrechts-Expertin ist Partnerin bei der Großkanzlei Linklaters und hat drei Kinder. Was der 45-Jährigen am meisten geholfen hat, war die Überzeugung: "Das geht!" Bei einer Referendariats-Station in Stockholm hat Seeliger erlebt, wie gleichberechtigt und flexibel in Schweden Beruf und Kinder kombiniert werden. Außerdem hatte die ambitionierte Juristin starke Rollenvorbilder: "Meine Großmutter war schon Anwältin, meine Mutter Richterin. Beide waren auch mit Kindern berufstätig."

Doch Seeliger hat ihr erstes Kind erst bekommen, als sie schon Partnerin war. Und mit einmal sechs Monaten und zweimal vier Monaten Elternzeit nur kurz pausiert. Jetzt helfen die Großeltern und eine Kinderfrau bei der Betreuung. "Ohne Hilfe von außen und viel Organisation geht es nicht", sagt Seeliger. Dabei unterstützt ihr Arbeitgeber weibliche Führungskräfte explizit. Linklaters ist eine von wenigen Großkanzleien, die sich eine 30-Prozent-Frauenquote für ihre Chefetage auferlegt hat. Nur so könne eine Kulturwandel stattfinden, so Seeliger: "From the top, also aus der Führungsetage."

Familienfreundlichkeit als Wettbewerbsfaktor

Ein Kulturwandel ist allerdings dringend notwendig, der Druck auf die Kanzleien steigt. "Das traditionelle Businessmodell funktioniert in vielen Fällen nicht mehr", sagt Thomas Wegerich. Seit einigen Jahren kämen verschiedene Entwicklungen zusammen: "Die Berufseinsteiger haben mittlerweile andere Lebensmodelle. Immer mehr wollen Familie und Beruf verbinden. Zudem ist die Partnerposition in Kanzleien heute für viele schlicht nicht mehr das Nonplusultra."

Zunehmend werden Flexibilität und Familienfreundlichkeit ein echter Wettbewerbsfaktor. Mehr und mehr hochqualifizierte Juristinnen und auch Juristen streben von vornherein eine Stelle im Staatswesen an, werden Richter oder Staatsanwalt. Zwar ist die Bezahlung bei Weitem nicht so gut, dafür lässt sich die Arbeit freier einteilen, die Verbeamtung bietet größtmögliche Sicherheit, Auszeiten und Teilzeit-Modelle sind deutlich verbreiteter als in den Kanzleien. Unter den Richtern und Staatsanwälten ist die Geschlechterverteilung mittlerweile nahezu ausgeglichen.

Auch bei der Großkanzlei Luther hat man das Problem erkannt: "Wir müssen in der Branche ganz neue Wege gehen, um Mitarbeiter zu gewinnen - und auch zu halten", stellt Torsten Schneider fest. Er kann sich eine zeitliche Entzerrung der Karriere vorstellen, immerhin: "Es muss auch möglich werden, nach einer Phase mit Teilzeitarbeit oder einer Pause, beruflich durchzustarten und aufzusteigen." Auch Entwicklungs-Alternativen zur Partnerschaft seien denkbar. In keiner anderen Branche würde man den Leuten schließlich sagen: "Du musst Vorstand werden, um es bei uns zu etwas zu bringen."

Karriere-Tag speziell für Juristinnen

Neue Wege aufzeigen, das möchte auch die Initiative Panda, die sich für mehr weibliche Führungskräfte in deutschen Unternehmen einsetzt und Karriere-Tage speziell für Frauen organisiert. Das erste Event, das sich speziell an Nachwuchsführungskräfte richtet, ist die Verantstaltung University Law Ende November in Wiesbaden, für die sich Studentinnen der Rechtswissenschaften noch bis zum 18. Oktober bewerben können.

Isabelle Hoyer, Leiterin von Panda, sagt: "100 Frauen haben dann die Chance, sich in Workshops spezifischen Fragestellungen aus dem Führungsalltag in Kanzleien zu stellen." Neben Impuls-Vorträgen von Partnerinnen, die aus der Praxis berichten, soll viel Raum für den Austausch bleiben. "Wir wollen Netzwerke unter Gleichgesinnten fördern", so Hoyer. "Damit mehr von den bestens ausgebildeten Juristinnen es bis ganz nach oben schaffen."

Und auch Linklaters-Partnerin Daniela Seeliger sagt: "Ich kann nur allen Juristinnen raten, zu arbeiten - es ist ein toller Beruf. Und ich kann nur raten, Kinder zu haben. Beides macht glücklich!"

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